Die eilige Dreifaltigkeit
Nach längerer Pause möchten die verbliebenen Mitglieder von Genesis mit neuem Sänger nun rasch an alte Erfolge anknüpfen.
Ich habe keine Ahnung, was ein Drum’n’Bass-Mix sein soll“, meint Tony Banks, und der stoische Blick seiner blauen Augen zeigt, daß er es wirklich nicht weiß. „Die ganze Dance-Szene läßt mich kalt, und das ganze Drumherum – Parties, Clubs,Tanzen – interessiert mich nicht. Dazu war ich schon vor dreißig Jahren zu alt.“Vor dreißig Jahren -1967 zählte Tony Banks gerade mal 17 Lenze und gründete mit Peter Gabriel, Mike Rutherford und Anthony Philips (später durch Phil Collins ersetzt) die Art-Rock-Gruppe Genesis. Eine Band, die nie den gängigen Trends hinterher lief-weder in den 70er Jahren noch heute.
Nachdem Pop-Papst Phil Collins vor Jahresfrist verkündet hatte, Genesis endgültig zu verlassen, schien das auch das Aus für den englischen Rock-Dinosaurier zu bedeuten. Aber Tony Banks und Mike Rutherford dachten nur kurz daran, einen Schlußstrich zu ziehen. „Natürlich überlegte ich mir, ob der Zeitpunkt zum Aufhören gekommen war“, gibt Rutherford zu, „zumal mein Solo-Projekt Mike & The Mechanics wirklich gut lief. Aber schließlich sagte ich mir: Wenn es Genesis nicht mehr gibt, werde ich nicht mehr mit Tony zusammenarbeiten können. Das war ausschlaggebend.“ Also machten sich die zwei an die Arbeit und suchten über ein Jahr nach einem geeigneten Ersatz für Collins-bis sie auf den Schotten Ray Wilson stießen, der mit seiner Band Stiltskin und dem Song „Inside“ vor drei Jahren einen satten Hit landete, anschließend aber wieder in der Versenkung verschwand. Der 28jährige war einer der wenigen, die nach dem Abhören von über 400 Demos zu einer Audienz geladen wurden. „Ich habe in meinem Leben zweimal vorgesungen, und beide Male habe ich den Job bekommen. Es muß also etwas an mir dran sein“, meint Wilson grinsend. Das offen zur Schau gestellte Selbstbewußtsein, mit dem der Mann jetzt von seinem neuen Job erzählt, beeindruckt auch Banks und Rutherford.“Ich weiß, was ich kann. Und es ist auch für Tony und Mike wichtig, daß ich Selbstvertrauen ausstrahle.denn das letzte, was sie brauchen, ist jemand, der unsicher ist. Aber keine Angst, ich bin nicht arrogant. Ich stehe nur gern vorn.“
Die Gelegenheit dazu wird Mr. Wilson in Zukunft oft haben. Auch wenn er zwischen Banks und Rutherford keineswegs wie der grüne Junge wirkt: Für alte Genesis-Fans ist er der Neue, der an seinen Vorgängern Peter Gabriel und Phil Collins gemessen wird. Eine Hypothek, der sich Ray Wilson durchaus bewußt ist.“Dieser Job ist eine große Herausforderung, denn von außen betrachtet wirkt Genesis wie ein Gigant -größer als das Leben selbst.“ So wie Wilson jetzt kopfüber in 30 Jahre Genesis-Geschichte eintaucht, so versuchten Rutherford und Banks, auf dem 18. Genesis-Album, „Calling All Stations“ (s. Seite 50), frischen Wind in ihr Erfolgsprojekt zu zaubern.“Bei’WeCan’t Dance‘ wußten wir schon vorher, daß nichts schiefgehen konnte“, erinnert sich Banks an das letzte Album, „der Erfolg war vorprogrammiert. Rückblickend muß ich sogar zugeben, daß mich das ein wenig lähmte. Die neue Situation hingegen motivierte mich beim Songschreiben wie lange nicht mehr.“Trotzdem: Genesis bleibt Genesis-auch 1997. Schließlich kommt der bestens eingeführte Markenname ja einer Lizenz zum Gelddrucken gleich. Oder etwa nicht? Betretenes Schweigen in der Runde. Aber dann greift sich Youngster Ray Wilson ein Herz und rettet die Situation: „Natürlich machen wir Geld und sind erfolgreich. Aber jeder, der Genesis musikalische Qualität abspricht, sollte schleunigst zum Ohrenarzt gehen.“Wer mag da noch widersprechen?