Lenny Kravitz: Lenny gegen den Rest der Welt


Lenny Kravitz geht´s nicht gut. Lenny Kravitz ist deprimiert. Fast zwei Wochen hat er an seinem Friedens-Ding gearbeitet wie ein Beknackter, und dann bricht ausgerechnet am Tag nach der "Give Peace A Chance"-Premiere der Krieg aus. Offensichtlich gehören George und Saddam nicht zur MTV-Gemeinde, die Lennys Peace-Video inzwischen rund um die Uhr konsumiert.

Außerdem ist es 10 Uhr morgens, und wir wissen ja alle, was die berüchtigte Morgenstund tatsächlich im Mund hat. Besonders für Rock ’n‘ Roller.

Aber Lenny wollte sie ja nicht anders, die Morgenstund. Er sei an harte Disziplin gewöhnt, lächelt er etwas gequält, nicht umsonst sei er einst Mitglied des berühmten „California Boys Chor“ gewesen und sei sogar mit der Metropolitan Opera in New York aufgetreten.

Leonard Kravitz – Sänger für Frieden und Liebe, Dreadlock mit unafrikanischem Namen – hat noch mehr Überraschungen in petto. Der Sohn eines jüdischen Fernsehmanagers und einer erfolgreichen schwarzen Schauspielerin ist an den unorthodoxen Lebensstil des Showgeschäfts gewöhnt. Der Upper Middle Class-Sprößling hörte mit der hebräischen Schule auf, weil die Yarmulke nicht über seinen Afro paßte. Auch die Beverly Hills High School, wo die Pinkels der Stars ihre „Commes Des Garcons“-Klamotten im BMW-Cabrio präsentieren, paßte ihm nicht, und so ließ er sich von den Eltern kurzerhand die Kohle fürs College auszahlen, um damit monatelang in Aufnahmestudios rumzuspielen.

Damals wollte er David Bowie werden, nannte sich Romeo Blue, lebte in seinem Auto und hatte neben tiefblauen, handbemalten Kontaktlinsen auch die wildeste Punk-Frisur Kaliforniens. „Kurz, ich war ein echter Arsch damals“, erinnert sich Kravitz amüsiert.

Heute ist er ein Netter, ehrlich. Manche Leute sind nun mal sehr nett. So nett, daß man fast zum Sadisten werden könnte. Denn trotz aller Freundlichkeit bekommt er das Maul einfach nicht auf und geht zum Lachen am liebsten in den Keller. Zugegeben, es sind ernste Zeiten, in denen wir leben. Aber Lenny Kravitz nimmt alles sehr ernst. Besonders sich selber. Also reden wir über Lenny Kravitz. Siehe da. nun wacht er auch auf. Da das mit Spannung erwartete neue Kravitz-Album fertig ist (Veröffentlichung im April), reden wir erst mal über das alte: „Was soll das heißen, ich klinge wie eine Mischung aus Lennon und Hendrix?! Für mich gibt es keinen Vergangenheits-Fetischismus. Für mich gab es nur einen guten Sound damals. Seitdem ist er jedenfalls nicht besser geworden. Es kam nur immer mehr neuer Scheiß raus, immer neuere Technologie. Aber das alte Zeug ist immer noch besser. Hör dir doch Stevie Wonders ´Innervision´ an, oder Hendrix‘ ´Axis Bold As Love‘, und sag mir, das seien keine Klassiker. Neuer Scheiß riecht nicht besser, nur weil er neu ist.“

Naja, aber vielleicht starker. Als Jimi die Saiten kaute, war Kravitz gerade mal drei Jahre alt, Lennons „Hair Peace“ erlebte er im Alter von sieben, und als Stevie Wonder nach innen schaute, feierte Klein-Lenny seinen neunten Geburtstag. Sowas prägt.

„So what?“ spricht der heutige Kravitz. „Ich stehe auf guten Sound, natürlichen Klang, dreidimensionale Sound-Qualität. 99 Prozent von dem, was ich heute höre, ist durch die Bank weg Mist. Der meiste Rock von heute ist doch Scheiße. Es gibt keinen Rhvthm & Blues mehr, keinen Soul. Wann hörst du schon mal eine gute Melodie? Heute klingt alles wie hohle Fassade, nur noch Zuckerguß-Video-Scheiße, nur noch Image ohne Musik.“

Man kann ihm viel vorwerfen, aber oberflächlich klingt sein Zeug nicht, da hat er recht.“ Und dann erzählt ihr mir, ich sei ,old style‘. Fuck `old style´! Ich bin jetzt‘, wie kann ich da alt sein? Und wenn’s so wäre, warum rennen mir dann alle Motherfucker die Türen ein, um den Lenny Kravitz-Sound zu bekommen? Aber Klauen und Kopieren funktioniert bei mir eben nicht. Bei mir ist alles ehrlich. Mein Sound kommt aus mir heraus. Hör dir doch mal meine neuen Songs an.“

Fast unglaublich, aber wenn er sich nicht gerade über was ärgert, wirkt Lenny fast schüchtern, mit seinen Dread-Locks, den schlanken Händen, an denen er sich meistens festhält. Da sitzt er im Aufnahmestudio in Los Angeles, in seinem braunen Samtanzug, mit dem FIower Power-Hemd, einem silbernen Riesending am Hals und natürlich seinem Nasenring. (Eine MTV-Talkshow hatte sehr zu Lennys Verwunderung sogar einmal eine bizarre Preisfrage gestellt: “ Wie putzt sich Kravitz die Nase? Nimmt er seinen Ringerst raus, oder bläst er ganz einfach drauflos?“) Und die neuen Songs sind wirklich weit entfernt von „Love Rule, 2. Teil“. Auf der neuen Scheibe ist Kravitz kratziger und härter als auf seinem vielgelobten Erstling. Die Arrangements sind moderner, in vielen Fällen weitaus gewagter. Die altbekannte Schwierigkeit, eine gute erste Scheibe übertreffen zu müssen, hat Lenny mit Auszeichnung gemeistert. Würde so Lennon klingen, wenn sie ihm nicht vor zehn Jahren den Kragen umgedreht hätten? Oder besser: wenn Lennon 27 Jahre alt wäre?“ Ich habe meinen Stil nicht geändert. Ich sitze nicht da und denke mir: Das mache ich jetzt bewußt und ganz gezielt so und so. Meine Musik kommt einfach aus mir raus. Mein Leben wird zu meiner Musik. Ich bin heute ein anderer Mensch als noch vor einem Jahr. Und das ist in meinen Songs folglich auch drin. Das sind alles sehr persönliche Erfahrungen. Das war in vielen Beziehungen auch ein Scheißjahr fiir mich, voller Enttäuschungen. Ich habe viel über Menschen gelernt im letzten Jahr. Ich wurde mehr als einmal echt angeschissen.“

Und dann hält er mal wieder die Klappe. Über Lennys Sorgen und Enttäuschungen wurde unter Insidern viel gemunkelt: Die Ehe mit „Cosby“-Star Lisa Bonet schwankt ständig zwischen Scheidung und Versöhnung, und zwar nicht nur auf den Titelseiten aller Klatschblätter. Alte Freunde beklauten und beschissen ihn. Die unbarmherzige Musikbranche, die Freundschaft nur als Songtitel kennt, forderte ihren Zoll, wie das so schön heißt.

Auch was für Kravitz zunächst als Riesenschritt zum kommerziellen Erfolg galt Madonnas „Justify My Love“, das er komponierte und textete – ging mit aller Gewalt nach hinten los. Prince-Gefährtin Lisa Chavez, die laut Lenny am Refrain des Hits mitschrieb, beschuldigte nämlich Kravitz in aller Öffentlichkeit, ihr den Song geklaut zu haben.

„Bullshit!“ sagt Lenny. „Wir hauen einen ganz klaren Vertrag. Der Song gehört mir. Ich habe den Song geschrieben. Chavez half nur in wenigen Teilen aus. Sie bekommt dafür bis auf den letzten Cent die Kohle, die ihr zusteht. Und wir hatten abgemacht, daß aus professionellen Gründen ihr Name nicht in den Credits erscheint. Sie unterzeichnete einen Vertrag, den sie nun gebrochen hat, weil ´Justify´ auf einmal ein Riesenhit geworden ist.“

Die Madonna-Nummer, von Lenny gleichzeitig auch produziert, rutschte hinter den Kulissen in immer größere Schwierigkeiten, als Madonna nach dem Aufruhr, den die prüden Amis schon über das Video machten, auf einmal mit einem halben Dutzend textlich umstrittener Versionen an die Öffentlichkeit trat. „Ich kann nur sagen, daß ich heilfroh bin, daß dieses Kapitel vorüber ist. Ich bin nicht zynischer geworden, nur wählerischer. Die Leute scheißen dich doch nur an“, murmelt ein sichtlich genervter Lenny in die Locken.

Gut ist er nicht drauf, der Alte. Solche Probleme hauen Kontrolleur Kravitz natürlich auf die Laune. Vielleicht hat er ja recht, alles selber machen zu wollen. Auch die neue Scheibe hat er — Egomane. der er nun mal ist — zum größten Teil selber geschrieben, gespielt und produziert. Nur so geht er sicher, auch das zu bekommen, was er will. „Ehrlich, ich kann einfach die Leute nicht finden, die meine Musik adaequat spielen. Ich wollte, ich könnte“, sagt er auf die Frage, warum er alles alleine machen muß.

„Bei den neuen Songs spielt Slash von Guns n‘ Roses mit, mit ihm komme ich richtig gut klar. Und Sean Lennon spielt Klavier auf einigen Stücken.“ Für Baby Lennon hat Lenny auch sonst nur Lob: „Sean hat voll das Talent seines Vaters geerbt, er wird mit Sicherheit ein Riesenmusiker werden.“

Aber unter dieses Leve will sich Lenny nicht mehr begeben. Er ist Kontroll-Freak, alles muß sich ihm musikalisch unterordnen. „Ich will, daß alles genau so auf die Platte kommt, wie ich es höre. Welcher Bildhauer läßt denn nachträglich an seiner Statue rumhacken? Bands wie Cream, die Rolling Stones, Led Zep oder die Wailers gibt’s nicht jeden Tag – vier, fünf Jungs, die so traumhaft zusammenpassen. Ich hatte noch nicht das Glück, so was zu finden.“

Die Band, mit der er dann wohl oder übel auf Tour gehen wird, muß notgedrungen die Scheibe bis ins Detail nachspielen. „Ich weiß, daß ich in deren Augen ein Arschloch bin, aber das ist mir egal. Ich kann einfach nicht anders.“

Er kommt mit dem Music-Business einfach nicht zu Rande. „Das kannst du laut sagen. Es ist alles extrem deprimierend: Ich hasse Videos, aber ohne Videos kannst du deine Karriere gleich an den Nagel stecken. Heute passiert alles nur an der Oberfläche. Es gibt nicht allzu viel Wahrheit in diesem Geschäft.

Schau dir Milli Vanilli an, oder Vanilla Ice. Ich könnte ja wirklich damit leben, daß Ice zehn Millionen Scheiben verkauft, wenn’s dafür irgendwo die ausgleichende Gerechtigkeit geben würde, wenn ein echter Künstler eben auch zehn Millionen verkauft. Aber das passiert in diesem Geschäft eben nicht.“

Aber los kommt er von dem verhaßten Geschäft auch nicht. Man sollte meinen, daß er nach den elf Tagen Friedens-Streß, nach dem Madonna-Debakel, nach dem Einhand-Segeln der neuen LP die Schnauze wenigstens für ’ne kurze Zeit voll hat. But no … Lenny arbeitet schon an der Produktion einer Platte für Joe Hicks, einem ehemaligen Wailer.

Mit beinahe masochistischem Eifer beißt er sich in das ihm eigentlich fremde Konzept der Selbstaufgabe: „Ab Produzent steh ich hinten an und bin nur dafür da, das Beste, das Neueste aus einem Künstler herauszuholen. Dann bin ich nicht mehr Egomane, sondern Werkzeug.“

Aber im Augenblick geht’s Lenny Kravitz nicht gut. Ganz einsam und deprimiert steht er vor dem Fernsehapparat im Studio, und sieht den Bomben zu, die auf Bagdad fallen.

„Es ist alles so furchtbar deprimierend“, stöhnt er gequält, und dann spielt er mit einer hübschen Blonden weiter Tischtennis.