Lou Reed


New York, der „Big Apple“, ist ein rapide verfaulendes Stück Obst. Sagt der New Yorker Lou Reed in den 14 Songs seiner neuen LP NEW YORK. Um so paradoxer mutet es auf den zweiten Blick an, daß Reed eine Woche lang gerade im eleganten „St. James“-Theatre am Broadway gastierte. Während drinnen die betuchten Yuppies knapp 30 Dollar fürs Ticket löhnten, machten draußen die Penner mit Pappbechern Jagd auf Pennies. „Dirty Boulevard“ vom NEW YORK-Zyklus war denn bezeichnenderweise auch gleich der Einstieg. Sein charakteristischer Sprechgesang wurde von Gitarrist Mike Rathke fast zärtlich verziert, während Bassist Rob Wasserman (auf dem Standbaß) den klassisch präzisen Kontrapunkt lieferte. Drummer Rob Medici, gelegentlich auch mit seiner Falsett-Stimme vertreten, sorgte für das unerbittliche Metrum. Reeds Gitarre, spröde und kalt-metallisch wie eh und je, durchschnitt jeden Wohlklang gleich im Ansatz. Ungewohnt aber waren die eher verbindlichen Worte, mit denen Reed Songs zu erläutern suchte, die eigentlich keiner Erklärung bedürfen. Alte Reed-Verehrer im Publikum empfanden das denn auch gleich als „onkelhaft“.

Mit jazzigen Akzenten wechselte die Band zu „Beginning Of A Great Adventure“, ein Song, der von bevorstehender Vaterschaft handelt. „There Is No Time“, „Good Evening Mr. Waldheim“, „Strawmann und „Dirne Store Mystery“ schienen etwas die Schärfe aus Reeds Gesang und Spiel zu nehmen, während „Halloween Parade“ wieder durch metallische Härte bestach. Daß Reed nicht mehr wie früher mit mürrischem „Pokerface“ auf der Bühne steht, daß er immer wieder für Beifall dankt und liebenswürdig lächelt, statt schweigend die Begeisterung zu ignorieren, ist ein neuer Zug, an den man sich erst gewöhnen muß.

Aber der „trockene“ Lou (seit Jahr und Tag trinkt er nicht mehr) ist nicht weniger hypnotisierend als der alte – in seiner Musikalität als auch in den zynischen, sozialkritischen Texten. Auch wenn er diesmal mit Drahtbrille und Anzug auf der Bühne des „St. James“ steht.

Erst im zweiten Teil seines fast dreistündigen Programms kommen die vom Publikum geforderten „Oldies“ zu Wort. „Video Violence“ und „The Original Wrapper“ führten zu „Rock And Roll“, und bei den dreimaligen Zugaben zelebrierte er mit Band in alter Form „Sweet Jane“, „Vicious“, „Satellite Of Love“ und -als Höhepunkt – natürlich „Walk On The Wild Side“.