Therapy?


Therapeuten an die Front. Das Power-Trio aus Nordirland hadert mit seinem Image. Nicht Krach, nicht Chaos, sondern die hohe Kunst der Verstellung steht auf dem Programm von Andy Cairns & Co.

Blauer Postkartenhimmel über Hamburg. Auf der Außenalster spannen sich die Segel der Ausflugsboote unter einer frischen Brise. Japanische Touristen knipsen sich an der Uferpromenade – „Bitte lecht fleundlich!“ – die Finger und Linsen wund. Nur einen Steinwurf weiter, in der Fußgängerzone, führt das leichtgeschürzte Jungvolk seine neuesten Tätowierungen aus, und zwei Mädels unterhalten die Passanten mit einer phantastische Straßenmusik-A-capella-Version des Red Hot Chili Pepper-Songs ‚Breaking The Girl“. Fürwahr ein herrlicher Tag, um Helden zu zeugen. Aber nicht, um Interviews zu geben.

Das sieht Therapy?-Drummer Fyfe Ewing genauso. Im 7. Stock des Hauptquartiers der Plattenfirma hat er seinen Kopf auf einen der Konferenztische gelegt und schläft tief und fest. „Pst“, wispert Bassist Michael McKeegan und führt mich hinaus, „Drummer brauchen ihren Schlaf.“ In Konferenzraum Nr. 2 wartet bereits Andy Cairns, Sänger, Gitarrist und optisches Aushängeschild des Trios aus Nordirland. In den Therapy?-Videos immer mit feistem Gesicht und finsterer Miene gleich als eine Art irdischer Stellvertreter des Beelzebub zu erkennen, kommt mir hier und heute ein breit grinsender junger Mann entgegen, der mich mit seinem „schwarz gefärbten Igelschnitt und dem auf Stoppellänge gestutzten Caballero-Bärtchen ein bißchen an den Ärzte-Bassist Roddy Gonzalez erinnert. „Nein, mir macht es nichts aus, an einem so wunderschönen Tag Interviews zu geben“, schickt er gleich voraus und verfolgt mit seinen Blicken ein Flugzeug, das einen weißen Kondensstreifen an den Himmel malt, als wolle es ihn dort festnähen, „jedenfalls nicht, wenn man ein Album im Gepäck hat, auf das wir alle stolz sind.“ Auch nicht, wenn man x-mal am Tag immer die gleichen Fragen gestellt bekommt? Andy Cairns läßt ganz den abgeklärten Profi raushängen: „Nein, soviel Sendungsbewußtsein muß man schon haben. Und wer sagt denn, daß man auf die gleichen Fragen immer die gleichen Antworten geben muß?“ Andy und Michael spielen gern ihre Spielchen mit Journalisten. Besonders wenn es darum geht, die Fundamente ihrer Musik freizuschaufeln, schaltet Andy sofort auf Ironie und redet wortreich um den heißen Brei herum. Wenn er nicht will, muß eben das Info der Plattenfirma herhalten. Und da werden die Herren mit dem Statement zitiert: „Wir verwenden Samples, also müßten wir eigentlich eine Industrial Band sein. Wir hüpfen viel auf und nieder, demnach müßten wir eine Punkband sein. Und wir haben echte Riffs, so daß wir im Prinzip eine Metalband sein müßten.“ Wie aufschlußreich, doch eine Band, die permanent versucht, sich allen Festlegungen eloquent zu entziehen, hat etwas von einem Chamäleon, das je nach Laune Farbe und Meinung wechselt. „Na und?“, wirft Michael McKeegan ein und streicht sich so heftig über die Gl-kurzen Haarstoppeln, daß man sich wundert, daß keine Funken sprühen, „immer noch besser, als jahrein jahraus das gleiche zu machen. Wir sind schließlich nicht Status Quo, wir wollen die Leute immer wieder überraschen. Wir wollen beweisen, daß wir uns mit jedem Album weiterentwickeln. Es gibt doch nichts Traurigeres als 40jährige Familienväter, die immer noch den 18jährigen Rebellen heraushängen lassen. Diese Berufsjugendlichen können mir gestohlen bleiben“, ereifert sich Michael. „Ich hatte absolut keine Lust mehr, ein weiteres Punk-Metal-Album zu machen, das sich hauptsächlich um Probleme von Teenagern dreht. Ich bin jetzt 29 Jahre alt und mir zu schade, ständig den ewig Jugendlichen geben zu müssen“, mischt Andy Cairns sich ein.

Was aber ist mit der vielgerühmten ’street credibility‘, die Therapy? auch für Fans von Metallica, Nirvana bis hin zu Green Day so attraktiv macht? „Vielleicht, daß wir nie in den Kategorien des kommerziellen Erfolgs gedacht haben“, erklärt Andy allen Ernstes. „Uns war von Anfang an nur eins wichtig: einmal ein Album in den Regalen der Plattenläden stehen zu haben. Wir haben nie an strategische Ziele wie den internationalen Durchbruch oder den nächsten Plattenvertrag gedacht.“ Bei aller Bescheidenheit, ganz so naiv und unbelastet können Therapy? nicht an die Produktion ihres neuen Albums ‚Infernal Love‘ herangegangen sein. Schon allemal nicht nach dem großen Erfolg von ‚Troublegum‘ und dem Trubel der letzten 15 Monate, der beinahe zum Split der Band geführt hätte, wie der Song ’30 Seconds‘ in seiner ursprünglichen Fassung und der Zeile „our destiny is rubble – there is no light at the end of the tunnet“ belegt. Daß daraus dann „there is a light at the end of the tunnel“ wurde, spricht für die Moral der Band, auch wenn sich Michael McKeegan bei diesem heiklen Thema mehr als be(titel)

deckt hält und statt dessen lieber ins allgemein Unverbindliche abschweift. „‚Infernal Love‘ ist eine Kombination der besten Elemente aus den Anfangstagen der Band, als wir mit unserem Material noch sehr viel mehr herumexperimentierten und den dynamischsten Songs von ‚Troublegum‘. Wir hoffen, daß es ein Album geworden ist, das den alten Therapy?-Fans ebenso gefällt wie unseren neuen.“

Das klingt verdammt nach Politiker, der gerade einen Wahlkampf führt, seine Stammwählerschaft nicht vergrätzen, zugleich aber neue hinzugewinnen will. Man kann förmlich sehen, wie das Wort ‚Politik‘ Andy Cairns in die Nase und Ohren fährt und der Hinweis auf etwaige ‚Marketingstrategien‘ fürs neue Album das Faß sofort zum Überlaufen bringt. Andy springt auf und poltert los: „Ja, glaubst du denn, daß wir unsere Musik wie einen Werbefeldzug planen?!“ Mit einem Schritt steht er am Fenster mit Blick auf die Alster und äfft gekonnt den Marketing-Typen einer Plattenfirma nach, dem die ganze Stadt zu Füßen liegt: „Laßt mich sehen. Wie können wiiirrr diese Stadt mit unserremm neuen Album errroberrrn? Ich hab’s: Wiiirrr nennen es ‚HAMBURRRG‘!!“ Er macht eine Geste wie Chaplin im „Großen Diktator“, um sich abrupt wieder umzuwenden: „Glaubst du, so läuft das?!“

Hoppla, so also reagieren Stars, wenn man ihnen mal ein bißchen stärker auf die Füße steigt. Sag ihnen, daß du ihre neue Platte für den hinterletzten Müll hältst. Sie werden dich in musikästhetische Diskussionen verwickeln. Sag ihnen, daß du sie dumm und anmaßend findest, und sie werden das für in höchstem Maße amüsant und gesprächsanregend halten. Aber sag ihnen niemals, daß du sie clever und berechnend findest, denn damit brichst du das ungeschriebene Gesetz, wonach Kreativität mit Unschuld gleichzusetzen ist. Gibt es denn niemals den Moment im Studio, wo einer aufsteht und sagt: ‚Dieses oder jenes Arrangement können wir keinem Hörer zumuten, der bekommt sonst den Schock seines Lebens.‘ Schwupp, schon wieder habe ich in ein Wespennest gestochen. Andy Cairns und Michael McKeegan halten jetzt lange und breite Vorträge über die neuen, für Therapy? völlig ungewöhnlichen Arrangements auf ‚Infernal Love‘, wie etwa das Cello-Quartett in der Hüsker Dü-Coverversion ‚Diane‘ und die Streicher in der liebessäuselnden Ballade ‚Bowels Of Love‘. Apropos Love. Mike Muir von den Suicidal Tendencies hat einmal gesagt: „Achte mal darauf: wenn eine Band irgendwann das Wort ‚Love‘ in einem ihrer Songs verwendet, will sie auf Biegen und Brechen den Durchbruch schaffen.“ Das neue Therapy?-A!bum heißt ‚Infernal Love’… „Da kannst du mal sehen, wie weit man mit so einem beschissenen Dogmatismus kommt, Mike Muir hat doch seine fucking Band gerade aufgelöst!“ schimpft Andy Cairns wie ein Rohrspatz, „diese ganze Kraftmeierei ist sowieso unglaubwürdig. Schau dir doch manche von diesen Jungs an. Geben auf der Bühne das satanische Tattoo-Monster und gehen anschließend heim zu Mammi, weil die den besten Shrimps-Salat der Welt macht!“

Sind Therapy? im Privatleben eigentlich genauso exaltiert wie auf der Bühne? „Von welchem Privatleben sprichst du?“, will Michael McKeegan wissen, „wir nehmen Platten auf, touren rund um die Welt, da bleiben fürs Privatleben höchstens ein paar Tage, so rund um Weihnachten. Und das war’s dann auch schon.“ In der Tat, Therapy? sind fleißig wie ein Hamster im Laufrad. In den sechs Jahren ihres Bestehens haben sie vier Alben, ein Mini-Album und diverse EPs veröffentlicht und noch immer ist kein Ende abzusehen. Andy: „Man muß es einfach ausnutzen, solange die Songs noch sprudeln.“

Bekommt man denn bei soviel Streß überhaupt noch mit, was zuhause läuft? „Aber klar doch“, Andy läßt den Kronkorken seiner Cola-Flasche quer durch den Raum segeln, „ich spüre genau, was zur Zeit in Nordirland passiert. Es herrscht überall Euphorie. Die jahrzehntelange Spannung, die Fronten all das löst sich nun auf. Es ist ungemein aufregend, das mitzuerleben. Wir haben dieses Gefühl in zwei Songs auf dem neuen Album verarbeitet.“ Also schreiben Therapy? auch politische Songs? „Nein“, erklärt Andy kategorisch, „das hat mit Politik nichts zu tun. Es ist eher ein Gefühl dessen, was die Leute auf der Straße im tiefsten Inneren bewegt, das wir in den Songs zum Ausdruck bringen. Darüber singen wir, nicht über politische Gesten. Scheiß auf die Politik!“ Ist es nicht von größtem Interesse, wenn etwa Gerry Adams, Führer der Sinn Fein, dem parlamentarischen Arm der IRA, im Weißen Haus von Bill Clinton empfangen

wird? Oder sich Protestantenführer lan Paisley beim britischen Premier John Major über den neuen Wind in der britischen Irland-Politik beschwert? „Vergiß es, das interessiert uns überhaupt nicht, das meiste davon ist doch ohnehin nur hohles Pathos. Ich sag dir mal was: Die Politiker haben in Nordirland noch nie etwas bewegt. Fuck Gerry Adams, fuck lan Paisley, fuck John Major und wie sie alte heißen! Es sind die Leute, die die Arbeit des Aufeinanderzugehens leisten müssen, ob Protestanten oder Katholiken. Die Menschen auf der Straße verändern die Dinge, nicht die Politiker!“ Daß die friedliche Koexistenz zwischen Protestanten und Katholiken nicht nur möglich ist, sondern zu bemerkenswert kreativen Ergebnissen führt, belegen Therapy? als quasi ökumenische, überkonfessionelle Band schon seit geraumer Zeit.

Die unbändige Wut früherer Jahre weicht inzwischen und ganz allmählich einem vorsichtigen Optimismus und einem weit differenzierteren musikalischen Spektrum. Geht dabei nicht etwas von der ursprünglichen Power, für die Therapy? nicht nur berühmt, sondern geradezu berüchtigt sind, verloren? Andy Cairns spannt die Armmuskeln unter seinem schwarzen T-Shirt an, holt noch einmal kräftig Luft und beendet die holprige Audienz mit den Worten: „Sehen wir etwa so aus?“

Eine Stunde später in der Hamburger City. Noch immer spielen die beiden Straßenmusikerinnen in der sonnendurchfluteten Fußgängerzone, diesmal Bruce Springsteens ‚Brilliant Disguise‘. Ein Songtitel, der das vorangegangene Gespräch auf den Punkt bringt.