Aerosmith


Oh shit!“ Was war passiert, daß Steven Tyler so laut und vernehmlich fluchte, noch bevor sich der schwarze Vorhang öffnete und den Blick auf die wiedergenesenen „Bad Boys aus Boston“ freigab? Es gab keinen ersichtlichen Grund. Ihm war wohl einfach danach.

Ihm, aber auch seinen Mitstreitern, stand in den nächsten 90 Minuten der Sinn einfach nach Rock ’n‘ Roll pur: stets laut, brachial und allemal elektrisierend obwohl die 4000 Zuschauer in der nur zur Hälfte ausverkauften olympischen Begegnungsstätte (das hintere Drittel hatte man der Optik wegen vornehm abgehängt) die unterm Strich unterhaltsame Performance der einstigen Hardrock-Gladiatoren kaum zu würdigen wußten. Nach über zehnjähriger Abwesenheit hätte ruhig ein wenig mehr Enthusiamus die bajuwarische Rock-Enklave beflügeln können.

Der Band war’s tatsächlich shit-egal: Sie agierte auf der nüchternen, ohne Firlefanz ganz aufs Funktionale abgestellten Bühne so herzhaft und erfrischend, als habe es in ihrem Leben nie Drogen, Alkohol und andere Spaltpilze gegeben. Amerikaner laut Paß, stehen Aerosmith musikalisch zumindest mit einem Bein im Lager der Briten, förderten sie auch an diesem Abend aus dem Fundus diverser Stil-Elemente eine unorthodoxe Mixtur zutage, die aber gerade von diesen Kontrasten lebte. Da waren nicht zuletzt die offenkundigen Hommagen an John, Paul. George & Ringo in dem Klassiker „Dream On“ oder die Beatles-gemäßen Instrumental-Harmonien in „Movie“, die angelsächsisches Flair aufkommen ließen, vom impulsiven „I’m Down“-Cover gar nicht zu reden.

Derart ungeniert plündern dürfen eigentlich nur gestandene Rocker, die darüber hinaus auch noch eigene Joker aus dem Ärmel ziehen. Vor allem wenn sie wie Sänger Steven Tyler in seinem Negligeähnlichen Overall, Keith Richards-Alter Ego Joe Perry an der Gitarre oder Lead-Gitarrero Brad Whitford, der mit seinem rotblonden Wuschelbart einem Roman von Charles Dickens entsprungen sein könnte, dazu auch noch typisch amerikanisches Entertainment auf die Bühnenbretter bringen, das selbst halbleere Arenen mit Atmosphäre füllt.

Natürlich kamen die Konzert-Killer „Rag Doll“ und „Walk This Way“ nicht zu kurz, doch das eigentlich Erstaunliche der gesamten Darbietung war: Aerosmith erwiesen sich einmal mehr als der Souverän des Hardrocks mit persönlichem Profil, auch wenn dies Licht den meisten Zuschauern wohl erst Stunden nach dem Ereignis aufgehen dürfte. Hoffentlich…