Michael Jackson
Berlin, Reichstagsgelände
Der Reichstag ist auch ohne Kuppel ein imposantes Gebäude, zumal es, wie die Inschrift auch 1988 noch besagt, dem Deutschen Volk gewidmet ist. Gerüchte, daß eine amerikanische Getränkefirma die Kuppel mit einem Werbeplakat ersetzen wollte, wurden nicht dementiert. „Pepsi Cola dem Deutschen Volke“ hört sich ja auch gut an.
Michael Jacksons riesige schwarze Bühne ist -— ebenfalls ohne Kuppel, aber mit Pepsi —- ein imposantes Gebäude. Das Stahlgerüst glänzt in der Sonne. Schon um l5Uhr strömen die Gläubigen mit Gartenstühlen, Thermosflaschen und Wolldecken durch die Absperrungen und verwandeln den durch Europa-Rummel und Pink Floyd-Konzert arg mitgenommen Rasen endgültig in einen Acker. Die Berliner feiern auch dieses Ereignis wie ein Volksfest. Buden mit Plastikskeletten, Bonbons und Bulletten umranden die halb gefüllte Freiluftkirche. Es werden 40.000 Zuschauer. 110.000 weniger als beim legendären Barcley James Harvest Konzert, aber das hat auch zwei Millionen Mark weniger Eintritt gekostet.
Auch auf der anderen Seite der Mauer sparen ein paar Wagemutige den Eintritt und machen es sich auf Laternenpfählen bequem. Zu sehen oder zu hören ist vom Affenfreund eh nichts. 200 Mark mehr als auf einem Laternenpfahl kostet der Platz auf der V.I.P.-Bühne hinten links vom Acker, Champagner und kaltes Büffet inklusive. Sicht und Akustik sind hier allerdings so schlecht, daß Udo Lindenberg, Rio Reiser, Frank Farian, Jack White und andere Show-Bizzis die 200 Mark besser für Hör- und Fernrohre verwendet hätten.
Direkt vor der Bühne ist es heißer. Die jungen Mädchen sind schon ganz dünn und kriegen die ersten Kreislaufanfälle, obwohl noch gar nichts los ist-
Doch, Entschuldigung. Kim Wilde ist auf der Bühne, hüpft im engen Weiß durch langweilige Popmusik, kann aber die 17 ersten Reihen einigermaßen mitreißen. Sie hat einen undankbaren Job übernommen. Neben, vor und hinter Michael Jackson wird jeder zum Pop-Krümel. Kim quält sich an ihren Melodien vorbei, ihre Stimme ist kraftlos, hängt hinterher, liegt daneben. „Schalt das Radio ab“, schreit einer. Kim Wilde schaltet schnell und sagt aufwiedersehen.
Michael Jackson wartet bis zur Dämmerung — dann kommt er und er kommt wie ein Orgasmus. Eine riesige Lichtwand wird nach oben gezogen. Der Blitz schlägt ein, zuckt über die Bühne und heißt „I Wanna Be Startin‘ Something“.
Michael hat vier Schatten, die ihm auf all seinen bezaubernden Wegen durch die Songs und über die Bühne folgen -— und natürlich eine Ansammlung perfekter Musiker, die seine Kinderstimme begleiten. Ohne Quincy Jones an den Reglern klingt sie sogar etwas rockiger — wenn sie mal rüberkommt. Der Sound ist für dieses Spektakel schlichtweg beschissen. Ein Wind treibt ihn nach Charlottenburg oder nach Kreuzberg, nur nicht vor den Reichstag. Trotzdem, die kollektive Entzückung ist spürbar. Michael Jackson nimmt sie auf, saugt sie durch Körper und Geist, verzaubert sie in Extase und schenkt sie dem Publikum zurück.
„I Just Can’t Stop Loving You“: In den ruhigen Liedern leidet er für alle, fängt an zu weinen, man glaubt fast, das wäre echt und nicht Teil der faszinierenden Inszenierung. Einem Mädchen gelingt es, die Ordner zu überlisten. Wahrscheinlich gelingt das einer bei jedem Gig der Tournee. ER berührt sie, sie berührt IHN. Sie ist für alle Zeit verdorben, muß ins Kloster. Wer kann sie nach Michael Jackson noch berühren?
Michael Jackson gönnt sich eine Pause, in der seine Musiker in den Jazz-Rock der 70er Jahre entfleuchen und ein phantastisches Solo nach dem anderen abziehen. Herrlich erfrischend und sogar für 14jährige zumutbar. Mit „Billy Jean“ geht es weiter, „Smooth Criminal“ ist der rasanteste Teil der Super-Show. Michael Jackson und seine Schatten als Gangster in der besten Tanznummer.
Dann ein Schuß. Alles vorbei? Nein, es fehlt ja noch „Man In The Mirror“: Der Höhepunkt dieses langen Höhepunktes. „Ich liebe Euch“, sagt er und meint es im globalen Sinn. Die Gläubigen sind glücklich -— und so kann der Musik-Messiahs endlich in den Himmel fahren.
Die Statistik zählt an diesem Abend 284 Ohnmachtsanfälle und 23 Krankentransporte.