Simple Minds: New York, Beacon Theatre
Der Muskelkater war praktisch schon vorprogrammiert. Als Jim Kerr nach fünfjähriger Abwesenheit erstmals wieder eine amerikanische Bühne betrat, streckten sich ihm die Hände entgegen, als sei der Messias persönlich erschienen.
Die Schwarzmarkthändler am Broadway ließen nicht mit sich spaßen: Die Simple Minds waren ausverkauft – bereits Wochen vor dem zweiten Konzert ihrer ersten US-Tour in fünf Jahren. Und das bei Schwarzmarktpreisen von 60 Dollar und mehr. Aber nun ist das „Beacon“ auch keines der Stadien, wie sie die Schotten in Europa füllen. Die Tatsache, daß Kerr & Co. die Staaten arg vernachlässigt haben, schlägt sich halt auch in der Größe der Halle nieder: Wir sind in einem Konzertsaal mit einer Kapazität von gerade mal 2000 Sitzplätzen.
Die allerdings scheinen an diesem 30. Mai niemanden zu interessieren. Von der ersten Sekunde an sind die Fans auf den Beinen, reißen die Arme in die Höhe und singen bis zur Heiserkeit mit. Da läßt sich ein Jim Kerr natürlich nicht lumpen: Die Finger in die Höhe gereckt, die Augen nach oben gerichtet, tritt er dramatisch in die Luft oder aber rennt über die Bühne, um Blumen der Fans entgegenzunehmen, sich von Pocket-Kameras ablichten zu lassen, in feuchte Mädchen-Augen zu blicken oder schweißnasse Hände zu schütteln. Nein, seine pathetische Ader ist auch nach fünf Jahren nicht versiegt.
Die New Yorker goutieren den Körper- und Stimm-Einsatz mit üppigem Beifall – und sehen dabei über Schwachstellen, gerade im textlichen Bereich, großzügig hinweg. Selbst platte Klischees („I feel so alone, I ‚m stranded and so far from home“) oder der endlose Regen, der aus unzähligen Kerr-Texten trieft, werden mit einer für New York unüblichen Begeisterung aufgenommen.
Kerrs schlaksiger, bellender Tenor hat allerdings in den letzten Jahren merklich mehr Identität entwickelt und so ein wenig Abstand zu Bono gewonnen. Charlie Burchills Gitarrenspiel ist emotional, mit vorwiegend offenen Akkorden und lange klingenden Einzelnoten – gleichermaßen die Band prägend wie im Gruppen-Sound integriert. Schlagzeuger Mel Gaynor spielt kraftvoll, wenn auch ein wenig martialisch, und die beiden Neuzugänge, Bassist Malcolm Foster (ehemals Pretenders) und Keyboarder Mark Taylor (ehemals Alarm), passen sich mit soliden Beiträgen nahtlos ins alte Konzept ein.
Die stärksten Momente hat die Band in Passagen, die – intelligent und sparsam orchestriert – viel Raum lassen und eine elegante Transparenz entwickeln. Höhepunkt ist, wie nicht anders zu erwarten, „Don’t You (Forget About Me)“, der einzige Hit der Band in den USA. (Das allerdings auch nur als Folge des Films „The Breakfast Club“, für dessen Soundtrack das Stück 1985 eingespielt wurde.) „Don’t You“ klingt aus im a cappella der gröhlenden Fans, die auch sonst kein „la la la“ oder „hey“ auslassen, um Kerrs Vokal-Dramatik mit allen Mitteln zu unterstützen. Trotzdem: Der Hang zum Bombast und die hymnische Qualität des Simple Minds-Sounds wirken mittlerweile selbst in der für die Tour abgespeckten Form ebenso altmodisch wie das bunte Licht und der unvermeidliche Bühnenrauch. Andererseits sind vor allem in den neuen Songs aus „Real Life“ griffigere und riff-orientiertere Themen zu erkennen – als hätte die Band INXS einmal genauer auf die Finger geschaut.
Die Show, schlau kalkuliert und absolut professionell umgesetzt, riß das sonst schnell gelangweilte New Yorker Publikum jedenfalls zu ungewohnten Begeisterungsstürmen hin. Und sie blieben nicht ohne Wirkung: Wie aus dem Simple Minds-Lager zu hören war, wollen die Schotten aufgrund der unerwarteten Resonanz bereits im Herbst in die USA zurückkehren.