Limp Bizkit: Nie mehr Arsch
Ganz neue Töne: Im Interview zum Remix-Album von Limp Bizkit zeigt sich Fred Durst von seiner sensiblen Seite und spekuliert über die Zukunft der Band.
Ein ganzer Haufen Leute kann Fred Durst auf den Tod nicht leiden. Vielleicht weltweit ein paar tausend, vielleicht auch nur ein paar hundert. Ganz bestimmt aber das halbe Dutzend Fotografen, das eins der beiden Wartezimmer im feinen L.A.-Hotel vollschwitzt. Und zwar schon seit einigen Stunden. Denn Fred, der sich eigentlich um 16 Uhr dem Blitzlichtgewitter stellen sollte, ist kurzerhand mal abgehauen, eine neue Villa angucken. „Mann, Fred ist so ein Arsch!“, stöhnt einer. „Beim letzten Pressetermin ist er überhaupt nicht erschienen. Stattdessen ließ er am nächsten Tag alle nach San Francisco hochfliegen. Und da ist dann auch nix passiert.“ Die Gesichter der Knipser verdüstern sich um eine weitere Blende. „Und heute ist auch noch das Baseball-Endspiel zwischen den Yankees und den Arizona Diamondbacks. Ich wette, Fred, der alte Yankee-Fan, sitzt zuhause vor der Glotze mit einem eiskalten Bier in der Hand und kommt überhaupt nicht mehr.“ Noch zwei Blenden runter. „Wir sollten einfach geschlossen abhauen, sobald er erscheint.“ „Noch besser: Wir sollten ihn gemeinsam zusammenschlagen, wenn er erscheint. Und Fotos davon machen, hahahaha.“ Die Knipser-Meute lacht bei der Vorstellung und harrt weiter aus. Trotzdem: Sie mögen ihn nicht. Es scheint genügend Gründe für Antipathien zu geben.
Fred gilt als launische Diva. Noch am Vormittag, an dem die Fernsehinterviews stattgefunden haben, hat er den armen Kollegen von VIVA zur Schnecke gemacht. Bloß weil der ihn darum gebeten hatte, sich den Zuschauern kurz mit Namen vorzustellen. „Ich soll mich vorstellen? Glaubst du wirklich, ich muss mich noch vorstellen…?“, raunzte er los, nur um anschließend alle Fragen zu ignorieren und einen zehnminütigen Monolog zu halten. Er gilt als einer, der es nicht unbedingt durch Talent, sondern vielmehr durch übertriebenen Ehrgeiz geschafft hat. Und der Ruhm soll ihm zu Kopfe gestiegen sein. Seine Kleinstadtmentalität, geprägt in Jacksonville, Florida, „The biggest small town in America“, nicht geschaffen für ein Leben im babylonischen Los Angeles. Trotzdem führt er dort ein Jet-Set-Leben, begleitet von wechselnden Geschlechtspartnerinnen wie Carmen Electra und ähnlichen Kalibern, ständig umringt von einem Stamm angeblicher Freunde wie Tommy Lee, Jim Carrey und Kate Hudson. Wenn man die Augen schließt, kann man es sich bildlich vorstellen: Fred, der P. Diddy des White Trash, eine dicktittige Pornoschlampe im linken Arm, eine Flasche Jack Daniels im anderen, wankt am Büffet der Filmpremiere vorbei auf Jack Nicholson und Marlon Brando zu. „Na, ihr alten Säcke!“ grölt er und reißt die Arme hoch. Die Flasche, die Schlampe, Nicholsons und Brandos Kinnladen fallen zu Boden. Und alle denken: Mann, was für ein Penner! Machen wir die Augen auf, denn nach vier Stunden Verspätung sitzt er endlich da. Das Haus hat er sich angeguckt, vielleicht sogar gekauft. Geld genug hätte er dazu, wahrscheinlich sogar in seiner linken Hosentasche: Die Einnahmen aus den drei Limp Bizkit-Alben „Three Dollar Bill, Y’all“, „Significant Other“ und „Chocolate Starfish And The Hot Dog Flavored Water“ sowie diverser Nebenjobs als Produzent, Plattenmogul und Video-Regisseur sollen ihn geschätzte 25 Millionen Dollar schwer gemacht haben. Er sieht nicht danach aus. Jeans, graues T-Shirt, braune Wildlederjacke, auf dem Kopf eine schwarze Yankee-Baseballkappe. Richtig rum. Darunter blinzeln etwas zu eng beieinander liegende Schweinsäuglein, passend zu seiner Pit-Bull-Schlägerfigur, die zu High-School-Zeiten in Jacksonville, in denen er mit seiner Vorliebe für Rap-Musik als „Nigger Lover“ und Außenseiter galt, einige Schlachten schlagen musste.
Das erste was aus seinem Mund kommt, ist ein lautes, gurgelndes Rülpsen, gefolgt von „Scheiss Diet-Coke!“ Stimmt also alles? Ist er wirklich ein mieser, kleiner Emporkömmling? Ein ungehobelter Prolet? Ein Arsch? Nein! Spätestens nach 50 Minuten in einem Interview, dass eigentlich nur 20 dauern sollte, merkt man, dass Fred Durst kein Arsch ist. Auch kein Schauspieler, der allen das Gegenteil von Arsch vorgaukeln könnte. Vielleicht war er das einmal, aber selbst wenn: Er hat sich offensichtlich geändert und wirkt jetzt eher wie ein ganz zartes, leicht verwirrtes Pflänzchen mit Hang zu Depressionen. Oder wie sonst sollte man sich eine Äußerung wie: „Ich habe Flugangst. Panikattacken. Und niemand, der so etwas noch nie durchgemacht hat, kann diese Panik nachvollziehen. Aber mich versteht eh niemand. Wahrscheinlich werde ich erst verstanden, wenn ich tot bin…“ Grund genug zur Veränderung hat er schließlich in letzter Zeit gehabt. Am 30. August 2001 wurde sein zweites Kind, Sohn Dallas geboren. Gezeugt wurde er „on the road“, als Durst und Limp Bizkit während ihrer „Anger Management“-Tour in Minnesota Stopp machten. Mutter und Kind leben weiterhin in Minnesota, und Durst hat auch keinerlei Absichten, die Situation zu ändern. Aber er sieht seinen Sohn, so oft es geht, und ist sichtlich gerührt, wenn er von ihm spricht: „Gerade in solch harten Zeiten wie jetzt erscheint mir seine Geburt als ein Wunder. Ich schau ihn mir an, und denke mir: Du bist so klein, so unbedarft. Du hast keine Ahnung von den Dingen, die gerade passieren. Wirst du jemals alt genug werden, deinen Führerschein zu machen? Das ist alles so unglaublich…Ich habe wirklich Angst um uns. Ich will leben. Ich will, dass wir alle überleben.“ Mit den harten Zeiten, von denen sein Sohn keine Ahnung hat, meint Durst natürlich den Krieg, in dem sich die USA zu diesem Zeitpunkt befinden. Durst, als Polizistensohn und Ex-Navy-Angestellter von Haus aus rot-weiss-blau patriotisch gesinnt, hat immer noch Probleme, den 11. September 2001 zu verdauen. „Ich sorge mich seitdem um die Menschheit. Um meinen Sohn. Um alles, was die Zukunft bringen mag. Es geht dabei gar nicht nur um Amerika. Vielmehr um die ganze Welt. Das Leben ist so ein wertvolles Geschenk. Ich bin dankbar für jeden neuen Tag, ich lebe viel, viel Am Wendepunkt
bewusster.“ Ärsche sagen so etwas nicht. Es wird noch besser: „All dieser Hass, all diese blödsinnigen Meinungsverschiedenheiten – das muss aufhören. Sicher: Ich hatte Probleme mit anderen Menschen und andere Menschen hatten Probleme mit mir oder Limp Bizkit. Aber das ist vorbei, das bringt doch alles nichts mehr. Wir müssen uns gegenseitig respektieren. Wir müssen Frieden mit uns selbst und allen anderen machen.“ Durst schluckt trocken, dann fährt er fort: “ Die ganze Welt ist derzeit ‚fucked up‘. Ich und die Band sind im Moment ziemlich gefühlsduselig. Ich höre mir zuhause melancholische Sachen wie The Cure und Frank Sinatra an. Es ist an der Zeit für uns, etwas Bedeutendes zu schaffen. Etwas, was die Menschen ihre Gefühle erfahren lässt, sie therapiert. Ich hoffe, dass ich die Person bin, die das geben kann. Aber dazu muss ich erst einmal ins Studio kommen.“ Und dann gibt’s Flower-Power-Peace-Rock von Limp Bizkit? So richtig mit Streichern, Chor und Schmetterlingen? „Neeee“, und zum ersten Mal lacht Fred. „Wahrscheinlich laufe ich auf dem Weg ins Studio gegen den Türrahmen, werde tierisch sauer vor Schmerz und nehme einen total kaputten Agro-Song auf.“
Aber mal Halblang. Bevor Durst, Bassist Sam Rivers, Drummer John Otto und DJ Lethal ins Studio können, müssen sie erst einmal den letzten Störfall überwinden. Im Oktober verließ nach sieben Jahren Zugehörigkeit Gründungsmitglied und Gitarrist Wes Borland die Band. Borland, der mit seinem Hang zu Fell-Kostümen, durchgefärbten Kontaklinsen und abstruser Schminke aussah, als stamme er von jenseits des Planeten der Affen, war neben Durst das beliebteste Bandmitglied, mit zig nur ihm gewidmeten Webpages und Scharen von eigenen Fans. Musikalisch war er mit Ex-House Of Pain-Turntableist DJ Lethal die Säule, auf der der Limp Bizkit-Sound ruhte. Sein Ausscheiden kam nicht überraschend. 1994, noch bevor Limp Bizkit den ersten Plattenvertrag unterschrieben hatten, schmiss Fred ihn schon einmal heraus. Und vor zwei Jahren sagte Wes in Interviews: „Wenn ich nicht in der Band wäre, würde ich mir unsere Platten wahrscheinlich nicht anhören.“ Auf die Frage, wo er sich in zehn Jahren sieht, antwortete er damals: „Nicht bei Limp Bizkit.“ Er arbeitete zwar noch bis September an neuen Songs für das nächste Limp Bizkit-Studioalbum, war aber schon zu dieser Zeit, laut Durst, „besessen von Radiohead“ – also musikalisch Lichtjahre von dem entfernt, was Limp Bizkit ausmacht. „Nein, überrascht waren wir nicht“, gesteht Fred Durst. „Aber trotzdem geschockt. Jetzt ist der Schock allerdings vorbei und wir wollen die Chance nutzen, an der Herausforderung zu wachsen. Das Leben geht weiter, wir wollen uns davon nicht negativ beeinflussen lassen. Und wir wünschen Wes alles Gute für die Zukunft, ehrlich. Möge er glücklich werden.“
Einen ersten Schritt dazu hat Borland bereits getätigt: Zusammen mitseinem Bruder Scott (Bass & Gitarre), Greg Isabella (Drums) und dem Keyboarder-/Elektronik-Freak Kyle Weeks – der gleichen Besetzung, mit der er im März unter dem Namen Big Dumb Face das Album „Duke Lion Fights The Terror“ herausbrachte – gründete er die Band Eat The Day. „Wer mochte, was ich bei Limp Bizkit angestellt habe und erkannte, wohin ich mit Limp Bizkit gehen wollte, der wird die neue Band lieben“, ließ er in einer Pressemitteilung verlauten. Das erste Album, produziert von Ross Robinson (Slipknot, Korn, frühe Limp Bizkit), soll Mitte 2002 erscheinen. Und wie werden Limp Bizkit nun einen neuen Gitarristen finden? Natürlich nicht auf dem normalen Wege. Eine Band, die die Bühne durch gigantische Toilettenschüsseln betritt, die – zu Hochzeiten der Metallica versus Napster-Affäre – auf eine Napster-gesponserte „Back To Basics“-Tour mit kostenlosem Einlass für die Fans geht, macht nichts auf normalem Wege. „Wir werden auf Rekrutierungstour durch die USA gehen. Mindestens 15 Städte bereisen“, erklärt Durst den „Cattle Call“ (so heißt das Zusammentreiben des Viehs durch die Cowboys) benannten Plan. „Dort darf sich dann jeder Anwärter in eine Liste eintragen und mit uns jammen. Vielleicht sind es nur 30 Sekunden, die er oder sie mit uns spielen wird. Vielleicht drei Minuten. Vielleicht geht die Person auch ein paar Tage mit uns auf Tour. Wir hoffen, dass die radikalsten und irrsten Gitarristen da draussen auf uns warten. Ein Mädchen wäre sogar supercool. Wir wollen keinen Wes-Ersatz. Wir wollen keinen bekannten Gitarristen. Wir wollen jemanden, der komplett mit uns auf einer Wellenlänge liegt. Wir sind auf der Suche nach einer neuen großen Liebe. Denn wer auch immer der oder die Neue sein wird: Diese Person wird ein gleichwertiges Mitglied der Band werden. Nicht nur eine Puppe, der wir sagen, wo es lang geht.“ Wann genau der „Cattle Call“ beginnt, ist noch nicht raus, aber langweilig wird es Durst in der Zwischenzeit bestimmt nicht.
Am nächsten Tag muss er nach Deutschland fliegen, um dort bei den „European Music Awards“ drei Preise für seine Band abzustauben: Best Group, Best Rock Act und den Preis für den besten Internet-Auftritt einer Band. Sahnehäubchen obendrauf: Fred und Puddle Of Muds Wes Scantlin durften zusammen mit Jimmy Page zu Led Zeppelins „Thank You“ rocken – wobei sie locker Mary J. Blige, Jay-Z und den 300 Mädels die „Girls, Girls, Girls“ sangen, die Show stahlen. „Der absolute Wahnsinn“, beschreibt es Fred später auf seiner Webpage. „Jimmy ist der Gitarrist, der mich am meisten beeinflusst hat. Da ging wirklich ein Traum für mich in Erfüllung.“ Fred Durst hat noch mehr Träume. Er will irgendwann einmal Regie bei einem Film fuhren, der Menschen wirklich berührt. Bei einem echten Klassiker, sowas in Richtung John Hughes („Ferris macht blau“, „Breakfast Club“). Er schreibt bereits an einem Drehbuch, gesteht aber, dass dies „eine Kunst für sich ist“. Und er träumt von Teleportieren, vom guten alten „Beam me up, Scotty“. „Es gibt angeblich bereits eine Maschine, die Gegenstände ca. 30 cm weit teleportiert, in dem sie diese in ihre einzelnen Moleküle aufbricht und an anderer Stelle wieder zusammensetzt. Wenn das über 3.000 Meilen hinweg klappt, brauch ich nie mehr Fliegen, nie mehr das Beruhigungsmittel Xanax! Aber bei meinem Glück geht wahrscheinlich ein Molekül verloren, oder wird vertauscht mit dem einer Fliege, na ja, man kann eben nicht immer gewinnen.“
Das müssen an diesem Tag auch die Yankees spüren: Nach zwei Titeln in Folge verlieren sie die Meisterschaft an die Arizona Diamondbacks. Aber das macht Fred nicht viel aus. Genausowenig wie die Tatsache, dass über den eigentlichen Anlass des Interviews, das Remix-Album „New Old Songs“ so gut wie nicht gesprochen wurde. „Das Album ist cool. Es sind 16 völlig neue Versionen von alten Songs drauf, und echte Asse wie P. Diddy, Butch Vig und William Orbit haben mitgemacht. Aber eigentlich ist es total unwichtig. Viel wichtiger war es mir, mit euch über den Zustand der Band und was in mir vorgeht zu sprechen. Über all die Veränderungen.“ Große Veränderungen. Vom angeblichen Arsch hin zu einem echten Menschen.
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