Joe Cocker: Fossil mit Stil


Joe Cocker schlägt aus der geschundenen Kreatur Kapital

Köln. Das Vorprogramm fiel aus. „Swamp-Fox“ Tony Joe White, ebenso wie Cocker und Tina Turner von dem Starmacher Roger Davies gemanagt, mußte seinen Auftritt aus Krankheitsgründen kurzfristig absagen: eine verschleppte Mittelohrentzündung, Gleichgewichtsstörungen, das vorzeitige Aus (siehe Kasten Seite 49).

Das Publikum in der ausverkauften Kölner Sporthalle vermißte ihn nicht – sie waren von Kopf bis Fuß auf Joe eingestellt, dessen bewegtes Leben man zum Auftakt per Video Revue passieren ließ: vom Klempner in Sheffield zum Kassenmagneten in den Staaten, vom „Sänger der Unterprivilegierten“ zum Woodstock-Veteranen mit Alkohol- und Finanzproblemen. Lebensgeschichte als Leidensweg – bunte Bilder einer tristen Existenz, die sich hier und heute zu einem ebenso späten wie unorthodoxen Triumph verdichtet.

Tosender Beifall, als der 48jährige kurz nach neun – verstärkt durch seine achtköpfige Band – vor seine Kölner Fans tritt. Der forsche Anfang mit „Cry Me A River“, „Feelin‘ Alright“ und „Hitchcock Railway“ deutet an, was ein effektiver Manager und eine umsichtige Ehefrau bewirken können: Cocker wirkt locker, ist wach und aufgeräumt. Mit kessen Sprüngen bedeutet er seinen Begleitern das Ende schneller Songtitel. Er rudert zwar immer noch mit seiner Windmühlenarmen und greift in die Saiten einer unsichtbaren Gitarre, aber aus dem „Spastiker“ ist ein sympathisch-unbeholfener Entertainer geworden. Cocker als Rock-Grandseigneur.

Dazu paßt seine neue Garderobe, dazu gehört auch die große Produktion mit effektvoll-eleganter Lightshow, dazu zählen natürlich auch die beiden tanzenden Chordamen. Alles stimmt: Cockers Mannschaft – darunter sein Langzeit-Gefährte Keyboarder Chris Stainton – findet genau die richtige Balance zwischen solidem Zuspiel, druckvollem Schub und ausgelassener Spielfreude. Nicht zuviel, nicht zu wenig, alles abgestimmt auf den Mann hinter dem Mikrofon und das mit Hits gespickte Zwei-Stunden-Programm: „Up Where You Belong“, „Shelter Me“, „Unchain My Heart“, „Many Rivers To Cross“ – die Reihe der Klassiker ist schier endlos.

Auch der Ablauf des Abends wirkt gelungen: Geschickt werden Stimmung und Schlagzahl gesteigert, Alt und Neu gemischt und Programm-Höhepunkte (wie „You Can Leave Your Hat On“) herausgearbeitet. Nach 14 Titeln und anderthalb Stunden ist der reguläre Set beendet. Fünf Zugaben sind vorgesehen, drei Songs im ersten, zwei im zweiten Teil, darunter das obligatorische „With A Little Help“ mit dem ebenso obligatorischen Brunftschrei, das immer wieder schöne „You Are So Beautiful“ oder der Box Tops-Evergreen „The Letter“. Cocker ’92 macht Mut. Auf der Bühne statt im Trockendock, ist er inzwischen ein Star, der den späten Lohn seiner Mühen erntet.

Was macht es da schon aus, daß seine Stimme in hohen Lagen brüchig wirkt wie altes Pergamentpapier, daß Stimmdruck und Volumen tief in irgendeiner Flasche versenkt wurden, daß der berühmte, gequälte Schrei heute noch gequälter klingt als in früheren Jahren? Joe Cocker ist selbst an schlechten Tagen immer noch besser als andere an ihren guten.

In Köln hatte er diesmal einen ganz besonders guten Tag. Und das gut bediente Publikum einen ganz vortrefflichen Abend.