Metallica
Bombastisch wäre untertrieben. In der total ausverkauften Wiener Stadthalle feiern 14.000 Fans ihre Helden Metallica. Normalerweise passen 3000 Leute mehr in die Halle, und die Tickets wären mit Leichtigkeit an den österreichischen Mann zu bringen gewesen, aber James Hetfield und Co. brauchen den zusätzlichen Platz an diesem Abend zu ihrer freien Entfaltung. Die Herren geben sich nämlich nicht mit ein paar stinknormalen Bühnenbrettern zufrieden. Nein, also mußten 384 Helfer aus 19 mit 608 Tonnen schwerstem Gerät beladenen Sattelschleppern gigantische Stahlträger ziehen und quer über den Hallenboden eine Doppelbühne aufbauen, die aussieht, wie eine Landestation für das Raumschiff Enterprise. Beam aboard, James!
Fast fühlt man sich an die alten, klassischen Metall-Tage erinnert: Stichflammen lodern, aus den riesigen Boxen donnern Kanonenschläge und Lichtblitze zucken zu bedrohlichem Helikopter-Geknatter. Feuerregen von der Hallendecke beleuchtet ein kriegsähnliches Inferno. Wenn jetzt auch noch Gene Simmons in vollem Make-Up auf der Bühne erscheinen würde, wäre die Metall-Welt wieder in Ordnung. Plötzlich erklingen mitten in der Kakophonie die ersten Klänge einer akustischen Gitarre. „Wir haben euch gerade einen ganz schönen Arschtritt verpaßt“, kräht James Hetfield, und stimmt dann gleich darauf ‚One‘ an. Atemberaubend die Musikalität der vier Metall-Arbeiter aus Kalifornien. Rund 80 Meter Luftlinie trennt Hetfield vom zweiten Gitarristen Kirk Hammett. Trotzdem verstehen sich die beiden blind, spielen unisono ihre Soli und sind ihren Fans immer wieder auf Tuchfühlung nahe. Denn unzählige Mikrophone stehen an allen Ecken dieser aufwendigen Bühnenkonstruktion, auf der die vier während ihrer zweistündigen Show so manchen Kilometer zurücklegen. Zum Showbusiness gehört heutzutage neben Perfektionismus eben auch die Fitness der Protagonisten.
„Wir haben gewaltig Schiß vor diesem ersten Auftritt“, hatte Kirk Hammett noch kurz vor Beginn gestanden, „denn wir sind erst heute Morgen aus New York eingeflogen und haben alle einen Riesen-Jet-Lag.“ Der war wohl auch schuld daran, daß sich Hammett gleich zu Beginn der Show an einer Stichflamme die Hand verbrannte. Verfluchte Pyrotechnik. Doch inzwischen brennen keine Musikerhände, sondern die Feuerzeuge der Fans. Das weite Rund singt ‚Nothing Else Matters‘ lauthals mit, bevor Metallica mit einem furiosen ‚Kill ‚em AH‘-Medley an trashigere Zeiten erinnern. Mit ihren beiden letzten Alben ‚Metallica‘ und ‚Load‘ sind die vier aus San Francisco zur songorientierten Rockband mit ausgeprägtem Melodiebewußtsein mutiert und verfügen damit über einen musikalischen Einfallsreichtum, der nur noch von Led Zeppelin selig übertroffen wird. Und während unsereins derlei musikphilosophischen Gedanken nachhängt, gibt’s nochmal Speedmetal pur für die 14.000: ein irrwitziges ‚Straw‘ mit sich beständig zuspitzenden Gitarrenattacken. )ames Hetfield bricht jetzt alle Geschwindigkeitsrekorde und läßt dabei die bei der Techno-Fraktion üblichen paar Beats per Minute so lahm erscheinen wie Heino auf Valium. Und das wäre es beinahe auch schon gewesen. Aber Mitten im Song ‚Enter Sandman‘ gegen Ende des Sets passiert die Katastrophe: Ein gigantischer mit Scheinwerfern bestückter Stahlarm stürzt auf den stählernen Boden der Bühne. Durch die Wucht wird ein Beleuchter fast von der Strickleiter gerissen. An einem anderen Ende der Bühne bricht ein Feuer aus —- ein Lautsprecher nach dem anderen fällt aus, während ein Roadie mit brennender Kleidung über einen Laufsteg fällt. Gitarrist James Hetfield eilt ihm zu Hilfe, während andere Roadies verzweifelt versuchen, den Totalzusammenbruch der Metallica-Show zu verhindern. Ein schöner Start für die Metallica-Welttournee? Ja. Denn das Chaos in der Wiener Stadthalle ist programmiert, die Katatstrophe perfekt einstudierte Stunts — für den nervenzerfetzenden Höhepunkt der diesjährigen Metallica-Konzerte. Sie funktionieren nach einem ausgefeilten Unterhaltungskonzept. Metallica, die „Speerspitze des Metal“, inszenieren ihre Songs wie Action-Filme und bringen damit die derzeit aufregendste Tournee auf die Bühne — musikalisch wie visuell. Seit der alten U2s ‚Zoo TV‘-Tour wurde ich nicht mehr so gut unterhalten wie an diesem denkwürdigen Abend.