Grönemeyer – Herberts großer Sprung
Eigentlich wollte er die Platte DIETER nennen, jetzt heißt sie einfach Ö. Wieder bringt Grönemeyer die Essenz seiner Arbeit auf den Punkt. Denn "Ö"? wird die Reaktion auf das neue Album sein: Es ist, anders als SPRÜNGE, eine Rock-Platte geworden. Peter Wagner schaute dem Mann mit der Strähne beim Sound-Feinschliff über die Schulter.
„Schalt‘ das Ding ab!“ Herbert Grönemeyer blickt immer wieder argwöhnisch zum Diktiergerät. „Das ist nicht für draußen bestimmt.“ „Das“ sind die ersten hörbaren Aufnahmen für sein neues Album Ö. Vier Jahre nach SPRÜNGE soll es in Kürze erscheinen.
„Eigentlich wollte ich das niemandem vorspielen, so unfertig wie es ist.“
Grönemeyer. momentan Tilg und Nacht im Studio bei der Abmischung. will auch in seiner Funktion als Produzent erst mit dem endgültigen Band in die Öffentlichkeit.
„Ach, was, Produzent – das klingt so nach dem Mann mit der Schirmmütze. Wenn überhaupt, dann sind es Nobby, mein Bassist, und ich, die gemeinsam mit der Band produzieren. Wir sind aufeinander angewiesen. Verantwortlich bin im Endeffekt natürlich ich.“
Wir hören die neuen Songs so, wie er sie aus Belgien mitgebracht hat. Grönemeyer und Band hatten sich für einige Monate ein altes Haus nahe der deutschen Grenze gemietet und dort in aller Ruhe auf eine mitgebrachte 24-Spur-Maschine die Songs eingespielt. Ist aus dem intellektuellen Liedermacher mit Ruhrpott-Appeal jetzt ein Land-Müsli geworden?
„Um Gotteswillen, keine Familien-Arie und schon gar keine Land-WG. Die letzten beiden Platten haben wir bei der EMI in Köln aufgenommen, jetzt wollten wir für uns selber eine Atmosphäre schaffen, wo wir als Band auch gemeinsam wohnen können.
In Belgien gibt es viele große alte Häuser. Draußen standen Kühe und Schafe nun, und wir halten endlich Zeit, auch mal mit den Gitarren ordentlich zu arbeiten. Die sind bei uns früher ein wenig zu kurz gekommen.“
Mit „ein wenig“ stapelt er mächtig tief, denn Ö ist eine echte Gitarrenplatte geworden. An die Stelle der aufwendigen Keyboard-Sounds früherer Alben tritt eine entspannte, fast Session-mäßige Rock-Stimmung. Es klingt wie eine Band, die ihre Gitarren anschließt und losspielt. „Obwohl das die wenigsten wissen – wir sind eine Band. Nicht so wie BAP, aber wir spielen seit sieben Jahren zusammen. „
Auf der Suche nach einer deutschen Rockmusik ist Grönemeyer ein gutes Stück weitergekommen. Komponiert hat er die Stücke nach wie vor an den Tasten, aber meistens mit den geistigen Hintermännern von Clapton bis Richards: „Es gibt Stücke wie Vollmond, das sind einfache, straighte Rock-Nummern; bei anderen Stücken merkt man schon eher, daß sie von den Keyboards her kommen. Ich wollte insgesamt eine wesentlich gitarrenlastigere Platte machen, einfach, weil ich Gitarren toll finde. “ Wird Herbert Grönemeyer auf seine alten Tage jetzt etwa die Nietenjacke anziehen und das Rock ’n‘ Roll-Animal rauslassen? „Ich bin in dem Sinne kein Rock ’n‘ Roller, dafür bin ich vielleicht etwas zu kopfbetont. Ich wünf aber ab und zu gern mal rock ’n‘ rollig sein. Das ist in Deutschland aber immer so eine Frage: Wenn ein Text drauf ist, rezipieren wir Musik sofort ganz anders. Dabei geht uns oft genug der Spaß an der Musik flöten, wenn wir uns immer denken: Was will der Künstler uns jetzt sagen?“
Genau damit aber wird er noch eine Weile leben müssen. Denn auch auf dem neuen Album hat Grönemeyer natürlich viel zu sagen. Über Männer, die sturzbesoffen den Vollmond mit ihrem Beziehungsfrust anbrüllen. Oder solche, die nach Hause kommen, ein fremdes Paar Herrenschuhe sehen, und fragen „Was soll das“ (Die erste Single-Auskoppelung). Oder über dieses unsere Land, das „Keine Heimal“ mehr ist (B-Seite der Single), weil es von grauen Herren regiert wird, die außer „Gott an unserer Seile“ nichts zum Regieren qualifiziert.
Und wieder legt sich Grönemeyer mit den C-Parteien an. Die hatten seine SPRÜNGE-Songs „Lächeln“ und „Tanzen“ von der Wende-Regierung auf den Index für Unkultur setzen lassen; das Goethe-Institut z. B. darf diese Lieder im Ausland nicht spielen!
Er sieht noch andere Veränderungen seit SPRÜNGE: „Die Saat der Wende geht auf, es wird enger. Diese geschickte Zwei-Flächen- Verschleierung: Oben wird freudig Sahne geschlagen und unten läuft’s beinhart weiter. Im Grunde genommen sind die Politiker ja die Vertreter unserer Zahnpastafirma. Die vertreten unsere Zahnpasta, haben im Grunde das Geschäft schon längst übernommen. „
Ein Song, der am klarste Stellung bezieht, wird sicher wieder auf der Zensur-Liste landen – „Mit Gott an unserer Seite“. Ein Text-Beispiel:
„Mit Gott an unserer Seite/Jesus in einem Boot/einer ging leider baden/ doch wir warfen ihn noch rechtzeitig über Bord/mit Gott an unserer Seite/ Jesus in einem Boot/dem Ablaß in unserem Namen/das ,C strahlt über uns riesengroß/Hör auf zu beten, Mama/es ist vollbracht/du hast es gewußt/dein Junge sitzt endlich mit an der Macht.“
Aktuell wie immer – Grönemeyer konnte sich den Querhieb auf den Kieler Badewannen-Abgang nicht verbarscheln. gemeint aber ist die CDU/CSU insgesamt: „Es geht nicht um Barschel selber. Es geht um die Haltung der CDU. wie sie ihn fallengelassen hat und die Heuchelei von Stoltenberg. Dieses Christliche, was permanent in die Schlacht geführt wird, bäh!“
Vor einen Karren, ob links oder rechts, will er sich aber noch immer nicht spannen lassen – egal ob Nachrüstung oder WA A, Grönemeyer ist kein Vereinsmeyer.“.Ich wollte ein Lied über die Friedensbewegung schreiben, aber mir fiel nichts dazu ein. Und da hab ich dann ein zynisches Lied über die Neutronenbombe geschrieben. Will sagen – man muß einen Zugang finden, oder es lassen.“
Ist er deshalb auch nicht der Mensch zum linken Schulterklopfen?
„Kohl hat mehr begriffen, als wir wahrhaben wollen. Der Mann weiß viel von unserer – auch intellektuellen – Mittelmäßigkeit. Angesichts dessen muß man sich selber relativieren. Genauso das Festival in Wackersdorf – so wichtig das war. die Künstler sind die letzten, die da runterfahren und sich an den Bauzaun ketten. Das müssen wir nicht, aber aufblasen brauchen wir uns auch nicht.“
Nach den wenigen Konzerten des letzten Jahres geht Grönemeyer mit Band ab April wieder auf Ochsentour durch 45 Städte der Republik. Auf der SPRÜNGE-Tour hat er 65 Konzerte gespielt, „am Ende war das schon haarig, es wird routiniert und indifferent. Trotzdem – man sagt immer, eine Tour ist anstrengend, aber sie gibt einem auch eine Menge zurück. Vor allem klatschen die Leute – bei welcher Arbeit bekommst du denn sonst Beifall? Das gibt es ja in keinem Beruf, daß du rausgehst, und die Leute freuen sich.“