Im Visier


Popstars riskieren viel: Briefbomben, Telefonterror und Morddrohungen - besessene Fans verfolgen Prominente bis ins Schlafzimmer. "Stalking" heißt das makabere Katz- und Mausspiel, und manchmal endet es tragisch. ME/SOUNDS untersucht ein ebenso sonderbares wie erschreckendes Phänomen. Willkommen auf der Schattenseite des Ruhms.

Etwas ratlos sland Michael Abram vermutlich in der De-/embernacht vor dein Stacheldrahtzaun, der George Harrisons Anwesen im englischen Henley vor ungebetenen Besuchern schützen soll. „(Jet Yer Ass Out’a Here“ steht da auf einem holzgerahmten Schild – ein typographischer Tritt in den Hintern, für alle Fälle noch übersetzt in acht Sprachen. Kurz vor drei Uhr morgens jedoch enlschloss sich Abram – mindestens ebenso umnachtet wie die Villa des Ex-Beatle – das „Betreten streng verboten“ zu ignorieren. Der ehemalige Junkie kletterte über den Zaun und schlich durch das 13 Hektar große Grundstück, um einen Mordanschlag zu verüben. Harrison und seine Frau Olivia versuchten, zwei Tage vor dem Millenniumlahreswechsel Ruhe zu tanken. Die beiden schliefen fest, als im ErdgeschoK eine Fensterscheibe zu Bruch ging. Die Alarmanlage reagierte nicht, doch ein beunruhigter Harrisun durchsuchte nun schlaftrunken selbst seine 120-Zimmer-Bastion. Als er plötzlich dem Eindringling gegenüberstand, zog dieser ein Messer mit 18-cm-Klinge, grifl den Rockslar an und verletzte ihn im Laufe eines minutenlangen Kampfes knapp neben dem Herzmuskel an Brust und Lunge. Sein Leben verdankt llarrison vielleicht dem Mut seiner Frau Olivia, die Abram mit einer schweren Tischlampe außer Gefecht setzte und festhielt, bis schließlich die Polizei eintraf. AI s IOIIN II NN- i ! ‚)-)-. I Londoner „Evening Standard“ verkündet hatte, dass die Beatles „nun populärer als Jesus“ seien, war der heute 33-jährige Abram noch nicht geboren. Für seinen Anschlag suchte der Vater von zwei Kindern nun mit George Harrison ein Opfer aus, das in den letzten Jahren ruhig und zurückgezogen gelebt hat. Stalking rückt als psychopatische Funsportart einer Celebrity-versessenen Gesellschaft mehr und mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Recherchen ergeben, dass Personen des Zeitgeschehens täglich um ihr Leben bangen

Sein Leben verdankt Harrison dem Mut seiner Frau, die den Angreifer mit einer Tischlampe k.o. schlug von müssen – einerlei, ob sie im Rampenlicht stehen oder längst vergessen scheinen: Björk, Axl Rose, Heather Nova, Michael und lanet Jackson, Madonna und Crönemeyer, sie alle haben „Stalker“, penetrante Verfolger, die bisweilen gefährlich und fast immer psychisch gestört sind. Aber auch ABBAs Agnetha Fältskog meldete der Polizei kürzlich einen verwirrten Stalker; ebenso Debbie Gibson, deren letzter Hit schon über zehn lahre zurückliegt. Die ehemalige Teen-Queen bekam einem Student sexuell belästigende Briefe. Die Bedrohung durch Stalker ist zu einer der schwerwiegendsten Nebenwirkungen des Erfolges geworden. Studien aus Wien zeigen zwar, dass bereits im 19. Jahrhundert Zirkusartisten und Heerführer Liebesbriefe und Heiratsanträge von Unbekannten bekamen, das Celebrity-Stalking von heute allerdings ist ein Resultat unserer hoch technisierten Medienwelt: Durch Fernsehen und interaktive Kommunikation im www entsteht eine beständige Illusion von Intimität mit Stars – angebliche Kontaktforen wie „Post A Message To Michael Jackson“ (www.michael-jackson.com) oder die „Whitney Worship Webpage“ (www.whitney-fan.com) bringen Prominente in Mausklick-Reichweite. Ein Björk-Fan{atiker) weiß heute oft mehr über die kleine Isländerin als über seine Nachbarn.

DER LENNON-MÖRDER Mark Chapman ist bis heute der berühmteste Celebrity-Stalker. F.r hatte den Superstar bereits monatelang verfolgt, bevor er erstmals Kontakt aufnahm: Um etwa 17 Uhr ließ ersieh am 8. Dezember 1980 ein Autogramm auf ein Exemplar der „Double Fantasy‘-LP geben. Lennon stellte im Anschluss die Aufnahme „Walking On Thin Ice“ fertig und kehrte um kurz vor 23 Uhr zu seiner Park Avenue-Wohnung in Manhattan zurück. Im Hauseingang wartete Chapman, rief „Mr. Lennon“ und feuerte fünf Kugeln auf den Superstar ab, der drei Wochen zuvor seinen Bodyguard entlassen hatte. John Lennon starb noch im Notarztinsatzfahrzeug an Blutverlust, während Mark Chapman durch die unfassbare Tat zum ersten Stalker mit weltweitem Bekanntheitsgrad wurde. „Ich war ‚Mr. Nobody‘, bis ich den größ-:en ‚Somebody‘ der Well getötet habe“, erklärte sich der Attentäter später und offenbarte damit Einhlick in ein verstörtes Inneres.

DR. PARK DIETZ(51) hat es sich zum Beruf gemacht, die Seelen von geisteskranken Stalkern zu analysieren, ihre Motivationen Itensmuster zu untersuchen. Der Professor für klinische Psychiatrie trat als Experte in unzähligen Gerichtsverhandlungen auf und leitet dieThreat Assessment Group in Newport Beach, Kalifornien. Dieses Zentrum für Gewalt-Prävention arbeitel an fast allen bedeutenden Stalking-ralien. Zu den Klienten gehörten Cher, Michael lackson und Olivia Newton« lohn. Die Meinung von Dietz gilt bei potenziellen Opfern wie Fachleuten gleichermaßen viel, da er ais einziger wissenschaftliche Studien zu Stalking durchgeführt hat. Die Rechtfertigung des U-nnon-Mörders Chapman könnte das klassische Stalking-Motiv nicht deutlicher beschreiben, wie Dietz früh am Morgen in seinem Büro in los Angeles erläutert: „Alle Celebrity-Stalker haben eines gemeinsam: den Mangel an Persönlichkeit. Und genau wie der Bankräuber dahin geht, wo Geld ist, geht der StaJker dahin, wo Persönlichkeit ist.“ Djetz kennt die Psyche der Stalker wie kein anderer, und doch wäre das Attentat 1980 in seinen Augen kaum zu verhindern gewesen. „Tätliche Angriffe sind so selten, dass es dumm wäre, sich in Vorhersagen zu versuchen. Auf jede tatsächliche Attacke kommen 1000 harmlose Stalker. Wir können lediglich zwei Fragen stellen, die wir dann verknüpfen: Welche Stalker werden versuchen, ihr Opfer persönlich zu treffen? Und welche Personen aus dieser Gruppe werden dann Gewalt anwenden?“ Ein mühseliges und theorielastiges Verfahren also, das nur äußerst selten vorbeugend angewandt werden kann.

SO MÜSSEN SICH Prominente meist selbst auf ihre Menschenkenntnis verlassen, wenn es darum geht, einen gefährlichen Stalker als solchen zu erkennen. Kein leichtes Unterfangen, denn die Psychologie des Stalking funktioniert nach ihren eigenen Gesetzen: Morddrohungen sprechen nur scheinbar eine deutliche Sprache. Jelhro Tull-Mastermind lan Anderson betrat beispielsweise einst todesmutig die Bühne in Boulder/Colorado, obwohl ihm von einem StaJker prophezeit worden war, dass dies sein letztes Konzert im Diesseits sein sollte. Trotz immenser Anspannung entschloss sich Anderson gegen eine Absage des Auftritts – er hatte schließlich bereits einige Erfahrung mit Geisteskranken. In den 70ern und 80em wurde der englische Rockstar fast ständig belästigt. „Ein Typ war aus der Klapsmühle ausgebrochen und hat mit verzerrtem Gesicht an unsere Fenster geklopft“, erzählte er dem englischen Magazin „Q“. Die meisten seiner zeckenhaften Verfolger konnte schließlich die Polizei entfernen. Der Urheber jener Morddrohung allerdings blieb unentdeckt. „Ich hab die Show in kugelsicherer Kleidung gespielt“, erinnert sich Anderson. „Es war verdammt heiß und ungemütlich. Der Typ war schon länger auf mich fixiert gewesen, die Polizei haue ihn aber nie erwischt. Die Kripo von Denver war an dem Abend alarmiert und hat sich unter meine Roadies gemischt. Am Ende ist aber überhaupt nichts passiert, und ich habe seither nie mehr von ihm gehört.“

DIESER VERLAUF ÜBERRASCHT Dr. Dietz nicht. „Morddrohungen sind keineswegs der beste Indikator für Gefahr“, erklärt er langsam und besonnen. „Die Slalker, die ihre Opfer getötet haben, haben oft gerade nicht Drohungen ausgesprochen. Es gibt unzählige verärgerte und feindselige Stalker, die mit Mord drohen, aber trotzdem niemals persönlich Kontakt suchen würden. Sie werden nie angreifen.“ So bekamen auch Victoria „Posh Spiee“ Adams und ihr Ehemann und Fußballstar Davi-3 Beckham in den letzten Monaten Morddrohungen, die glücklicherweise bisher folgenlos blieben: Die, Familie erhielt zunächst eine Fotomontage, die ihren gemeinsamen Sohn Brooklyn mit einer Schusswunde zeigte, und erst kürzlich folgte ein Brief, der neben dem Bild einer blutenden Victoria die krypüsche Botschaft enthielt: „Du wirst bekommen, was auf dich zukommt“.

PSYCHISCH GESTÖRTE STALKER sind meist alles andere als Kommunikations-Genies: Teilen sie sich ihren Opfern mit, dann sind die Briefe häufig konfus und wirr, (anet Jackson war zwar nicht die einzige Adressatin der seltsamen Botschaften eines Jay Myers (auch Bill Clinton und Golfkrieg-General Powell hatten das Vergnügen), dennoch entschloss sie sich vorsorglich, den Geisteskranken per einstweiliger Verfügung fem zu halten, nachdem sie 1988 folgende Zeilen erhalten hatte: „Ich habe niemals die LIEBE rausgenommen. Sie war vor wenigen Wochen im Weißen. Haus archiviert. Zeig’s mir. Ich hab seinen Song gehört Gleich, als du meine Karte bekommen hast. Das ist schön. Kann ich dich mal anrufen. Tut mir leid wegen dem weißen Lärm.“

DER WEISHEIT LETZTER Schluss sind einstweilige Verfügungen (im amerikanischen Recht: Restraining Orders) sicher nicht. Für den Stalker ist eine solche gerichtliche Anordnung ein frustrierendes Signal der Ablehnung, und für den Star hat sie nur wenig schützende Funktion. Außer lanet lackson versuchten auch Axl Rose, Ian Anderson und Linda Ronstadt mehr oder weniger erfolglos, Verfolger auf diesem Wege loszuwerden. „Man kann mit einer einstweiligen Verfügung natürlich einem Störenfried untersagen, ein Grundstück zu betreten“, erläutert Gerhard Zierl, Ministerialrat des Bayerischen lustizministeriums. „Allerdings sind dazu immer Einzelfalle mit bestimmten Tatbeständen erforderlich, beispielsweise eine Verletzung des Eigentumsrechts. Man kann niemanden davon abhalten, sich dauerhaft etwa auf der öffentlichen Straße vor dem Grundstück aufzuhalten.“ Auch in Deutschland wird man zunehmend auf das Problem der penetranten Promi-Belästiger aufmerksam. Die Rechtsprechung hat allerdings noch nicht reagiert. Während in den USA bereits 1990 das erste Anti-Stalking-Gesetz verabschiedet wurde, beteuert Zierl, „die Sachlage aus den Medien, nicht aber aus der Praxis“ zu kennen. Er beurteilt das deutsche Recht zu Stalking als „wenig ergiebig“. So sind die meisten einheimischen Stars auch bei bedrohlich wirkender Belästigung zu Passivität und Abwarten verdammt. Auch wenn Campino von den Toten Hosen abwiegelt: „Generell haben wir eigentlich überhaupt keine schlechten Erfahrungen mit superfanatischen Fans gemacht, weil die meisten Verständnis haben, wann eine Grenze überschritten ist“, erzählt der Sänger. Doch im Laufe seiner Karriere hat auch er unter Verfolgern gelitten: „Klar, dass wir in all den Jahren auch ein paar Nerver dabei hatten – ich erinnere mich an einige Mädchen, die bestimmt drei Jahre lang jeden Tag vor meiner Wohnungstür gewartet haben und mir dann in ihrem Wagen ständig gefolgt sind. Sie führen bis zum Studio mit, warteten, und wenn ich wieder herauskam, begleiteten sie mich wieder zurück. Das war schon irritierend, weil ich mir nicht erklären konnte, was die wollten. Ich habe mich gefragt, ob das nicht irgendwann mal umschlägt in eine totale Frustration, da ich schon vermieden habe, mit den Mädchen zu reden. Als Person des öffentlichen Lebens ist es ganz klar, dass sich auch mal geistig verwirrte Leute auf dich fixieren, und dann kann es auch unangenehm werden“, berichtet der Hosen-Frontmann, ohne Einzelheiten rauszurücken. Nur so viel sagt er: „Anonyme Briefe, Telefonterror – das ganze Programm. Glücklicherweise hört so etwas dann nach einiger Zeit immer wieder von selber auf.“

NICHT GANZ SO entspannt dürfte der deutsche Superstar Herbert Grönemeyer das Thema Stalking sehen. Während er selbst es vorzieht, sich nicht dazu zu äußern, berichtet eine Person aus seinem Umfeld von dauerhaften Problemen mit besessenen Fans: „Es gibt eine ganze Menge solcher Verrückter“, so die Quelle. „Einmal hat sich ein Bekloppter bis in die Garderobe hinter der Bühne durchgekämpft und Grönemeyer auch bedroht.“ Die Situation konnte mit Hilfe des Sicherheitsdienstes und der Polizei entschärft werden. Die Jagd auf Grönemeyer ist allerdings noch nicht vorbei. Immer wieder rufen Anonyme sein Management-Büro an und versuchen, geheime Wohnadressen des Musikers herauszufinden. I

Auch wenn es mit „Pirschjäger“ noch keine befriedigende deutsche Übersetzung für „Stalker“ gibt: das Phänomen ist auch hierzulande von steigender Bedeutung. Für den Moment lebt der Großteil deutscher Pop-Promis jedoch noch relativ unbehelligt. Smudo von den Fantastischen Vier hat mit Stalkern „keinerlei Erfahrung gemacht“. Und auch im Hause Setlur gab es angeblich noch keine Zwischenfälle mit gerichtlichen Konsequenzen. „Natürlich gibt es Fans, die vor den Häusern von Xavier (Naidoo) und Sabrina rumhängen und glotzen“, erzählt Sabrinas Schwester und Pressebeauftragte Yvonne Setlur. Und: „Manche rufen ständig an und bestehen darauf, mit den Künsüern zu sprechen. Aber viele von denen sind ja noch Kinder. Wir haben eigentlich liebe Fans“. Und das ist gut so, denn die Infrastruktur für hilfesuchende Opfer ist in Europa noch recht dürftig. Ein vielversprechend betiteltes „Stalking Expertise Centrum“ (www.stalkingexpertisecentrum.nl) in Holland wirbt zwar damit, zuständig für sämtliche Anfragen aus Deutschland und Benelux zu sein, bei näherer Inspektion jedoch versagen die Experten: Bis Redaktionsschluss beantworteten die angeblichen Stalking-Spezialisten weder Anrufe, noch Faxe oder E-Mails.

WIRD MAN IN der Bundesrepublik von Stalkem belästigt, wird die Polizei allenfalls beratend tätig. Eine Sonderkommission wie bei der LAPD in Los Angeles ist noch nicht einmal angedacht: „In LA. ist das Problem sicher größer“, mutmaßt Uwe Kozelnik, Pressesprecher der Berliner Polizei. „Überhaupt ist es noch lange kein Straftatbestand, wenn jemand einen Star verfolgt. Anders ist es, wenn es in Richtung Bedrohung geht, dann kann eine Ermittlung möglich werden. Aber wenn einem jemand auf die Nerven geht, ist das noch kein Grund, die Polizei einzuschalten. Die Kripo hat jedenfalls Beratungsstellen. Man könnte einer Person empfehlen, durch souveränes und klares Handeln einem Belästiger Grenzen aufzuzeigen“, so Kozelnik.

IM PRIVATEN UMFELD gewöhnlicher Menschen ist das tatsächlich ratsam: „NormaleLeute sollten eine Person, mit der sie nichts zu tun haben wollen, das auch wissen lassen“, bekräftigt Dr. Park Dietz. Für Promis indes gilt das nicht – das aggressive Verhalten der All Saints-Sängerin Nicole Appleton, die einem Stalker im Jeep bis zu dessen Haustüre folgte, um ihndort lautstark zurechtzuweisen, hält Dietz für einen großen Fehler. „Das ist kein clevererSchachzug“, meint er nachdrücklich und betont jedes einzelne Wort. „Erstens kann eine solche Begegnung einen Stalker zu körperlicher Gewalt verleiten. Wenn er bewaffnet und gefährlich ist, dann ist das das letzte Kapitel. Zweitens wird es vermutlich einen Stalker mit harmlosen Absichten zu einem mit schlechten machen.“ Vorsicht ist also geboten. Auch Madonna muss sich vorsehen: Ihr Ehemann Guy Ritchie verprügelte kürzlich einen Stalker vor ihrem Londoner Zuhause. Schockiert von dem Harrison-Atlentat, hatte der schwangere Superstar im Frühling beim Management verstärkt die eigene Sicherheit zum Thema gemacht und auf Anraten der Experten ein 13-Millionen-Mark-Haus nur wenige Wochen nach dem Kauf wieder zum Verkauf angeboten. Doch auch der sicherheitstechnisch angeblich weniger bedenkliche 3-Millionen-Wohnsitz in Kensington blieb nicht unentdeckt. Sei! Wochen lauerte dort ein 20-jähriger Fan dem Paar auf, klopfte an die Autoscheiben und versuchte, Madonnas Türe zu öffnen, bis Guy Ritchie der Kragen platzte. Nach Ritchies jüngstem Wutausbruch hat sich die I.age jedoch verschärft. Der penetrante Jugendliche ist verärgert und hat Anklage wegen Körperverletzung erhoben. „Ein tätlicher Angriff wird von einem geisteskranken Stalker als Bestätigung seiner Beziehung zu

dem Star verstanden ‚, warnt Dr. Dietz, „und für einen weniger kranken Verfolger ist das eine aggressive Herausforderung, die Folgen haben kann“.

STAR-FIXIERTE PSYCHOPATHEN macht vor allem eines gefahrlich: Zurückweisung. Meist fühlten sich Stalker schon in ihrer Kindheit ungeliebt, ihre soziale Entwicklung verläuft mehr als unbefriedigend. „Sie suchen nach jemandem, der sie akzeptiert, weil sie diese Sicherheit nie von ihrer Familie erhalten haben“, erklärt Dietz. „Sehr oft sind Stalker Menschen, die von ihren Filtern abgelehnt wurden. Sie sind alleine und weder zu Flirts noch zu gesunden sexuellen Beziehungen fähig“. Und in der Tat scheint eine Vielzahl der Stalker das notorische und für die Betroffenen unerquickliche Verlangen zu spüren, als Familienmitglied eines Stars anerkannt zu werden. Die 39-jährige Karen McNeil behauptet seit Jahren, die Ehefrau von Axl Rose zu sein. Unbeeindruckt drängte der verschlossene Cuns N’Roses-Sänger das zuständige Gericht 1996, McNeil per einstweiliger Verfügung zu verbieten, sich dem Malibu-Anwesen sechs oder sieben Mal Hausfriedensbruch begangen hatte. Bei diesen unangekündigten Besuchen habe sie behauptet, Axl hätte auf übersinnliche Weise mit ihr Kontakt aufgenommen. Zudem äußerte sie angeblich: „Wenn er nicht mir gehört, dann gehört er auch niemand anderem.“ Erst im Mai 2000 wurde McNeil zum wiederholten Male vom Sheriff verhaftet, nachdem Axl Rose telefonisch die Stalking-Soko informiert hatte. Auch die 41-jährige Lavon Muhammed rief Michael (acksons lächelnder Haushälterin „Ich bin Familie!“ zu und schaffte es bei diesem achten Hausfriedensbruch auf lacksons Neverland Ranch 1997 bis in die Küche, wo sie sich ein Sandwich schmierte. Während der Verhandlungen behauptete Muhammed, sie sei Jacksons Frau und Mutter ihrer vier gemeinsamen (imaginären) Kinder. Dem Ehepartner-Wahn erlag auch Robert Dewey Hoskins, der durch ein spektakuläres Urteil 1996 zu zehn Jahren Flaft verdonnert wurde, nachdem er sich über einen Zeitraum von fünf Jahren mehrfach Zutritt zu Madonnas Anwesen in Hollywood verschafft hatte. Als Begrün düng für seine Penetranz hatte er geäußert, er sei ihr Ehemann und werde Madonna „von Ohr zu Ohr“ den Hals aufschlitzen, wenn er sie nicht sehen dürfe. In diesem Jahr erst diagnostizierte ein Psychologe nach Gesprächen den inhaftierten Hoskins für nach wie vor „nicht geheilt“ – immer wieder versucht er noch hinter Gittern, seine vermeintlichen Ehefrau mit Drohbriefen zu belästigen.

WHITNEY HOUSTON HATTE Mitte der 90er lahre 20 Stalker gleichzeitig bei der Polizei gemeldet. Wie „Stalking-tauglich“ ein Star letztlich ist, hängt vom Image ab, das er in der Öffentlichkeit genießt: Je freundlicher und warmherziger ein Prominenter erscheint, desto mehr Verrückte verlieren sich in Wahnvorstellungen. „Es ist gefährlicher, lieb und nett zu erscheinen als hart und gemein“, berichtet Psychiater Dr. Dietz von seinen Untersuchungen. Trotz relativer Uneinigkeit über Klassifizierungsmethoden gibt es in der Wissenschaft einen Konsens darüber, dass der Erotomane ein häufig auftretendes Modell unter geisteskranken Stalkem ist. Besessene dieses Typs leben in der felsenfesten und illusorischen Überzeugung, ein sexuelles Verhältnis zu ihren Opfern zu haben, die sie

dämmerte, dass seine Liebe zu Björk möglicherweise unerwidert bleiben würde. Die Traumwelt des Rassisten aus Florida brach endgültig zusammen, als er von Björks Beziehung zu dem farbigen Drum’n’Bass-DI Goldie hörte. Frustriert und wahnsinnig schickte er eine Briefbombe an die Londoner Adresse der isländischen Sängerin. Das Attentat konnte im letzten Augenblick von aufmerksamen Postbeamten verhindert werden, die das tödliche Päckchen entschärften. Nur wenige Tage später beendete Lopez sein Leben selbst: Er schoss sich in den Kopf und nahm die Tat auf Video auf. Auch Lleather Nova wurde über einen längeren Zeitraum von einem Erotomanen beunruhigt. „DerTyp hat mir sexuell kranke Briefe geschrieben“, erzählt sie mit gerunzelter Stirn. „Lr hat in einer totalen Fantasiewelt gelebt. In einem Brief standen Sachen wie ‚Es hat mir so weh getan, dich gehen zu sehen – damals am Flughafen in Phoenix.'“ Eine Stadt, in der Nova tatsächlich schon auftrat. Schließlich kündigte er einen Besuch in lx>ndon an, informierte lleather über Flugnummer und Ankunftszeit. „Der dachte wirklich, ich hole ihn dann in I leathrow ab“, erinnert sich Heather, der dieser Vorfall noch immer unheimlich ist. Wäre der Unbekannte tatsächlich an ihrer I laustür aufgetaucht, er hätte beste Gesellschaft gefunden: ein junges deutsches Mädchen, das die Wahlengländerin Nova über Monate verfolgte. „Sie kam nach London und hat ein Zimmer in meiner Straße gemietet“, stöhnt I leather. „Sie hing den ganzen Tag vor meiner Wohnung rum und wollte, dass wir beste Freundinnen sind.“

LEIDENSCHAFTLICHE FANS UND besessene Stalker trennt oft nur ein schmaler Grat. So sehr gerade Musiker von der ausdauernden Bewunderung und einseitigen Liebe ihrer Anhängerschaft abhängig sind, so schnell können ! ihre Fans zu Feinden werden. „Bist du ein lei- j denschaftlicher Fan? I Iard-Core?“ lautet die Frage i ausgerechnet auf Björks Website (www.bjork.com). i Ein Link verbindet die besonders hingebungsvollen Anhänger mit dem Fan-Magazin, das mit detaillierten Informationen wiederum die Illusion der Intimität mit der Sängerin verstärkt. „Der gefährliche Besessene unterscheidet sich vom harmlosen Fan durch das Ausmaß, in dem er die normalen Freuden der Liebe für die illusorische Beziehung zum Star opfert“, analysiert Dr. Dietz mit wissenschaftlicher Gelassenheit. „Verfolgt der Fan die unmögliche Beziehung zur Prominenz auf Kosten von Familie, Freunden und potenziellen Romanzen, dann haben wir es mit einem Psychopathen zu tun.“ Und von denen gibt es weit mehr als bisher bekannl. „Die Öffentlichkeit erfährt nur von einem Stalker unter 10.000. Künftig wird sich das ändern, da die Medien auf das Thema aufmerksam geworden sind“, prophezeit Dr. Dietz und ergänzt: „Superstars wird es immer geben. Nur weniger von ihnen werden auch superreich sein. Es ist gefährlicher, ein bisschen berühmt zu sein als sehr berühmt. Denn wer ein bisschen berühmt ist, hat zwar Stalker, aber kein Geld für Sicherheitskräfte.“