Smashing Pumpkins
Erfolg verbindet nicht immer. Im Fall der SmashingPumpkins bedroht Billy Corgans Ego und seine - sagen wir mal - etwas undemokratische Art den Zusammenhalt der Band vom Lake Michigan. Der Bericht aus dem Krisengebiet.
Eine Gruppe pubertierender Girlies, die auf dem Santa Monica Pier gleichaltrigen Jungs nachstarren, halten mitten im Gekichere plötzlich inne und schauen ungläubig auf den Strand zehn Meter tiefer. Dort posieren vier buntgekleidete Menschen für einen Fotografen, der seine liebe Mühe hat, das quirlige Quartett zusammenzuhalten. Derweil beschäftigt die Jung-Frauen auf der Mole nur diese eine Frage: Sind sie’s — oder sind sie’s nicht? Da hilft nur ein beherzter Zuruf: „Hey, ihr da drüben. Seid ihr die Smashing Pumpkins?“ Keine Antwort. Aber für klärende Worte gibt es eh keinen Bedarf mehr. Denn inzwischen sind die aufgeregten Teenies längst zum Strand hinunter gestolpert. Tatsächlich: Man steht vor vier leibhaftigen Popstars, und dementsprechend zückt eines der völlig von der Rolle geratenen Girls bereits eine schußbereite Wegwerfkamera — was prompt den ernst dreinblickenden Pumpkins-Manager auf den Plan ruft. Abwehrend hält er den Arm vor seine Schützlinge. Doch Billy Corgan, Gitarrist, Vordenker und Frontmann der Smashing Pumpkins, lächelt nur zuckersüß und winkt die Mädchen heran. Artig gibt er ihnen die Hand, legt jedem einzelnen der verzückten Teenager für ein Foto den Arm um die Schulter und setzt seinen Namen unter eilig aus den Taschen gezogene Fahrkartenfetzen, die als Autogrammpapier herhalten müssen.
Keine Frage: Die Mädels von Santa Monica, dem pazifischen Swimming Pool vor den Toren von Los Angeles, haben es heute mit einem bestens aufgelegten Billy Corgan zu tun. Mit einem Rockmusiker, den der Erfolg ganz offenbar noch nicht um den Verstand gebracht hat. „Ich bin richtig froh, ausnahmsweise mal ein paar normale Menschen zu treffen“, strahlt Corgan die sonnengebräunten Girls an. Aus gutem Grund. Denn in den sieben Monaten zuvor hatte der Chef-Pumpkin kaum etwas anderes gesehen als die schallschluckenden Wände des gruppeneigenen Studios, in dem er und seine Band einen großen Teil der Produktion abwickelten. Nach ‚Gish‘ (1991) und ‚Siamese Dream‘ (1993), beides Alben, deren Mischung aus Rockhärte und Pop-Poesie die Kassen kräftig klingeln ließ (allein ‚Siamese Dream‘ ging mehr als zwei Millionen Mal über die Ladentische), wird das neue Werk der Smashing Pumpkins von vielen mit Spannung erwartet. Kann die Doppel-CD ‚Mellon Collie And The Infinite Sadness‘ Corgans Ruf, ein Neuerer des Rock’n’Roll zu sein, festigen? Oder ist die dritte Pumpkins-Platte nach den letztlich nie verstummten gruppeninternen Querelen gleichzeitig der Anfang vom Ende? Zumindest was den eigenen Ruhm angeht, scheint diese Frage für Billy Corgan nicht von besonderer Bedeutung zu sein: „Früher wollte ich immer ein Rockstar sein. Ich war versessen darauf, gut auszusehen. Aber irgendwann war das alles nicht mehr wichtig. Denn plötzlich war mir klar, daß Rockstar zu sein nicht so sein würde, wie ich es mir mit 14 erträumt hatte.“ Über die neue Platte freilich freut Corgan sich trotzdem.
Die umfangreichen Arbeiten an dem Doppelalbum erfolgten zum größten Teil in Chicago, der Heimatstadt von Corgan und seinen drei Mitstreitern. Als Studio mußte der Proberaum der Pumpkins herhalten, den die Band kurzerhand in einen Aufnahmeraum umgestaltet hatte. Dort, in vertrauter Umgebung, sprudelten die Ideen nur so aus dem Quartett heraus. Nach einiger Zeit hatten die Smashing Pumpkins sage und schreibe 65 Songs beisammen. Eine stolze Zahl, die Billy Corgan rückblickend schon fast den Kopf schütteln läßt: „Ich kann einfach nicht loslassen“, wundert sich der Haupt-Songwriter der Pumpkins, „wie, verdammte Scheiße, schreibt jemand 40 Songs in sechs Monaten?“ Trotzdem ist Corgan von der Richtigkeit seiner Vorgehensweise nach wie vor überzeugt: „Wir haben diesmal in einer Atmosphäre beinahe grenzenloser Freiheit gearbeitet. Indem wir uns nicht auf die Songs für ein einzelnes Album beschränken mußten, hatten wir reichlich Raum für Experimente. Das hat uns viele neue Wege geöffnet.“ Corgan macht eine kurze Pause, holt tief Luft, um dann im Brustton der Überzeugung fortzufahren: „Viele begreifen es immer noch nicht — aber der elementare Grund, warum du in einer Band bist, ist die Verwirklichung deiner musikalischen Vorstellungen. Dabei kann es nicht deine Aufgabe sein, dir den Kopf über die kommerziellen Auswirkungen deiner Arbeit zu zerbrechen. Ob ein Hit sich nun auf einem normalen Album befindet oder auf einer Doppel-CD, ist letztlich doch vollkommen egal.
Was zählt, ist ein Song, der den Albumverkauf ankurbelt. Was jedoch nicht heißen soll, daß wir einen Hit herbeisehnen. Die Pumpkins waren nie darauf aus, den ultimativen Popsong zu schreiben. Außerdem verkaufen sich unsere Alben auch ohne Single-Erfolg.“
Pumpkins-Vorarbeiter Corgan spricht’s — und lehnt sich zurück. Gitarrist James lha und Drummer Jimmy Chamberlain schweigen derweil vielsagend vor sich hin. Anders die düster dreinblickende Bassistin D’Arcy. Sie gibt zu Protokoll, daß sie genug davon habe, Interviews zu geben, um dann doch nie zitiert zu werden. Leben die Eifersüchteleien innerhalb der Band also munter fort? Knirscht es im Gebälk der Gruppe lauter, als die Fassade vermuten läßt? Größter Konfliktfaktor ist Billy Corgan selbst. Dem Bandboss wurde in der Vergangenheit immer wieder nachgesagt, er führe die Smashing Pumpkins nach Gutsherrenart, weswegen es in der Band häufig zu Spannungen gekommen sei. Doch Corgan selbst hält das eigene Ego für „gar nicht so dominant“. Die andern Pumpkins hören’s — und kippen vor Lachen fast von ihren Stühlen. Eine Reaktion, die Corgan nicht unwidersprochen hinnehmen möchte. „Die Frage lautet doch: Ist die Bindung an deine Band sehr stark, oder kannst du loslassen? Niemand zwingt dich, in einer Band zu spielen und ein Rockstar zu sein“, verkündet der Chef selbstbewußt, zieht ein Bein seiner purpurfarbenen Samthose hoch und setzt dann noch einen drauf: „Die Smashing Pumpkins könnten problemlos aufhören. Wir haben genug Geld, wir haben alle unser eigenes Leben. Also brauchen wir die Band nicht im eigentlichen Sinne. Vielmehr ist es doch so, daß wir dabei sind, weil wir dabei sein wollen. Außerdem gab es weder Streit noch Geschrei“, ergänzt Corgan. „Nein, in diesem Jahr nicht“, murmelt D’Arcy da nur noch.