Ry Cooder – Magier der leisen Töne
Nur selten kommt der alte Fuchs aus seinem Bau. Der Meister der Slide-Gitarre liebt nun mal die Arbeit im verborgenen. Anläßlich einer seiner raren Tourneen lockte ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake Ry Cooder trotzdem vors Mikrophon.
Er ist anerkanntermaßen einer der brillantesten Slide-Gitarristen auf dem Globus, doch in den letzten fünf Jahren glänzte er vorwiegend durch Abwesenheit. Cooders geplante Deutschland-Tour Ende Mai ist daher eine seltene Gelegenheit, den zurückgezogenen und krankhaft selbstkritischen Musiker zu erleben. Lange bevor der Begriff „Weltmusik“ in Mode kam, mischte Cooder wie selbstverständlich Elemente von Blues, Country, Hawaii-Folk, Gospel, Soul, Tex-Mex, Latin und sogar „Okinawa Rock“ zu einem einzigartigen Stil zusammen.
Natürlich war er nicht untätig im Verlauf der vergangenen Jahre. Im Gegenteil, seine Band mit Cracks wie Drummer Jim Gordon, dem legendären Conjunto-Akkordeonspieler Flaco Jiminez und Saxophonist Steve Douglas war fleißiger denn je und ständig mit diversen Filmprojekten beschäftigt: „The Long Riders“, „The Border“, „Alamo Bay“, „Blue City“. „Crossroads“ und allen voran der Wenders-Kultfilm „Paris, Texas“. Die Musik zu diesen Filmen hat Cooder als den wahrscheinlich gefragtesten Soundtrack-Komponisten unserer Zeit etabliert.
Wer sich allerdings an Cooder wendet, um einen Orkan bombastischer Orchester-Sounds zu entfesseln, der zu rollenden Panzern, bellenden Hunden und explodierenden Hubschraubern etwa eines Sylvester Stallone-Streifens die geeignete Klangmauer liefert, ist bei ihm an der falschen Adresse. Ist hingegen Subtilität und dichte Atmosphäre gefragt, ist Cooder unschlagbar.
Nichtsdestotrotz gibt Cooder unumwunden zu, daß seine Filmmusik längst nicht den Evergreen-Charakter von Ennio Morricone-Soundtracks erreicht; auf dieser Ebene aber tritt er ohnehin nicht an. Cooders Musik stellt vielmehr den akustischen Unterbau zur filmischen Handlung dar. Er selbst spricht von seiner Musik oft als „Untertitel“ der Handlung. „Ich habe nie die Theorie der Filmmusik studiert – obwohl man heute sogar einen Abschluß darin machen kann; also muß ich meinem Instinkt folgen. Für mich ist Filmmusik ein roter Faden, der sich durch den ganzen Film zieht und für den Zusammenhang sorgt.
Fernsehfilmmusik ist im Vergleich viel vordergründiger: Eine Tür knallt zu und die Drums machen ,Peng‘, nur um das zu unterstützen, was man im gleichen Moment sieht. Bei Filmmusik ist das anders, es geht dabei vielmehr um das, was man nicht sieht; sie bereitet auf Situationen vor, die mit der direkten Handlung auf dem Bildschirm nichts zu tun haben, zeigt feine Nuancen der Gefühle auf usw….
,Paris, Texas‘ war wohl das schwierigste Projekt, das ich je gemacht habe, dafür aber auch das befriedigenste. Ich mußte erst mal begreifen, worin meine Aufgabe eigentlich besteht.
Wim Wenders, der Regisseur, ist ein solcher Minimalist, und was er zeigen will, ist so wenig gängigen Strukturen angepaßt, daß es sehr schwierig ist, überhaupt Musik unterzulegen, ohne das bißchen Handlung auch noch zu vergewaltigen. Wenders‘ Kunstauffassung ist fast fernöstlich zu nennen. Er dreht wie die Japaner. Seine Filme haben keine Auflösung. Sie fangen nie wirklich irgendwo an und hören nie wirklich an einem bestimmten Punkt auf. Sie nehmen dich einfach mit, zeigen dir einige Ausschnitte…
Also, was willst du in einem solchen Film für Musik schreiben? Ich wußte lediglich, daß sie effektiv und gleichzeitig transparent sein sollte – so wie die ruhige Slide-Gitarre in der ersten Szene.
Um solche Musik zu spielen, muß man sich ganz bewußt selbstbeschränken, aber das liegt mir wohl. Bei all meinen Projekten versuche ich mit immer weniger auszukommen – die wenigen Töne dafür aber perfekt zu spielen. In ,Paris, Texas‘ brauchte man nur mimimale Sounds einstreuen – ein paar mal die Baß-Marimha zu berühren – und schon hatte es großartige Wirkung.“
Cooders Gespür für griffige, bewegende und atmosphärische Musik hat ihn über die Jahre mit den Größten der Musikwelt zusammengebracht. Sein Bottleneck-Gitarrespiel im Delta-Blues-Stil verhalf Captain Beefheart mit SAFE AS MILK zu Ansehen. Mit den Stones spielte Ry auf dem Session-Album JAMMING WITH EDWARD und der LP LET IT BLEED. Gerüchte kursierten, er habe damals das Angebot ausgeschlagen, Mick Taylor bei den Stones zu ersetzen. Er spielte mit Little Feat und stach den exzellenten Lowell George fast aus, er spielte beinahe mit jedem Interpreten auf dem „No Nukes“-Festival. Nichtsdestotrotz zieht er sich am liebsten zurück oder umgibt sich höchstens mit ein, zwei Freunden.
Cooder erinnert sich noch gut an die 50er Jahre in Los Angeles, wo er aufwuchs und mit drei Jahren Gitarre lernte. „Meine Eltern hatten eine Sammlung klassischer Musik, und ich merkte bald, daß man Beethoven gut mit einem großen kuscheligen Kissen hören konnte. Andererseits waren meine Ellern auch in der Bürgerrechtsbewegung und besaßen viele Blues-Scheiben und Woody Guthrie-Platten. also hab ich auch das gehört. Guthrie sang: ,I’m going down that dusty old road…‘ Und ich dachte wirklich, ich selbst würde diese staubige alte Straße hinuntergehen!“
Er haßt den Stempel, den man ihm aufzudrücken versucht, als Bewahrer alter Traditionen und Ein-Mann-Folk-Museum. „Damit habe ich überhaupt nichts am Hut. Die beste Musik kam meistens von umherziehenden Musikern, von Leuten, die in der Welt rumkamen, Neues entdeckten und mit Traditionen brachen. Ich bin ein Fan von musikalischer Weiter-Entwicklung, was natürlich nicht heißt, daß mir der stillose, geistlose Brei gefällt, den du jeden Tag im Radio hörst.“
Also, wohin führt die staubige Straße für Cooder in Zukunft?
„Eines sag ich dir, Mann: Wenn ich alleinstehend wäre, ohne familiäre Verpflichtungen, säße ich im nächsten Flieger nach Kolumbien. Das Problem ist nur, daß Kolumbien zur Zeit der beste Ort ist, um sich umzubringen. Aber trotz der Feuer-Gefechte haben die wirklich gute Musik da unten. Hast du schon mal die Akkordeon-Musik von dort gehört? Den Vallenata-Stil und so? Der helle Wahnsinn! Als ich das zum ersten Mal hörte, war ich so aufgeregt, daß ich am liebsten aus dem Fenster gesprungen wäre.“ (Interessierte Leser könne Cooders Enthusiasmus auf dem Import-Album FIESTA VALLENTA des englischen Labels Ace nachvollziehen: Es ist sicher das rasanteste Akkordeon-Spiel, das je auf Platte gebannt wurde.) Cooders derzeitige Abenteuer erschöpfen sich allerdings darin, wieder auf Tour ins zivilisierte Europa zu gehen. „Ich spiele jetzt mal für sechs Wochen, Mann. Das ist ’ne lange Zeit für mich. Ich hoffe, ich halte das aus.“
Warum überhaupt touren, wenn es so schwerfällt?
„Nicht des Geldes wegen, soviel ist sicher. Um die Wahrheit zu sagen: Immer wenn ich im Verlauf der letzten 20 Jahre auf Tour war, habe ich es irgendwie geschafft, Geld in den Sand zu setzen. Aber wir haben halt gerade diese Platte rausgebracht… Und sie klang so gut, daß ich dachte, wir sollten ein paar Gigs spielen, um sie gebührend zu feiern. Schließlich kommt es selten vor, daß mir meine Platten gefallen, aber ich habe wohl langsam einen Punkt erreicht, an dem ich anfange, mit meiner Musik Frieden zu schließen.
Wir gaben vorab ein paar Konzerte in Kalifornien und amüsierten uns prächtig. Da dachte ich mir: Was jetzt? Und alles, was mir einfiel, war: Auf nach Europa! Auf nach Japan! Und da haben wir uns eben auf den Weg gemacht …“