Drafi über Deutsches: Mit Vollgas in Die Grönemeyer-Lücke


"Verdammt, ich lieb' dich" war nur die Spitze des Eisbergs. Beflügelt durch den Erfolg von Matthias Reim, versucht sich die deutsche Schlagerzunft an der neuen Kernigkeit. Mit harter Schale und weichem Kern popularisieren sie das, was ihnen Herbert Grönemeyer vorgesungen hat. Drafi Deutscher, der Schrittmacher teutonischer Schlagerkultur, kommentiert die "neue deutsche Emphase".

Die neue deutsche Emphase, der neue (deutsche Schlager, wie immer man das Kind nennen will, das ist letztlich alt. Selbst zu den Zeiten von Ideal und den Neonbabies, inzwischen auch schon über zehn Jahre her, gab es eigentlich auch nichts Neues. Aber alles war damals rotziger vorgetragen, man persiflierte sich auch ein wenig selber, machte Spaß. Und das war genau das, was gut war und aus dem Bauch kam: die Einstellung. Die war wirklieh neu und interessant.

Diese neue Einstellung kann ich bei der deutschen Pop-Produktion des Jahres 1990 nicht unbedingt entdecken. Edo Zanki zum Beispiel war für mich immer einer der Größten. Leider hat er mitunter das Problem, sich selbst im Weg zu stehen. Er scheint einfach nicht den Mut zu haben, mal alle Hemmungen fallen zu lassen und zu zeigen, wie’s in ihm wirklich aussieht. Er glättet und feilt, er ist Producer mit Leib, Seele und Talent – vielleicht ein krasses Wort: leider ein Fachidiot. Das ist wirklich nicht böse gemeint, denn er ist einer der wenigen in Deutschland, die hervorragend singen können. Sein „Uns bleibt die Nacht“ hat von der Produktion her alles für einen Hit, mir jedoch sagt es nichts. Wenn man zuviel feilt, geht halt das Feeling verloren, und das merken die Hörer meist sofort.

Witzig gemeint, aber trotzdem völlig witzlos sind für mich Bayernpower – oder ich versteh es einfach nicht. Wenn man schon meint, so was wie „Looking For Freibier“ machen zu müssen, dann aber bitte richtig: mit echter Blaskapelle, Hofbräuhaus-Atmosphäre, dann könnte das Ganze durchaus Charme bekommen. Aber so, dermaßen bemüht gesungen, bemüht produziert, geht alles den Bach runter. Gegenbeispiel: Bob Geldof. Sein „Song Of Indifference“ ist auch Folk Music, ohne Rücksicht auf falsche Töne produziert, aber mit echtem Feeling und urwüchsig interpretiert – das hat einfach Klasse.

Jocco Abendroths „Schafe“ klingen wie deutscher Pseudo-Country: Angestrengt drekkig gesungen, aber echt wäre es nur, wenn er sich eben nicht so anstrengen müßte, dreckig zu klingen. Wer so bewußt artikuliert und akzentuiert, trägt einfach zu dick auf. Herbert Grönemeyer würde es ganz anders machen: einfach los und raus damit. Man versteht bei ihm kaum die Hälfte des Textes, und doch kommt viel mehr rüber.

Genau in die gleiche Kerbe haut für meinen Geschmack Kalkowski. Genauso bemüht, genauso angestrengt und leider für mein Gefühl ziemlich lieblos produziert. Wenn man versucht, so rock ’n‘ roll-mäßig zu klingen wie auf „Sturm“, so muß man mehr Eigenes ausdrücken können. Dieser „Sturm“ hat eindeutig nur im Plattenstudio stattgefunden.

Bernward Bükers „Mein kleines Herz“ überzeugt mich da viel mehr, obwohl hier ja durch die Ironie des Textes eine gewisse Distanz da ist. Trotzdem spürt man hier, wie der Song, wie die Musik aus dem Bauch kommt. Die Produktion klingt schön unbehauen, die Gitarre fetzt unbekümmert los, der Refrain ist toll. Müßte eigentlich erfolgreich sein.

Über Erfolg kann sich Matthias Reim natürlich nicht beklagen, obwohl ich wegen des nun einsetzenden Erfolgsdrucks nicht in seiner Haut stecken möchte. Andere haben das schon schmerzhaft erfahren.

Matthias Reim hatte für seinen Hit den glücklichen Umstand, daß er in einer Zeit kam, in der Herbert Grönemeyer gerade nicht präsent war. Und es gibt einen großen „Grönemeyer-Bedarf“ bei uns. Diesem Geist entspringt auch Matthias Reims Musik, nicht unbedingt in textlicher Hinsicht, aber in der Machart, die Art zu singen, das Verschlucken der Silben.

Ich habe bereits früher einmal gesagt, daß ich Grönemeyer für einen tollen Schauspieler halte, ihn als Sänger aber grauenhaft finde. Doch das Merkwürdige ist: Er geht mir trotzdem unter die Haut. Es gibt Lieder von ihm, die mich berührt haben wie nichts sonst, obwohl er wirklich ein absoluter „Anti-Sänger“ ist. Er ist vielleicht der einzig wirkliche deutsche Chansonnier, wonach alle jahrzehntelang Ausschau hielten. Er hat diesen Ausdruck von Jacques Brei, bei dem man auch immer etwas versteht, selbst wenn man kein Französisch kann.

Vergleiche hinken, aber entweder man fühlt beim Hören, daß da etwas ist oder nicht. Grönemeyer bringt unheimlich viel rüber, Gereimtes/Ungereimtes, aber immer echt und so dargeboten, daß man es ihm tatsächlich auch abnimmt. Matthias Reim kann das so hinschreiben und singen: „Verdammt, ich lieb‘ Dich“. Grönemeyer hätte da wohl seine Schwierigkeiten, etwas so simpel zu sagen. Er ist deshalb eigentlich kein „Bauch-Typ“, auch wenn er’s vielleicht gern sein möchte. Herbert Grönemeyer ist ebensowenig der Gossen-Rocker, obwohl es mal Zeiten gab, wo er wirklich viel einstecken mußte. Trotzdem: Grönemeyer ist der Guru, Matthias Reim die Volksausgabe. Beide haben ein riesiges Publikum, das sicher zu großen Teilen auch identisch ist. Aber beiden ist es bisher nicht gelungen, die Verwunderung darüber abzubauen, wenn mal wieder ein deutscher Schlager die Nummer 1 der deutschen Charts ist. Und beide sind keine „Welle“: Wenn jemand glaubwürdig ist und etwas – gar nicht mal furchtbar Kompliziertes – zu sagen hat, das einfach in sich stimmt und das er auf persönliche Art rüberbringt, dann kann es auch erfolgreich sein. Das galt für „Marmor, Stein und Eisen bricht“, und das gilt genauso für „Verdammt, ich lieb‘ dich“.