Bad Religion: Pure Energie
Nach 17 Jahren auf der Bühne sind Bad Religion munterer als die meisten Newcomer. Ihren Erfolg hat die Band in erster Linie ihren kraftvollen Konzerten zu verdanken.
MEDIENMENSCHEN. WENN SIE IN HORDEN auftreten, verströmen eine widerliche Hektik. Da klingeln fortlaufend Handys,da lümmeln jungdynamische Mister und Misses Wichtigs in Thermoklamotten auf ledernen Clubsesseln herum, da wird mit Backstage-Pässen und den obligatorischen „Time Schedules“ gewedelt. Und das alles im altehrwürdigen Foyer des Europa-Hotels in Innsbruck, dessen Sissi-Plüsch doch eher zu Gemütlichkeit und Gelassenheit mahnt. Was ist eigentlich los? Das Massenmedium Fernsehen, genauer: MTV, ist in die Tiroler Landeshauptstadt eingefallen, um über einen wintersportlichen Trend-Event zu berichten, den „Air & Style Snowboard Contest“. Innsbruck hat derlei Veranstaltungen und die damit verbundene Werbung auch bitter nötig, denn selbst die wunderbare Berglandschaft ringsum vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß die einstige Olympiastadt den Zug der Zeit verpaßt hat. Der k.u.k.-Charme blättert ab, still rosten die olympischen Anlagen vor sich hin. Um so besser, wenn man da mit einem innovativen Wintersportfestival 30.000 junge Leute in die Stadt holen kann, die Touristen von morgen also. Das geht natürlich nicht ohne musikalische Top-Acts. Diesmal bilden Bad Religion das phonstarke Zugpferd. Eine Band,die hinreichend Stehvermögen bewiesen hat: Seit ihrer Gründung während der Nachwehen des ersten Punk-Fiebers gehören Bad Religion zu den konstantesten und erfolgreichsten Vertretern der US-Szene. Punk-Revivals und ihre jeweiligen Helden mögen kommen und gehen-Bad Religion bleiben seit 17 Jahren beständig an vorderster Front mit von der Partie. Und das hat nichts mit stromlinienförmiger Anpassungsfähigkeit, dafür aber sehr viel mit der allseits respektierten Integrität der fünf Herren von der amerikanischen Westküste zu tun. Doch zurück in die Tiroler Alpen: Seit der Stunde Null des Snowboardens zählen Bad Religion zur musikalischen Grundausstattung der Schneebrett-Freaks. Und so fühlt sich Greg Graffin – Sänger, Frontmann und Songschreiber der kalifornischen Krachveteranen -auch keineswegs in seiner Street-Credibility mißbraucht, wenn er den Soundtrack für eine hippe Sportart liefern soll: „In Kalifornien standen wir schon immer auf der Playlist der Skater und Surfer. Snowboarden ist im Grunde doch das gleiche, nur auf Schnee.“
Kurz nachdem die Sex Pistols und The Clash im Zuge der ersten britischen Punkwelle die Popwelt der 70er Jahre in ihren Grundfesten erschüttert hatten, gründete Greg Graffin, damals pubertärei5 Jahre jung, in Kalifornien seine Band. Und deren Nukleus mit Bassist Jay Bentley und Gitarrist Greg Hetson ist – selten genug – auch nach mehr als anderthalb Jahrzehnten noch unverändert. Was ist das Geheimnis dieser Konstanz? Freundschaft? Gewohnheit? Eine gewisse persönliche Chemie? „Nein, nein, wir hocken nicht ständig aufeinander. Inzwischen lebt jeder von uns in einer anderen Stadt. Wir kommen nur dann zusammen, wenn es um kreative Dinge geht, um die Songs, die Arrangements, um Studioarbeit oder Konzerte. Persönliche Dinge bleiben da eher außen vor“, betont Graffin.
Bad Religion hatten im Laufe ihrer langen Karriere eigentlich noch keinen Song, den man nach landläufigen Maßstäben als echten Hit bezeichnen könnte – mit Ausnahme ihres Klassikers „21st Century Digital Boy“, der sich weltweit zur Skater-Hymne entwickelte. Und ihre Alben (inzwischen immerhin elf an der Zahl) verkaufen sich auch nicht eben in schwindelerregenden Stückzahlen. Die Stärke von Graffin und seinen Mitstreitern liegt in ihrer kraftenvollen Bühnenarbeit. Ihrer dynamischen Show haben Bad Religion zu verdanken, daß über die Jahre immer mehr Fans den Weg in die Konzerthallen fanden. So wurde die Band um Greg Graffin für die Punks der zweiten Generation – also für Gruppen wie Green Day, Offspring oder NOFX – zum prägenden Vorbild.
Kein Wunder also, daß Bad Religion heute scheinbar unangreifbar über den Niederungen des Tagesgeschäftes schweben. Wie fühlt man sich als graue Eminenz, der jetzt endlich der längst verdiente Erfolg zuteil wird? „Moment mal, ich bin gerade mal 33 und damit längst noch kein Großvater“, entrüstet Greg Graffin sich schelmisch und fährt sich dabei durch das sichtbar dünner werdende Haar. „Und was den Erfolg angeht: Wir haben nie darauf hingearbeitet. Er ist einfach so gekommen. Ich habe auch gar nichts gegen ihn. Er ist ein freundlicher Gast, den man gern im Haus hat. Aber irgendwann wird er aufstehen und gehen, und ich kann und werde ihn dann auch nicht aufhalten.“
Wer sich gern von sattsam bekannten Punk-Klischees unterhalten läßt, wird von Bad Religion enttäuscht. Das Quintett spuckt bei Live-Auftritten nicht ins Publikum, pinkelt im Restaurant nicht ans Tischbein und zerlegt auch keine Hotelzimmer. Im Gegenteil: Die Band ist höflich und eher zurückhaltend. Und auch Greg Graffin widerlegt in seiner ruhigen, abwägenden Art die Abziehbilder vom rotzigen Punkrebellen. Schließlich verfolgt er auch außerhalb der Band durchaus achtbare Interessen. Graffin hat einen akademischen Grad in Geologie und auf diesem Gebiet auch schon diverse Studien veröffentlicht. Zur Zeit macht er seinen Doktor in Evolutionsbiologie-was seinen Songtexten zu interessanten neuen Themen und Blickwinkeln verhilft. Gibt es für Graffin eigentlich einen Unterschied zwischen der ersten und zweiten Punkgeneration? „Nicht was die Protagonisten angeht. Da gab und gibt es Bands, die tragen bloß eine Attitüde vor sich her. Sie sind Part of the Fashion, und andere leben das, was sie singen. Aber in ihrem historischen Einfluß sind die beiden Punkgenerationen völlig unterschiedlich. Die erste löste eine musikalische Revolution aus. Sie fegte eine Menge Altes hinweg und etablierte ganz neue Bands. Die zweite Punkgeneration dagegen sorgte für ein Revival des Genres und fügte auf diese Weise dem musikalischen Spektrum eine scheinbar vergessene Farbe wieder hinzu. Heute aber, in Zeiten des Anything Goes, ist der Punk nur eine Facette von vielen.“ Klingt das nicht ein bißchen resignativ? „Aber nein, Bad Religion haben sich doch prächtig entwickelt in dieser Zeit. Wir haben schon immer die Energie und die Wut unserer Musik in gute Melodien münden lassen. Besonders deutlich wird das auf unserer neuen Platte zu hören sein.“ Durch eine Hörprobe aus dem Album „No Substance“ werden Graffins Worte deutlich unterstrichen. Eingängige Melodien wie die von „Victims of the Revolution“ oder „At The Mercy Of The Imbeciles“ wechseln ab mit purem Powerpop. Den Song „Raise Your Voice“ nahmen Bad Religion gar mit Hosen-Vorstand Campino als Single ein zweites Mal auf. Graffin: „Dabei interessierte mich weniger der musikalische Anspruch der Toten Hosen, sondern vielmehr die enorme Energie, die sie ins Publikum tragen, diese Tightness zwischen Campino und den Fans. Ein Song wie ‚Raise Your Voice‘ braucht diese Publikumsnähe. Schließlich fordert er die schweigende Mehrheit auf, sich bemerkbar zu machen.“
Auch Hosen-Held Campino sieht die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit positiv: „Bad Religion haben ein paar verdammt große Lieder geschrieben, und ich respektiere sie schon seit Jahren. Als ich dann den Anruf aus New York bekam und die Band mir anbot, bei ‚Raise Your Voice‘ mitzumachen, war mir sofort klar, daß ich dabei sein würde. Wenn man über die Musik andere Leute kennenlernt, die in die gleiche Richtung gehen, ist das das Größte für mich. Ich werde mich für den Rest meiner Tage an diesen Song erinnern. Schließlich bin ich immer noch mehr Fan als Musiker.“
Derweil signalisieren die Verantwortlichen im winterlichen Innsbruck den eigens angereisten Journalisten, daß Gesprächspartner Greg Graffin nun langsam mal arbeiten müsse. Der Auftritt von Bad Religion an der Sprungschanze stehe unmittelbar bevor. Doch Graffin läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Also noch eine letzte Frage: Die jüngsten Fans von Bad Religion waren noch gar nicht geboren, als die Band gegründet wurde. Jetzt kommen Eltern und Kinder gemeinsam ins Konzert. Darf Punk so generationsübergreifend sein? „Aber sicher, Punk ist schließlich eine Lebenshaltung und hat eine höhere Halbwertszeit als etwa Zahnklammern und Pickel.“ Und wie steht es dann mit dem bekannten Phillip Boa-Statement: Was sind das für Zeiten, in denen Kinder dieselbe Musik hören wie ihre Eltern? „Bullshit. Ein Kennzeichen großer Songs ist doch gerade, daß sowohl Eltern wie auch Kinder sie singen. Songs wie ‚As Time Goes By‘ zum Beispiel oder ‚Something‘ von den Beatles, die haben zeitlose Größe. Und was die notwendige Rebellion beim Generationskonflikt angeht: Eltern können ihre Kinder auch dazu erziehen, wach, rebellisch und unbequem zu sein. Das ist man nicht nur von 15 bis 17, dann ist nicht Schluß. Das ist eine grundsätzliche Lebenseinstellung.“
Mitten in die pädagogischen Ausführungen des verdienten Punkveteranen platzt einmal mehr ein Offizieller hinein – nun müsse man aber wirklich zur Skischanze aufbrechen. Graffin indes hat noch etwas zu erledigen: „Ich muß mir noch schnell einen Pullover besorgen.“ Spricht’s und verabschiedet sich freundlich. Tja, auch Punks müssen sich im Alter warm anziehen.