Die Fantastischen 4
Mancher hatte sie schon abgeschrieben. Doch dann gelang den Fantastischen 4 mit 'Lauschgift' ein Comeback, das selbst ihren Kritikern Respekt abnötigte. Jetzt beweisen Smudo & Co., daß sie auch live zu den lebendigsten Acts des Landes zählen.
Sie ist weg. Weg vom Fenster, das arme Mädchen, das von fleißigen Rot-Kreuz-Helfern auf einer Bahre herausgetragen wird. Einfach zusammengeklappt im hitzigen Gedränge vor der Bühne. Und das, bevor die ‚Fanta 4‘ auch nur einen Ton von sich gegeben haben. Schade für sie. Während sich die Vorgruppe Phlow ziemlich hilflos um einen publikumseinstimmenden Groove bemüht, wird die Enge immer qualvoller. Gut 2.500 Leute drängen sich jetzt vor der Bühne. Viele Teenies, aber wenig minderjährige Kids. Dafür eine hohe Piercing-Quote. Hätte jemand heute abend eine lange Schnur dabei, er könnte wohl ein gutes Drittel des Publikums an Nasen- und Nabelringen auffädeln.
Lange Umbaupausen fallen beim HipHop nicht an. Knapp 20 Minuten nach Phlow geht das Licht aus für die 4 aus Stuttgart, und schon wird nach vorn gerappt: ‚Bielefeld ist gebongt‘. Mit dieser Schmeicheleinheit als Intro hat man das Publikum rasch auf seiner Seite. Überhaupt taucht der Stadtname Bielefeld oft auf in den improvisierten Raps’n’Rhymes des Lauschgift-Dezernats. Wohl deshalb, weil es sich so gut auf Geld und Welt reimt. „Immer locker bleiben“, raten Hausmeister Thomas D. und Smudo derweil prophylaktisch den durchgeschwitzt groovenden Kids in den vorderen Reihen. Im Hintergrund bildet die Band Disjam (O-Ton Smudo: „…von der Straße aufgelesen.“) den instrumentalen Rahmen. Und das mit viel Rhythmus (zwei Drummer, ein Percussionist) und viel Spielwitz. Natürlich auch mit reichlich Samples und Loops, aber insgesamt doch erstaunlich pur, roh und bissig. Der Eindruck kalter Technik entsteht gar nicht erst. Smudo und Hausmeister Thomas D. teilen sich die Frontmann-Aufgaben paritätisch. D] Hausmarke hält sich heute abend stark im Hintergrund. Spätestens als er nach bereits einer Stunde das Lead-Rapping zum Megahit ‚Sie ist weg‘ anstimmt, wird auch klar warum. DJ Hausmarke ist komplett heiser. Seine Stimme klingt wie einst die rostige Wassertröte bei ‚Flipper‘. Doch wer nach diesem unspektakulären, leicht verpatzten Hit glaubt, die Luft sei raus, irrt sich. „Die vier Reimspione in geheimer Reim-Mission“ (aus ‚4 gewinnt‘) legen jetzt erst richtig los. ‚Ganz normal‘, ‚Hip Hop Musik‘ und andere flott gereimte Frechheiten folgen Schlag auf Schlag. Am besten kommen an diesem Abend aber die Mellow Loops, beschwingte Entspanntheiten wie ‚Es wird Regen geben‘ oder ‚Ein Tag am Meer‘. Da funkeln die Lichteffekte am beeindruckendsten, und das Publikum wiegt sich im Groove mit. Kenner wissen zwar, daß es Abende gibt, an denen das mobile Reimkommando besser drauf ist, aber die gesundheitlich und stimmlich leicht angeschlagene Band kämpft um die Sympathie des Publikums. Und das geht gut mit. Smudo und Thomas D. können sich drauf verlassen: Wenn sie das Mikro in die Massen halten, schallen ihnen die Texte der Fantastischen 4 lautstark entgegen.
Musikalisch kann man den erweiterten Horizont direkt spüren. Jazziger ist das Ganze geworden, mit mehr Platz für dialogische Rapstrukturen. Auch die Rhymes sind weit besser als sie zu ‚Die da‘-Zeiten waren.
Zum Abschluß des Sets, nach gut eindreiviertel Stunden, gibt’s noch mal volles Brett: Metal im Stil der Megavier mit ‚Love Sucks‘ Danach ist Schluß. Doch 2.500 Kehlen schreien nach einer Zugabe. Und darauf müssen sie gar nicht lange warten, denn, wie gesagt, beim HipHop geht alles schneller. Der Weihnachtssong ‚Frohes Fest‘ ertönt (ein Direktimport aus der Gegend unterhalb der Gürtellinie), danach der majestätische ‚Krieger‘, bei dem Thomas D. seinen Astralleib präsentieren darf — Muskelspiel mit Sex-Appeal. Am Ende dann noch der Klassiker ‚Zu geil für diese Welt‘ als Shanty zum Mitschunkeln. Schlichtweg fantastisch.