Total Normal
Nein, Popstars möchten Travis partout nicht sein. Und das,obwohl ihre Musik immer beliebter wird. Die Band aus Glasgow übt sich in notorischer Bescheidenheit.
GLITZER, GLRMOUR, GIRLS, GIRLS, GIRLS: WER DIESE Attribute als Grundpfeiler jeder ordentlichen Popstar-Existenz ansieht, dürfte Travis für die vollkommenen Langweiler halten. Die vier Burschen aus Glasgow legen es aber auch hart darauf an, erst mal für öde gehalten zu werden. Mit seinem stoischen Gleichmut brachte Sänger Fran Healy jüngst sogar den routinierten britischen Radiomoderator und Komiker Sean Hughes von der BBC zum Verzweifeln: „Cehst du gerne in den Pub?“ – „Nein.“ – „Welche Bands magst du?“ – „Ich höre keine Musik.“ – „Welche Bücher liest du?“ – „Ich lese nicht.“ – Hughes warf das Handtuch: „Ich sitze hier mit dem langweiligsten Menschen des Planeten!“ Was will man auch von einem Mann erwarten, dessen Wunschziel als Musiker es ist, dass seine Songs eines Tages in jeder Pizzeria laufen („…dort, wo die beste Musik nun mal endet“). In England, wo sich Travis‘ zweites AJbum „The Man Who“ seit Monaten in den Top Five eingenistet hat, dürfte dies ohnehin längst der Fall sein. Und dann ließen sich Travis für das BookJet auch noch wie Bauernburschen vor hellen Holzwänden fotografieren. Landhaus-Romantik in allen Ehren, aber sieht so die Band von morgen aus? „Zu wenig Profil!“, urteilte prompt die Musikpresse, und im „New Musical Express“ kotzte sich vor kurzem mittels Konzertbesprechung ein Autor aus, der in Travis‘ dezidierter Non-Subversivitäl die Bedrohung all dessen sah, was sich der Rock’n’Roll in den letzten 40 Jahren mühsam zusammenrebelliert hat.
von ANDREAS KRIEGER und JOLS
Was also sind das für Typen, die mittlerweile auch hier zu Lande mit einer Nachhaltigkeit die Charts erklettern, die selbst einer Band wie Oasis einigen Respekt abnötigen müsste? Die Antwort: Es handelt sich um vier sensible lungs, die aussehen, als wären ihre Hobbys Tagebuch schreiben oder spazieren gehen. Und mit Kindern oder Tieren können die sicher auch ganz prima umgehen. Beim Interview im Tourbus sind Gitarrist Andy Dunlop und Schlagzeuger Neil Primrose – wie sollte es anders sein – bestens gelaunt. Sie grinsen, lachen und erzählen wie die Weltmeister. Zum Beispiel darüber, warum sie ihr Erfolgsalbum „The Man Who“ ausgerechnet zwei Toten gewidmet haben: Stanley Kubrick und einer Unbekannten namens Shirley. „Kubrick starb genau in der Woche, als wir letzte Hand an das Album legten. Wir mögen seine Filme sehr. Na ja, und Shirley ist zur selben Zeit hops gegangen. Sie war ja so ein liebes Hundchen“, sprudelt es Dunlop heraus, und er springt so energisch von der roten Oma-Couch auf, dass beinahe die Holzuhr von der Buswand fällt – eigentlich fehlen hier drin nur noch Häkeldeckchen und Kreuzworträtsel zur formvollendeten Spießeratmosphäre. „Wir lieben Gegensätze“, erläutert Dunlop,“irgendwie passt es prima zu uns, dass wir die Platte gleichzeitig einem großen Künstler und einer Hündin gewidmet haben.“
Als der Kunststudent Healy 1991 in die Band des Kellners und hoffnungsfrohen Schwimmsportlers Primrose und des AC/DC-Fans und angehenden Juweliers Dunlop einstieg (wobei er die ursprüngliche Sängerin verdrängte), sollte diese noch ein paar Jahre Glass Onion heißen, benannt nach dem gleichnamigen Beatles-Song. Noch länger dauerte es, bis sich Travis (so nennt sich die Truppe seit 1994) bequemten, eine „richtige Band“ zu werden. „Damals konnte uns in Glasgow kein Mensch ausstehen“, erinnert sich Dunlop, „wir waren scheiße, totaler Dreck.“ Trotzdem: Die Band beteiligte sich an Wettbewerben, und über eine Radio-Session wurde sogar der US-Produzent Niko Bolas (Neil Young, RollingStones) auf Travis aufmerksam. Aber wieder tat sich lange Zeit gar nichts. Bis Healy („manchmal muss man das Arschloch sein“), wie der Rest der Truppe unglücklich mit der Situation, 1996 ein Machtwort sprach und die Band umkrempelte. Er verfügte, dass die Gebrüder Martyn, die bisher Bass und Keyboards bedient hatten, die Band verließen. Als Ersatz am Bass süeß Dougie Payne zu Travis, ein Musiker, der zuvor an der renommierten Glasgower School Of Art studiert hatte. Erste Proben verliefen vielversprechend, lange vermisster Enthusiasmus kam auf. Im Juni 1996 dann zog das Quartett nach London, wo Andy MacDonald, Ex-Chef von GolDiscs auf sie aufmerksam wurde. MacDonald war gerade auf der Suche nach Acts für sein neues Label Independiente und nahm mit Travis das Debütalbum „Good Feeling“ auf, das 1997 bis auf Platz 7 der englischen Charts kletterte, während Singles wie „Ll 16 Girls“ und „Tied To The 90s“ noch auf mittleren Hitparadenpositionen vor sich hin dümpelten.
Den pndqultiqpn Durchbruch schafften die Schotten erst mit dem Album „The Man Who“. Kein Durchbruch mit einem Knall, sondern ein vergleichsweise langsames, dafür aber umso nachdrücklicheres Einnisten – wie es sich für einen „Slow bumer“ gehört – in den Charts und den Playlists der Radiostationen in Europa. Standen auf dem Debütalbum zartschmeLzenden Balladen noch harmonietrunkene Hurra-Rocknummern wie „Tied ToThe 90s“ oder der breitarschige Bolzen „All I WantTo Do Is Rock“ gegenüber, klingt der melancholische Nachfolger vom letzten Jahr, als hätten sich Thom Yorke und Noel Gallagher zusammen mit der Plastic Ono Band an einer Kuschelrock-LP versucht. Travis sind reifer geworden, ohne dabei ein Gramm Jugendlichkeit einzubüßen – passend zum Plattentitel, zu dem TV-Junkie und Lesemuffel Healy ausgerechnet von einem Buch inspiriert wurde: „The Man Who Mistook His Wife For A Hat“ von Oliver Sacks, eine Sammlung von Fallstudien über Sinnesstörungen.
Der Bandname selbst geht auf einen anderen Ursprung zurück: Travis heißt der von Harry Dean Stanton dargestellte lethargische (Anti-)Held aus Wim Wenders Film „Paris, Texas“. „Wir sind total süchtig nach Kino“, gluckst Andy Dunlop gemütlich. „Es ist auch einfacher, sich von Filmen inspirieren zu lassen als von anderen Bands. Außerdem kommen wir so gar nicht erst in Versuchung, jemanden zu kopieren. Wir wollten nie wie andere klingen, sondern immer unser ganz eigenes Ding durchziehen.“ Deshalb zogen sich Travis für die Sessions zu „The Man Who“ mit dem Produzenten Mike Hedges (Manie Street Preachers) auf dessen Schloss in der Normandie zurück. Dort machten die Jungs einen auf Landadel, aßen leckere Käsebrote, tranken Tequila und guckten stundenlang nach Sternschnuppen. In dieser Atmosphäre höchster Entspannung konnte keine Platte mit lauten Gitarren und schnellen Rockern entstehen. Als man nicht mehr so recht weiterkam, übernahm der Producer Nigel Godrich (Pavement, Beck, Radiohead) das Ruder. „Wir hatten einen Heidenrespekt vor Godrich wegen seiner fantastischen Leistung bei Radioheads Album ‚OK Computer'“, erinnert sich Dunlop, „aber er ist wirklich ein liebenswürdiger Kerl, der instinktiv arbeitet wie ein Musiker. Wenn wir im Studio sind, spielen wir immer live, alle vier in einem Raum. Da entsteht eine Magie, die nur schwer einzufangen ist. Aber Nigel kann das.“
Zwei Millionen Platten haben sie mittlerweile allein in Europa verkauft. Doch Travis bleiben auf dem Boden, ja, sind geradezu neurotisch bescheiden: nicht einmal ihre vollen Namen haben sie im Booklet zur CD abgedruckt. „Unsere Musik ist viel bekannter als wir es sind. Und das ist völlig okay, denn wir halten uns lieber im Hintergrund und stellen stattdessen die Songs ins Rampenlicht. Angeber, die immer und überall ‚Schaut mich an!‘ brüllen, können wir überhaupt nicht leiden“, murmelt Primrose im derbgemütlichen schottischen Akzent mit vielen a’s und o’s und rollenden rrr’s, „uns reicht es, Musik zu machen, die wunderschön ist.“ Darunter verstehen Travis Songs, die zwar nicht banal sind, aber einfach. „Wir leben ohnehin in einer komplexen Welt. Da soll unsere Musik die Menschen nicht noch zusätzlich verwirren“, erklärt Dunlop die Denkweise von Travis, „wir sind gegen das Elitäre, Abgehobene. Wir möchten mit unseren Liedern so viele Menschen erreichen, wie wir nur können.“ Geradezu programmatisch heißt einer von Travis‘ bislang besten Songs denn auch „Writing To Reach You“ wobei das „you“ im Plural steht. Schließlich ist eine Nummer von Travis ist immer auch eine Nummer, bei der eine ganze Halle ungeniert mitsingen soll. „Was ist so schlimm daran, einfache Dinge zu machen? Unsere Texte sind offen, so dass jeder Zuhörer seine eigenen Erfahrungen mit einbringen kann. So verhindern wir, dass die Leute sagen: ‚Oh, das wird mir jetzt aber zu schwierig!‘ Die meisten Leute mögen es einfach – wir sind einfach.“
Im März treten Travis einen weiteren Beweis für diese These an. Dann nämlich sind sie noch einmal auf Deutschland-Tour (19.3. Köln, 20.3. Offenbach, 27.3. Hamburg, 28.3. Berlin, 29.3. München; Tickets: 069/9443660). Und dann erscheinent auch die neue Single „Driftwood“. Die enthält als B-Seite Travis‘ hoch gelobte Coverversion von Britney Spears‘ „Baby One More Time“, mittels Akustik-Klampfe zur Killerballade veredelt. „Wirklich ein Supertrack“, diktiert Fran Healy – er ist alleiniger Songschreiber bei Travis – in jedes Mikro, das ihm vor die Nase gehalten wird. Kann durchaus sein, dass er es ernst meint. Denn wir wissen ja: Image ist nichts, Lust ist alles. Und was ist mit der Langeweile? Dafür sind die Bands mit Glitzer, Glamour und Girls zuständig.