Alle selig


1s die Augen sich erst einmal an die Dunkelheit gewöhnt haben, bietet sich ein atemberaubender Anblick: Sterne, Sterne, überall Sterne. In der Ferne drehen sich rote Nebel, gleißende Kometen, kaltblaue Monde. Unter dem gläsernen Fußboden gähnt eine schimmernde Unendlichkeit, über dem Kopf leuchtet mau eine Zwillingssonne in den Fahrstuhl. Der Liftboy grinst, weil er das Erstaunen der Gäste kennt: Der Designer Philipp Slarck hat das Hotel entworfen. Alles sehr exquisit, alles sehr außergewöhnlich. Fünfter Stock? Der Fahrstuhl zu den Stars, den weiblichen Säulenheiligen des britisdien Pop, den All Saints, yeah! In der Suite des Londoner Paramount-Hotels wehen weiße Leinenvorhänge von den Fenstern, der riesige Raum ist durch faltbare Stellwände unterteilt. Auf dem Marmorboden steht ein Designerstuhl. Für den Journalisten. Gegenüber das tiefe weiße L.edersofa, auf dem Melanie Blatt (25) und Nicole Appleton (26), also 50 Prozent der All Saits, Rede und Antwort sitzen werden. Beide stecken sie in Trainingshosen und sind auffallend sparsam geschminkt. Mel trägt einen Schlabberpulli mit weitem Ausschnitt. Lind Nicole zupft immer wieder ihr blaues, knappes Top unter Nabelhöhe zurück, wenn es wieder mal hochgerutscht ist. Es rutscht gerne und oft. So nett und unverbindlich die Mädels wirken, so schnell fahren sie ihre lackierten Krallen aus. Ein falsches Wort genügt. „Girlgroup“ ist ein falsches Wort. „Wir sind keine zusarnmengekaufte Fußballmannschaft“, versetzt Nicole, „wir sind eine Band, in der nur Frauen spielen, wie die Bangles!“ Nur, dass die schwarze Shaznay, die braune Mel und die blonden Schwestern Nicole und Natalie nicht nur in England als Sexsymbole gelten. Nicht die Bangles drängen sich da auf, sondern beispielsweise die Spiee … „All Saints sind nicht die Spiee Girls. Wir sind er-wa-chsen, verstehst du? Wir machen richtige Musik, kapiert? Und wir halten zusammen.“ Vor anderthaJb Jahren klang das noch anders. Da verklagten die amerikanischen Songwriter Sean Mathers und Robert lazayeri die All Saints und verlangten die Hälfte der Einnahmen von „Never Ever“, ihrem ’97er Nummer-1-Hit – weil sie denselben Song bereits 1996 mit Shaznay aufgenommen hatten. Natalie (26) trennte sich von TV-Moderator Jamie Theakston, dem Vater ihres Kindes. Ihre Schwester Nicole war derweil ins Fahrwasser von Robbie Williams geraten und sorgte mit einer siebenwöchigen Beziehung zu dem Ex-Take-ThaUer für Schlagzeilen. Derweil Melanie ebenfalls Mutter wurde: „Das war vielleicht der kritischste Augenblick in der Geschichte der Band“, erzählt sie, „fünf Jahre lang gab es nichts anderes in meinem Leben als All Saints. Dann wurde ich schwanger. Die anderen Mädchen fanden das nicht weiter tragisch, aber alle anderen – Manager, Produzenten, Leute aus der Plattenfirma – schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und dachten: Das war’s dann!“

Das war es nicht. Denn schließlich sind die All Saints, allen Gerüchten zum Trotz, keine zusammengecastete Karrieregemeinschaft. Die übliche Aufteilung hier ist die Zickige, da die Süße, dort die Schüchterne und da die Wilde – gibt es vielleicht bei den Spiee Girls. Bei den All Saints aber sorgt ein kompliziertes Beziehungsgeflecht für die nötige innere Stabilität der Gruppe, die lange lahre einfach nur aus Melanie und Shaznay (25) bestand. Dann stiegen die Geschwister Appleton ein und brachten den Erfolg mit. Naturgemäß aber auch interne Spannungen, die vor den Kameras von MTV im Dezember 1998 ihren Höhepunkt erreichten. Da saßen Mel, Shaznay, Natalie und Nicole gemütlieh auf dem Sofa und wurden gefragt, was sie sich denn zu Weihnachten wünschten: „Ich wünsche mir zu Weihnachten eine neue Band“, plapperte Nicole. „Und ich wünsche mir eine neue Nicole“, war Shaznays rasiermesserscharfe Retourkutsche. Nicole wurde kreidebleich – und stürmte unter Tränen aus dem Studio. Zu diesem MTV-Vorfall erklärte bald darauf das Management, hier sei der Humor der Mädchen falsch verstanden worden. Und Nicole ließ in einer Pressemitteilung erklären, wie sehr sie sich auf die anstehende Tournee und das neue Album freue. Die Hierarchien waren geklärt, Nicole blieb an Bord. Dass es sich gelohnt hat, beweist das aktuelle Album „Saints & Sinners“ – eleganter, effektreicher Rhythm’n’ßlues mit viel Pop-Appeal. Alles ist wieder gut. Lind damit das die Weltpresse erfährt, hat Mel auch ihre Tochter mitgebracht und erklärt: „Die Band ist ihre Familie, hier liebt sie jeder!“ Stuart Zender, Bassist von Jamiroquai und Vater des Kindes, sitzt im hinleren Teil des Raumes und telefonier! mit gedämpfter Stimme. Die kleine l.ilyella, die von ihrer Mutter „Sweety“ oder „Cuty“ gerufen wird, hat gerade Laufen gelernt und stolpert zwischen Aufnahmegerät, Spielzeug und Sofa umher: „Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt“, flötet Nicole und hebt das Mädchen auf ihren Schoß: „Ist sie nicht wundervoll?“

Wundervoll finden sie auch, dass sie – allerdings ohne Shaznay – in Dave Stewarts Film „Honest“ die Hauptrollen spielen. Der Film floppte zwar in England, und in Deutschland kommt er gar nicht erst in die Kinos, „aber es hal Spaß gemacht, mit Dave zu drehen“. Und wundervoll finden sie natürlich auch, dass die Brit-Prinzen William und Harry ihre Zimmer mit All-Saints-Postern tapeziert haben. „Hat mir Prince Charles verraten“, gesteht Nicole kichernd. Ob es sie denn nicht störe, Personen von öffentlichem Interesse zu sein? Dass sie die Frage nicht verstehen, ist die ehrlichste Antwort: Shopping und Telefonieren sind ihre Hobbys, die in jedem Fragebogen auftauchen. „Ich kann ganz normal einkaufen oder spazieren gehen“, freut Nicolesich.

Auch sonst geben sich die Saints keine Mühe, als geheimnisvolle Wesen aus einer fremden Galaxie zu erscheinen. Mel bemüht sich wieder, ihrer Tochter das Sprechen beizubringen: „lli Honey! Bububu! Hi Honey, where’s daddy?“ Daddy kommt hinter der Trennwand hervor und sagt mit einem Seitenblick auf den anwesenden Journalisten, dass er jetzt hungrig sei. Er pflückt seine Tochter von Mels Knien und betont: „Wir sind sehr, sehr hungrig, nicht wahr, uns knurrt der Magen. Bububu …“ Das Gespräch ist beendet. Im Fahrstuhl abwärts leuchtet wieder das unwirkliche Licht, strahlen wieder die Galaxien – aber es isl nur eine optische Täuschung. „Yeah“, sagt der Liftboy und blickt hinauf in die Sterne: „Am Anfang war’s noch aufregend. Aber wenn du den ganzen Tag mit Sternen zu tun hast, langweilst du dich irgendwann zu Tode.“ www.allsaints.uk.com Damenkränzchen