Mit Werken über die wahren Dinge des Lebens avanciert der Brite Nick Hornby zum Kult-Schreiber
100 Bücher, die Rockgeschichte schrieben: Musikfans sind Leute, die nicht lesen können, hat Frank Zappa einmal gesagt. Stimmt gar nicht. Die Flut an neuveröffentlichten Musik-Büchern der letzten Jahre spricht Bände: Wer Musik hört, will auch lesen. ME/Sounds entwirrt das schwer überschaubare Dickicht der Rock-Literatur und präsentiert —- ob Bio, Bildband oder Belletristik —- 100 Bücher, die Rockgeschichte schrieben.
Gleich mit seinem Debüt gelang dem Londoner Nick Hornby der große Wurf. ‚Ballfieber‘, die Aufzeichnungen eines obsessiven Fußballfans, ließen nicht nur die Kassen groß klingeln, sondern sie schafften es auch, das Thema Fußball in England wieder cool zu machen. Mit der Handlung seines ersten Romans ‚High Fidelity‘ hat es sich Hornby leicht gemacht: obskure Schallplattenshops und ihr Personal waren schon immer cool. Egal, in beiden Büchern ist das Thema das gleiche: Fan-Sein als Lebenszustand. Jetzt ist ihr Autor selber auf dem besten Weg, als Stimme eines Lebensgefühls in den Genuß solcher Anbetung zu kommen.
Nick Hornbys Spezialität ist es, alles in Fußballmetaphern zu übersetzen. Kein Wunder, die Welt des Fußballs eignet sich auch vorzüglich als Metaphernlieferant für all unsere kleinen und großen Ticks. So werden sich Hornbys Schwiegereltern wahrscheinlich nicht gerade freuen, mit einem eselhaften, ewigen Reservespieler des geliebten FC Arsenal verglichen zu werden — aber stimmen tut das Bild wahrscheinlich schon. „Für einen Fußballfan ist es etwas ähnliches, zum ersten Mal einen neuen Spieler im Team zu sehen oder seine Schwiegereltern kennenzulernen“, sagt Hornby mit dem schlauen Blinzeln eines Mannes, der sich der leichten Lächerlichkeit seiner Worte vollkommen bewußt ist. „In beiden Fällen zwingt dir jemand, der dir lieb ist — eine Geliebte oder der Trainer von Arsenal — ein Verhältnis auf, über das du keinerlei Kontrolle hast.“ Ja, so kann man’s auch sehen. Vom Fußball gänzlich unbeleckte Musikfans mögen jetzt mitleidig den Kopf schütteln — aber keine Angst, sie kommen bei Hornby ebenfalls noch an die Reihe. Etwa dann, wenn der Protagonist von ‚High Fidetity‘, ein gewisser Rob Fleming, sich bei der Überlegung ertappt, ob er es sich als Fan von Elvis Costello und den Cowboy Junkies leisten kann, sich in eine Dame zu verlieben, die im Regal ein paar Phil Collins-Alben stehen hat. Oder dann, wenn dieser Rob in einer emotionellen Krisensituation (Liebe des Lebens ist entflohen) Frieden findet, indem er seine Vinylsammlung neu ordnet. Mit anderen Worten: Es ist eine Geschichte, die direkt auch aus unserem Leben gegriffen ist.
Nick Hornby ereilte Britannien aus heiterem Himmel. Getreu dem Zukunftsbild von Margaret Thatcher, für die in allen Lebensbereichen der Mammon als oberstes Gebot stand, hatte der englische Fußball soeben die Wandlung vom amateurhaft organisierten Volkssport zum kommerziellen Mega-Zirkus vollzogen. Für die breite Öffentlichkeit war der „Soccer“-Fan, der noch in persona zu den Matches ging, statt sich an den teuer erkauften Übertragungsrechten des Satelliten-TV zu erfreuen, immer schlicht ein „Hooligan“, wenn nicht sogar ein Neonazi. Hornby: „Mitte der 8oer war die Moral der Fußball-Fans auf dem absoluten Tiefpunkt. Die Fans wurden von den Direktoren der Clubs ignoriert, von der Presse vollkommen herablassend behandelt und von den Autoritäten gehaßt. Wir wenigen, die noch zu den Matches gingen, haßten uns , weil wir es nicht fertigbrachten, aufzuhören mit der Sucht.“ Hornby war damals ein demotivierter Lehrer, der sich von Beziehungskiste zu Beziehungskiste hangelte wie von Arsenal-Match zu Arsenal-Match, und von Costello-LPzu Costello-LP.
Im verzweifelten Häufchen letzter „Footie“-Supporters gab es allerdings noch ein paar Typen wie ihn, Typen, für die Musik eine ebenso wichtige Rolle spielte wie Fußball. So war es kein Zufall, daß das erste „alternative“ Fußballmagazin seinen Namen „When Saturday Comes“ einem Song der Undertones entnahm und von der Konzeption und Sprache her nah an den traditionellen, „handgestrickten“ Fanzines der alten Punk-Tage dran war. „Ich glaubte, da verarscht mich einer, versteckte Kamera oder so…“, lacht Hornby in Erinnerung daran, wie er in dem Underground-Sportbücherladen ‚Sports Pages‘ (auch diese Idee ein Novum für London) erstmals das frech-frische Magazin entdeckte. Es sprach ihm aus dem Herzen. Darin schrieben Fans, denen — wie ihm selber — Rassismus und Sexismus zuwider waren, die politisch eher links dachten, die sich über die konservativen Musikgeschmäcker ihrer Lieblingskicker herzhaft lustig machen konnten und die auch mal ein Buch zur Hand nahmen, das nicht aus der Feder eines ehemaligen Balltreters stammte, Bücher von Schriftstellern wie zum Beispiel Albert Camus oder Vladimir Nabokov.
Das war für Hornby das große Aha-Erlebnis. Er, der schon immer ein bißchen geschrieben hatte, machte sich sofort an ‚Ballfieber‘, gleichsam seine „Memoiren“. Angefangen mit Arsenal gegen Stoke City am 14. September 1968 (Hornby, oder vielmehr der Erzähler, war gerade elf Jahre alt geworden), aufgehört mit Arsenal gegen Aston Villa am 11. Januar 1992, hielt er fein säuberlich alles fest, was ihn auf dem Weg zum Erwachsenwerden und dem damit zusammengehörigen Fußball-Fan-Dasein zugestoßen war. ‚Ballfieber‘ sei sein Versuch, seine Obsession aus einer neuen Perspektive zu sehen, schreibt Hornby in der Einführung. „Warum“, so stellte er die Frage, „warum hat dieses Verhältnis, das als eine Art Verliebtheit eines Schuljungen anfing, fast ein Vierteljahrhundert angedauert, länger als jede andere Beziehung, die ich freiwilligeingegangen bin?“
Hornby versucht das Lebensgefühl eines „Fans“ auf den Punkt zu bringen, und er schreibt in der Überzeugung, daß hier der Schnittpunkt zwischen dem Persönlichen und dem Gesellschaftlichen liegt: „Meine Hingabe sagt einiges aus über meinen eigenen Charakter und meine eigene Geschichte. Aber die Art, wie das Fußballspiel konsumiert wird, scheint dazu noch eine Menge von Einblicken in unsere Gesellschaft und Kultur zu ermöglichen.“
‚Ballfieber‘ blieb auch zur Überraschung des Autors monatelang in den englischen Bestsellerlisten. Das Buch löste zudem eine wahre Flut von ähnlich „liberaler“, ja sogar punkiger Kickerschreibe aus (eine Sammlung davon, ‚My Favourite Year‘, hat Nick Hornby selber zusammengestellt), letzt wird ‚Ballfieber‘ auch noch verfilmt, ebenso wie ‚High Fidelity‘: der Schauplatz des Romans wird gar von der Firma Disney nach Amerika verlegt. Wiederum hat Hornby hier die Welt des Obsessiven portraitiert — eine Welt, in der eigentlich erwachsene Männer sich vehement gegen das Erwachsenwerden sträuben. Rob Fleming führt einen von einer früheren Freundin mitfinanzierten Plattenshop. Er heißt ‚Championship Vinyl‘ und man kriegt hier die ersten Singles (white labels!) von Stiff Little Fingers oder Dylans ‚Blonde On Blonde‘ in OriginalMono. Gestandene Fans sehen und riechen den Shop sofort vor sich: Es stinkt darin nach billigen Zigaretten, abgetragenen Lederjacken und feuchtem Staub — Rob Fleming will das auch so, schließlich gehen gemäß seiner Philosophie „nur Phil Collins-Fans“ dahin, wo Neon gleißt und Meister Proper waltet. Natürlich haben Rob und seine beiden Shop-Kumpel Ärger mit Frauen, was im Grunde die Handlung des Romans ausmacht. Das, und das Erwachsenwerden. Und eben das obsessive Bedürfnis, Musik als Konstante zu verstehen in einem Leben, das sich eigentlich im Kreis dreht. Wie schon in ‚Ballfieber‘ hat Hornby die kleinen Details der Besessenheit mit solch skalpellartiger Genauigkeit getroffen, daß der Leser desöfteren peinlich berührt zusammenzuckt. Ja, Hornby kennt sich wahrhaftig aus in der Materie ….. Nun“, nickt er und schiebt die Teetasse ein bißchen nach links. Gerade diese Art von nach autobiographischer Erklärung hakenden Fragen hat den Autor dazu gebracht, Interviews wo immer möglich auszuweichen. „Musik ist halt die zweite Sache, von der ich eine Ahnung habe“, sagt er vorsichtig. Das letzte Lied, das in ‚High Fidelity‘ erklingt, ist sinnigerweise ‚GotTo Get You Out Of My Mind‘ von Solomon Burke. Auf solche Details kommt’s allen von uns letztlich mehr an, als wir’s wahrhaben möchten. Indem er sie salonfähig gemacht hat, ist Hornby ein schöner literarischer Wurf gelungen.