Britpop: Die Bilanz
Neben festen Größen wie Oasis und Blur machten 1997 vor allem Radiohead von sich reden. Derweil sorgten The Verve für den Überraschungserfolg des Jahres.
Englands Britpopper befinden sich derzeit auf dem Weg in einen langen kalten Winter. Die Euphorie der Jahre 1994 und ’95 ist der Ernüchterung auf breiter Front gewichen. Die Platten von Oasis und Blur erfreuen sich zwar weiterhin größter Beliebtheit, doch rein musikalisch reichen ihre aktuellen Alben nicht wirklich an Meilensteine wie „What’s The Story (Morning Glory)?“ oder „Modern Life Is Rubbish“ heran. Darüber kann auch die restlos ausverkaufte Deutschland-Tournee der Gebrüder Gallagher nicht hinwegtäuschen. Noch so ein vergleichsweise uninspiriertes Album wie „Be Here Now“, und die Krone des Britpop geht endgültig in den Besitz von Radiohead über. Denn diese Band erlebte mit „OK Computer“ nicht nur einen Siegeszug ohnegleichen, sondern hat in Thom Yorke auch einen überaus intelligenten Songwriter, dessen hohes kreatives Level für die Zukunft noch einiges verspricht. Ähnliches läßt sich auch über Richard Ashcroft von The Verve sagen. Deren „Urban Hymns“ zählen zweifellos zu den besten Songs des letzten Jahres. Das gleichnamige Album sorgte denn auch (dank „Bitter Sweet Symphony“) für die erste Verve-Plazierung in den deutschen Charts. Mit dem 11. Platz verpaßten die vier aus Sheffield dieTopTen nur um Haaresbreite. Nicht schlecht für ein Quartett, das sich wegen chronischer Erfolgslosigkeit eigentlich längst aufgelöst hatte, nun aber einen blütenreichen zweiten Frühling erlebt. Eine überraschende Entwicklung, die deutlich macht, daß Erfolg in der Popbranche nach wie vor kaum zu kalkulieren ist. Sonst hätten auch Supergrass, und das ist so sicher wie die nächste Verbeugung vor Lady, endlich jene Beachtung gefunden, die ihnen im Grunde längst gebührt. Doch „In It For The Money“, das melodische Album mit Anleihen bei Beatles und Who, verfehlte den Geschmack der Massen – genau wie die jüngsten CDs von Cast, Hurricane #1, 3 Colors Red oder Ocean Colour Scene. Die Luft im Londoner Pop-Olymp wird immer dünner, und die Aufteilung der musikalischen Gesellschaft in Klassen immer offenkundiger.