Eine runde Sache
"Ich habe keine Lust mehr, ewig nur im Kreis zu fahren!", sprach Niki Lauda, verschwand für zwei Jahre von den Formel-Eins-Pisten und kam dann doch wieder. Warum bloß?
Das mit Lauda passierte 1985. Nüchtern betrachtet, hatte der Mann damals natürlich recht. Die Herren in den Formel-Eins-Boiiden tun ja tatsächlich nichts anderes, als Runde um Runde im Kreis zu fahren; in dieser Saison auf 16 verschiedenen Kursen, von Phoenix/ Arizona bis Adelaide in Australien.
Doch nicht nur für die Spezies Fahrer kann man am Sinn des Tuns zweifeln. Was treibt einen normal sensiblen Menschen dazu, sich inmitten Horden gröhlender Six-Pack-Trinker auf eine Tribüne zu zwängen, auf der man die Objekte der Begierde nur für Sekundenbruchteile vorbeihuschen sieht? Hokkenheim, 28. Juli 1991. Der Formel-Eins-Zirkus macht Station in Deutschland. Heute machen sich 200 000 Menschen auf dem Weg zum Rennen dreimal soviel, wie das Fußball-Pokalendspiel ins Berliner Olympia-stadion lockt; fünfmal soviel, wie Prince im Frankfurter Waldstadion mobilisiert.
Auch in unserem Land fahren Senna & Co also im Kreis, und die Massen kommen. Dabei können wir Deutsche anders als damals zu Zeiten der legendären Silberpfeile (Carraciola, Stuck und so) – im Moment wahrlich nicht mit deutschen Formel-Eins-Erfolgen protzen: Germanische Rennpiloten treiben – wenn man sie überhaupt ins Cockpit läßt – die Konkurrenz tapfer vor sich her. Und dereinzige Autohersteller, der sich hierzulande zur Zeit in der Formel Eins engagiert, ist Porsche. Der Erfolg ist mehr als mäßig; die schwäbisehen Motoren – im Chassis einer Firma mit dem schönen Namen „Footwork“ platzen regelmäßiger als Luftballons in einer Igelfamilie.
Lichtblicke gibt es für schwarz-rotgoldene Fans im Augenblick nur auf der Sponsoren-Schiene: Die Firma Braun (die mit den Rasierern und Toastern) hat sich beim englisch-japanischen Rennstall Tyrrell-Honda eingekauft. Braun-Tyrrell-Honda mit den Piloten Stefano Modena und Satoru Nakajima gehört zu den ganz wenigen Teams, die in dieser Saison die dominierenden McLaren-Honda gefährden können.
Stellen wir uns also noch mal die Frage: Was treibt einen auch nur minimalst empfindsamen Menschen dazu, sich für dieses lärmige Im-Kreis-Herumfahren zu begeistern?
Es gibt da Bilder aus den Siebzigern, die das Beatle-Sensibelchen George Harrison im Cockpit eines McLaren zeigen und im trauten Gespräch mit Formel-Eins-Weltmeister Jackie Stewart. Jener George Harrison, der als Hare-Krishna- Anhänger normalerweise jeden Laut verabscheut, der über dem Geräuschpegel einer Sitar liegt. Und trotzdem: Harrison – wie übrigens auch Leo Sayer – fehlt bei kaum einem Rennen.
Damit nicht genug zum Thema Pop-Musik und Formel Eins. Auch umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Gazetten berichteten jüngst von den Gefühlswallungen, die eine Rock-Oma namens Tina Turner bei dem – vergleichsweise – Renn-Jüngling Ayrton Senna auslösten. Der, sonst eher schüchtern, sah die Neu-Kölnerin beim Diner in einem französischen Nobelrestaurant, und schickte sofort einen Sendboten aus, um ein Rendezvous zu arrangieren. Was draus wurde, ist nicht bekannt.
Die bisher unglücklichste Liaison zwischen Autorennen und Pop gab es
1981 zwischen dem weiland Abba-Drummer Slim Borgudd und einem – zu recht vergessenen – deutschen Formel-Eins-Stall namens ATS. „Waterloo“, der erste Hit der schwedischen Band, stellt das Leitmotiv dar für diese Verbindung. Nach zehn Rennen hatte der Schlagzeuger ein Einsehen – und fährt seither Truck-Rennen.
Wir reiten deshalb so auf der Verbindung Pop und Formel Eins herum, weil diese beiden Bereiche der Hochkultur insgeheim doch eine Menge gemeinsam haben. Beide sind sie Massenphänomene, die ein Übermaß an Glanz und Glamour verbinden mit einem gewissen Mangel an Schwergewicht und Relevanz – Unterhaltung eben. Und beide haben sie Fans, die ihren Idolen auf immer und ewig fest verbunden sind. Wer einmal Westernhagen-Verehrer war, wird sich eher entleiben, als je eine Karte für ein Kunze-Konzert zu erstehen. Und wer sich irgendwann für Senna entschied, wird Prost-Autogramme nur sammeln, um sie öffentlich zu verbrennen.
Auf den Autobahnen rund um den Hockenheim-Ring am 28. Juli: Etwa 100.000 mal tieferes, breiteres, schnelleres, bunteres Blech; 200.000 Menschen auf der Suche nach dem bißchen Mehr an weiter Welt, auf der Suche nach der Eleganz des Motorsports, auf der Suche nach dem Flair – und auf der Suche nach einem Parkplatz. Aus den meisten der 300-Watt-Booster, mit denen die witz- und rufgeschädigten Rennsportattrappen bestückt sind, die hier bevorzugt geparkt werden, dröhnt nicht – wie anzunehmen wäre – Peter Maffay. Hier verehrt man AC/DC, Joe Cocker und die Stones; und selbstverständlich „Born To Be Wild“, und sei es nur ein Wochenende – Steppenwolf und Motörhead. Klischees, wohin man blickt, live und in Farbe, am langen Meter und ohne Ende.
Und doch: Im weiten Rund des Motodroms wird auch der größte Skeptiker gefangen von der brodelnden Atmosphäre. So, wenn Ayrton Senna und Alain Prost, die beiden besten Fahrer der letzten Jahre, sich auf der Zielgeraden befehden. Die Zuschauer springen auf von ihren Plastiksitzen und Holzbänken, wenn die Formel-Eins-Renner vorbeidonnern, klatschen, staunen, jubeln. Es kommt was rüber von der Spannung, es kommt was rüber von der grenzenlosen Freiheit des kleinen und des großen Mannes. Ein bißchen was erinnert wirklich an „Born To Be Wild“.
Die V.I.P.-Zelte im Fahrerlager sind prall gefüllt mit society-hungrigen Gestalten, deren Motto: Dabeisein ist alles. Vergleichbar ist die Atmosphäre mit den Backstage-Aufläufen bei Konzerten, wo sich eine auserlesene Schar von Fans im Glänze ihrer Heroen so gerne sonnt.
Und ein bißchen ist es auch so wie auf einer dieser merkwürdigen After-Show-Parties, wenn der Künstler sich die Ehre gibt, um marketingstrategisch günstig, aber völlig entnervt, dennoch werbewirksam – seinen Geburtstagskuchen mit gefräßigen Journalisten zu teilen.
Hier wie dort scheint die Menschen so etwas magisch anzuziehen. Mag sein, es ist Großmannssucht. Mag sein, es ist zwanghaftes Dabeiseinmüssen. Mag auch sein, es ist für die Leute nicht mehr als nur ein großer Spaß.
Was fasziniert die Leute an der Formel Eins? Noch ein Argument: Monte Carlo im Mai!
Strahlend steht Ayrton Senna auf dem Sieger-Treppchen. Um den Hals hängt ihm ein Kranz aus güldenem Lorbeer, in der linken Hand hält er den überdimensionalen Siegerpokal in die gleißende Abendsonne. Die Magnum-Flasche Champagner steht kurz vor der Explosion. „We are the champions“-feeling kommt auf der Song, den seit Jahren jeder gröhlt, der etwas gewinnt. Der Teutonia Treuchtlingen als Faustballmeister der Kreisklasse B genauso wie Lothar, Klinsi und Auge vergangenes Jahr in Rom.
Nüchtern betrachtet, haben die Helden der automobilen Neuzeit auch an diesem Sonntagnachmittag in Monte Carlo nichts anderes getan, als zwei Stunden lang im Kreis zu fahren und gut 5.200 Liter Sprit in die Luft zu pusten. Ein Liter des wertigen Formel-Eins-Benzins kostet übrigens knapp 30 britische Pfund, etwa 90 Mark also. Macht bei 26 Rennern zusammen eine satte halbe Million, Training und Qualifikation nicht eingerechnet.
Aber: Fort mit unseren rationalen Gedankengängen, Monte Carlo hat Flair – unbestritten. Auf den zusammengezimmerten Tribünen rund um die engen Straßen im Fürstentum tummelt sich viel Prominenz – bei Kaviar und Champagner. Fürst Rainier hat die Spendierhosen aus dem Schrank geholt, und seine Tochter, die dem Popgesang so hartnäckig verbundene Princess Stephanie, begrüßt all die anderen, die von Marbella oder St. Tropez kommend diesem Fixpunkt im Jahresablauf des Jet-Sets ihre Referenz erweisen. Im Yachthafen des Zwerg-Staates liegen knapp 500 Millionen Dollar Schiff im Wasser und rundum: Ein wenig verklärte Automobil-Romantik, ein paar Fitzelchen Erotik, viele-viele PS unter blankgeputzten Hauben, postmoderne Helden – und wiederum greifbar: jede Menge Klischees. Formel Eins, der Auto-Zirkus. Staunen, Bewundern, Begaffen. Von oben sieht die Steueroase der Superreichen aus wie eine bunte Spielzeugwelt aus Legosteinen, in deren Straßen ferngelenkte Modelle um die Wette fahren. Alles mit einen Hauch von Romantik, von Esprit und nonchalanter Unterhaltung. Nüchtern betrachtet sind die Auswüchse, die dieser Zirkus angenommen hat, eigentlich kaum zu vertreten. Sei es nun aus dem ökonomischen Blickwinkel betrachtet – Was kostet das für ein Geld? Oder aus dem ökologischen – Was pusten die da in die Luft? Oder aus dem soziologischen Blickwinkel betrachtet – Soziologen stellen verstärkt adaptives Verhalten nach Molorsportveranstaltungen fest; was im Klartext nichts anderes bedeutet, als daß im Anschluß an Autorennen die Unfallkurve steil nach oben geht.
Aber wir sind ja nicht immer nüchtern – ebensowenig wie George Harrison oder Niki Lauda.