Bob Dylan
Ein Wettersturz hatte London ins tiefste Sibirien verwandelt. Da wagten sich nur Desperados raus, die sich unschwer als Dylanologen erkennen ließen — kaum zu glauben, wie viele Dylan-Clones noch immer rumlaufen. Bei diesem ersten von insgesamt acht Gigs, die Dylan im Hammersmith Odeon gab, war man indes schon nach zwei, drei Songs mächtig froh, daß man dem arktischen Wetter zum Trotz ins Konzert gekommen war. Denn Dylan ist immer für eine Überraschung gut. und so auch hier.
Bei seiner letzten Visite war Dylan ein fernes Figürchen in der Wembley-Arena. Er umgab sich mit einer ungestümen Rock-Band, sang und murmelte mit beängstigender Besessenheit ins Mikrophon und bot ein intensives, besessenes Spektakel. Er spielt zwar noch die gleichen Songs, aber mit einer anderen Band: Ian Wallace, ehedem bei King Crimson, sitzt an den Drums. Cesar Dias ist vom Gitarrenstimmer zum -Spieler avanciert, und ihm zur Seite stehen eine zweite Gitarre und der Baß. Diese Knaben hatten reichlich Zeit zum Üben; sie spielen bestens zusammen und können es sich sogar leisten, dabei zu lächeln.
Hie und da bricht zwar dennoch auf der Bühne das Chaos aus, doch das liegt wohl eher an der Suche nach frischen Akkordfolgen und Übergängen. Lockere Country-Rock-Arrangements überwiegen, doch das Programm bietet dennoch eine enorme Abwechslung. Dylan legt los mit einer enthusiastischen, wenn auch noch ein wenig klapprigen Version von „Most Likely You Go Your Way And I’ll Go Mine“. Danach klingt „Lay Lady Lay“ fast
schon müde. Zwei entspanntere Nummern wirken flau, doch dafür tost“.Wiggle Wiggle“ um so lauter und wundervoller, und die Gitarrensalven mitten im Oldie „Bob Dylan’s Dream“ setzen ein weiteres überzeugendes Signal. Der traditionelle akustische Mittelteil des Konzerts ist kurz und angenehm: In „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“ bläst der Star sogar ein erträgliches Solo auf der Harmonika. In der nächsten Nummer „Desolation Row“ versucht er’s deshalb gleich nochmal, und das ist schon gräßlicher.
Überhaupt aber zeigt sich Bob lächelnd und in guter Laune und brabbelt sogar gelegentlich ein Dankeschön. Eine relaxte Country-Version von „Like A Rolling Stone“ beendet den Set; als Zugabe kredenzt Bob „Maggie’s Farm“ und „Blowing In The Wind“ mit einer Melodie, die mit dem Original nichts mehr zu tun hat. Da beugt sich ein Besucher zu seinem Sitznachbarn hinüber und kommentiert: „Dieses Konzert isi total enttäuschend. Du klingt ja nichts mehr so, wie mann kennt. Sonst könnte man wenigstens mitsingen. „
Sagt’s und verläßt grimmig den Saal. Er hat’s, wenn auch falsch, verstanden: Solange wir noch nicht mitsingen können, bleibt Dylan auch für Nicht-Fans spannend.