Endlose Streifzüge durch die dunklen Ecken Londons liefern Gallon Drunk den Stoff für ihre leidenschaftlichen Songs


James Johnston ist ein schüchterner Typ, der sich während eines Interviews so ziemlich alles ganz genau ansieht, außer seinem Gegenüber. Aber das macht nichts, denn auf der Bühne verliert der Mann sämtliche Hemmungen und vollführt das, was man gemeinhin mit der Floskel Seelenstriptease belegt. Die Band, die für diese One Man Show den Soundtrack liefert, heißt Gallon Drunk und bescherte uns vor knapp drei Jahren ein Album namens ‚From The Heart Of Town‘. Genau dort entstehen nämlich die Songs von Johnston, der sich nicht damit begnügt, im stillen Kämmerlein über Versen zu brüten, sondern bei ausgiebigen Exkursionen durch die Londoner Pubs stets ein Diktaphon dabei hat. „So kann ich jede Idee und jeden Gedanken sofort festhalten“, sagt er, gibt aber zu, daß diese praktikable Methode jedem Saufkumpan ein wahres Greuel ist: „Naja, ist schon anstrengend für die Leute, wenn ich alle zehn Minuten anhalte und in das Gerät spreche, summe oder singe. Das geht denen nach einer Weile ziemlich auf die Nerven.“ Doch wer glaubt, Johnston sei deshalb ein einsamer Stadtvagabund, der irrt. Erst kürzlich kehrte er mit seiner langjährigen Freundin Geraldine in den Hafen der Ehe ein. Ihr ist denn auch ein Song auf dem neuen Gallon Drunk-Album ‚In The Long Still Night‘ gewidmet, dem bislang reifsten Werk der Band, das mehr Melodie und Groove in die destruktiv-kakophonische Klangmelange der Band einbindet. „Wir hatten reichlich Ärger mit unserer Plattenfirma“, erinnert sich Johnston an die Vorgeschichte des Albums, „und dann machte sich auch noch unser Drummer aus dem Staub. Es sah so aus, als würden Gallon Drunk nach zwei Platten das Zeitliche segnen.“ Frustriert ließ sich Johnston daraufhin überreden, als Gitarrist von Nick Caves Bad Seeds auf Lollapalooza-Tournee durch die USA zu gehen. Als er im Winter ’94 zurückkehrte, hatten sich die Wogen geglättet. Die Band begab sich samt neuem Schlagzeuger ins Studio und ließ sich viel Zeit. „Bei unseren vorherigen Alben mußte immer alles ruckzuck gehen. Drei Tage im Studio waren schon Luxus. Diesmal konnten wir besser an den einzelnen Songs feilen. Viele Ideen, die auf ‚From The Heart…‘ aus Zeitmangel im Ansatz steckengeblieben waren, konnten sich bei diesem Album frei entfalten.“ Doch keine Angst, auch wenn Johnstons Zorn vergangener Tage verraucht ist und er mittlerweile lieber tagsüber auf seinem Fahrrad die architektonischen Wunder Londons besichtigt, als sich die Nächte in finsteren Kneipen um die Ohren zu schlagen: musikalisch und vor allem live – sind Gallon Drunk noch immer reinste Anarchie.