Das rockt doch!


"Ich werd' mich nie verändern", tönten Tocotronic auf ihrem letzten Album. Und sie tun es doch. Erwachsener, nachdenklicher, noch kritischer sind die drei Hamburger geworden. Eines wissen sie aber immer noch zu schätzen: laute Gitarren.

Knapp zwei Jahre sind ins Land gegangen, seit Tocotronic mit ihrem Debüt „Digital ist besser“ einen veritablen Meilenstein in Sachen deutschsprachiger Popmusik setzten-es waren ja nicht zuletzt ihre catchy Gitarrenlärmer, die die Popularität der sogenannten „Hamburger Schule“zu einer regelrechten neuen deutschen Welle ausweiteten. Jetzt steht bereits das vierte Tocotronic-Album in den Läden – kein schlechter Jahresdurchschnitt. Die fleißige Truppe ist denn auch recht stolz auf sich. Nach einsamer Studio-Zeit in der französischen Provinz-für die Aufnahmen zum neuen Opus „Es ist egal, aber“ hatte man sich vom heimischen Hamburg in ein „Kaff, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen“ (Dirk von Lotzow) nahe der westfranzösischen Stadt Angers zurückgezogen -touren von Lotzow, Arne Zank und Jan Müller durch die deutschen Lande, um Rede und Antwort zu stehen. Die gute Laune, die die drei dabei an den Tag legen, überrascht in gewisser Weise, sind die Songs des neuen Albums doch eher traurig denn lebensfroh, eher bitter als witzig ausgefallen – in solchem Maße, daß sich beinahe die Frage aufdrängt: Haben Tocotronic den Humor verloren? Jetzt ist es Sänger und Textchef Dirk, der überrascht ist:“Kein Humor mehr? Wer sagt denn so was? .fragt er und runzelt verwirrt die Stirn. „Kann schon sein, daß die neuen Songs nicht mehr so wahnsinnig witzig sind. Das liegt aber sicher nicht daran, daß wir keinen Spaß haben. Vielleicht hat sich mit zunehmendem Alter eine gewisse Ernsthaftigkeit in unsere Musik eingeschlichen. Das sehe ich aber durchaus positiv. Mag auch sein, daß wir keine Lust mehr auf unser ewig charmantes Image haben -das ist doch auf die Dauer todlangweilig. Reproduktion ist der Anfang vom Ende. Überdies bin ich der Meinung, daß gerade traurige Lieder jede Menge Kraft in sich bergen und diese auch weitergeben.“ Worte wie in Stein gemeißelt. Vielleicht also ein Wendepunkt in der Geschichte von Tocotronic? Da stellt sich die Frage, wo die Band heute eigentlich steht, zwei Jahre und drei Platten nach dem großen Hallo um ihr Debüt, das die Gruppe mit dem belastenden Etikett der „Retter der deutschen Pop-Identität“ zurückließ. Daß sie nicht als „jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ kategorisiert werden wollen, haben die drei ja durch die Ablehnung des eben so betitelten Viva-Awards im letzten Jahr klargestellt. „Solche Schubladen zeugen von zweifelhaften Tendenzen,“ grübelt Bassist Jan Müller.“Was für uns bleibt, ist die Tatsache, daß unsere Musik vielen Menschen etwas bedeutet. Da spricht unsere Fanpost eine deutliche Sprache, und das ist doch schön. Was man in zehn, zwanzig Jahren über uns sagen wird-ob es dann heißt, wir hätten den Stein in Sachen deutscher Popmusik losgetreten können und wollen wir nicht beurteilen. Da umschiffen wir auch gern jede Art von Selbstlob und Anmaßung“, betont Müller.“Von einem Wendepunkt zu sprechen, ist auch nicht richtig,“ wirft Schlagzeuger Arne Zank ein,“wir verändern uns zwar, aber das spielt sich eher in Zeitlupe ab.“ Dirk nickt“Wenn man die neue Platte genau anhört, entdeckt man Anzeichen für Neues. Wir sind zwar nach wie vor Rocker, aber unser Produzent Hans Platzgumer hat frischen Wind in die Aufnahmen gebracht. Da gibt es zum Beispiel Geigen. Das hatten wir noch nie.“ Platzgumer, ehedem Frontmann der austro-amerikanischen Band H.P. Zinker, landete via Innsbruck (Rock) und New York (noch mehr Rock) unlängst in Hamburg, wo er als Bassist und „Mädchen für alles“ einen Arbeitsplatz bei den Goldenen Zitronen fand und mit „Aura Antropica“ gleich auch noch eine Ambient-CD mit deutschen Texten einspielte. Demnächst also mehr Elektronik bei den Tocs? „Totaler Quatsch,“ platzt Dirk heraus. „Das würde uns doch keiner abkaufen. ‚Tocotronic jetzt mit Drum’n’Bass‘-das wäre doch zum Totlachen. Mal davon abgesehen kennen wir uns mit diesem Elektronik-Getüftel überhaupt nicht aus. Musikalisch bleiben wir bei dem, was wir können und was unsere Gefühle am besten rüberbringt – melodiöse Gitarrenmusik. Außerdem weiß ich gar nicht, was der Hype um die elektronische Musik überhaupt soll. Da wird Rockmusik zum x-ten Mal totgesagt, und wenn ich mir dann Sachen von Prodigy oder den Chemical Brothers anhöre, kann ich nur sagen: das rockt doch!“

Auf die Tocs ist also Verlaß: Sie werden die Welt weiterhin mit ihren Gitarrenohrwürmern beglücken. Die Welt? „Ja, das Ausland würden wir schon gerne noch erobern,“ gibt Dirk zu. „Vor allem Japan…,“ begeistert sich Jan. „…und Finnland,“ setzt Arne nach. „Und natürlich England,“ sagt Dirk, blickt aber dennoch den Realitäten ins Auge: „Unsere Musik ist zu normal, um bloß durch deutsche Texte exotisch zu wirken. Da hat man es schwer, bei ausländischen Plattenfirmen einen Fuß in die Tür zu kriegen. Abgesehen von einigen Festivalauftritten-zum Beispiel in Roskilde – touren wir von Juli bis September wieder durch Deutschland, Österreich und die Schweiz – wie gehabt.“ Nicht traurig sein, Jungs. Sollen die Briten doch mit Oasis, die Japaner mit Pizzicato Five und die Finnen mit den Leningrad Cowboys glücklich werden. Wir haben dafür die Tocs, und das ist doch wirklich schon was, oder?