Die Toten Hosen


Um Ulm herum war der Teufel los. Die Toten Hosen spielten vor ihrer großen Deutschland-Tournee einen Aufwärm-Gig. Und diese Generalprobe mit 10.124 Teilnehmern ließ keinen Zweifel offen: Campino & Co. stehen auf ihrem Kreuzzug ins Glück an der Spitze der Rock-Nation.

Der Katastrophenschutz in und um Ulm ist bestens organisiert. Richtig auf die Probe gestellt wurden die schwäbischen Nothelfer aber jetzt um Ulm herum. Der Ernstfall: Die Toten Hosen open air in der Kleinstadt Senden vor den Toren Ulms – seit der großen Überschwemmung 1974 erstmals wieder eine prima Gelegenheit, das wohlgeübte Zusammenspiel von Bayerischem Roten Kreuz. Technischem Hilfswerk und der Wasserwacht unter Real-Bedingungen zu testen.

Schon Minuten vor der Stunde X geben die tausendkehligen „Hosen! Hosen!“-Schlachtrufe der Fans das Startsignal für die Retter; die ersten zehn Bahren werden bereitgelegt. Sie reichen nicht mal bis zum Refrain des Openers „Alles wird gut“: Campino hatte gerade die Zeile „Auf dem Weg. es geht nie mehr zurück“ gesungen und schon sind die ersten zehn kreislaufhippeligen Fans via Bahre auf dem Weg in die Erste-Hilfe-Baracke hinler der Bühne, während die Security-Jungs im Sekundentakt die nächsten Umgekippten vor der Absperrung herauszerren. Kein Zweifel, die Hosen sind echte Headliner (diesmal mit Rausch, Faith No More und Status Quo als „Vorbands“) und haben auch fern von der Düsseldorfer Heimat bei diesem Konzert ein Heimspiel.

Doch die Zeiten, da Campino den gequetschten Fans in den ersten Reihen mit einer saftigen Bierdusche vorübergehend Linderung verschaffte, scheinen langsam vorbei zu sein. Hosen anno 1990 – das sind vor allem große Hallen oder Arenen bis zu 10.000 Zuschauer (wie in Senden), und das ist auch ein Campino, der etwas durcheinander ins Mikro fragt: „Ganz schön beschissen, da vorne? Hautnah dran, aber kein Bier in der Nähe. Soll ich euch ein wenig rübergießen ?“ Er läßt es bleiben.

Leicht angeschlagen vom Tour-Start am Vortag (“ ‚Tschuldigimg, wir leiden heute etwas an Nackenschmenen“), ist es den Hosen dennoch fast nicht anzumerken, daß sie hier nach längerer Pause einen jener berüchtigten „Test-Gigs“ für die anstehende Tournee spielen. Konzerte also, bei denen sonst vor Publikum am geplanten Song-Programm rumprobiert wird.

Die Tour soll der definitive Kreuzzug ins Glück werden, und dafür haben sich die Punkrocker vom Rhein einiges einfallen lassen: Ein abgespeckter Bühnenaufbau läßt viel Platz zum Toben, vor allem für Prediger Campino. Die Totentanz-Einlagen der Saiten-Ritter Andi, Breiti und Kuddel sind im Vergleich zu früher dosierter: Logo statt Pogo. Auch die Zusammenstellung der Songs – das aktuelle Doppelalbum deutete es an – bringt die Hosen ein Stückchen weiter weg vom Blödel-Punk und hin zu einem Rock-Act der Oberklasse. „Gebt Gas“ ist und bleibt die Ober-Message der Hosen, aber jetzt ist endlich auch mal Platz für Zwischentöne: Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ als schnörkeliges Outro von „Hier Kommt Alex“, „Schönen Gruß, auf Wiedersehn“ als Schunkel-Schluß vor der Zugabe, und mit dem überragenden „Sein Oder Nicht Sein“ schleicht sich gar ein melodiöser Midtempo-Song (Campino: „Was heißt hier gröhlen? Inzwischen singe ich wie ein Buntspecht!“) als Abkühlung für die heißen Ohren zwischen die klassischen Vollgas-Hauer. Mut zum Risiko zeigt der Halb-Brite Campino auch mit den vier englischsprachigen Songs im Programm: Neben Punkrock-Evergreens trauen sich die Hosen mit ihrer Kraft-Version von „We Love You“ erstmals an einen Stones-Klassiker ran und verschonen die Fans im Gegenzug mit Blödeleien der Marke „Rote Rosen“ oder „Azzuro“.

Die Hosen stehen jetzt unangefochten an der Spitze der Rock-Nation, zu heißen Höschen sind sie trotz Charts-Weihen und Mega-Hallen nicht verkommen – sie geben Vollgas bis zum bitteren Ende. Programmatisch auch der Schluß – Campi wagt trotz drei Meter hoher Bühne den Kopfsprung in die Menge: „Mehr davon“.