Lady Kracher
Die 22-jährige Alicia Moore hat Anfang des Jahres den Durchbruch geschafft mit weltweit fünf Millionen verkaufter Alben. Schon die erste Single „Get The Party Started“ erwies sich als Dauerbrenner in den Charts. Und das war erst der Anfang, denn auch das dazugehörige Album „Mlssundaztood“ wird zum Longseiler, der auch ein halbes Jahr nach Veröffentlichung gefragt ist, mit diversen Grammies und Awards ausgezeichnet wurde und mit den Nachfolgesingles „Don’t Let Me Get Me“ und „Just Like A Pill“ hohe Wellen schlägt. Das dürfte sich in naher Zukunft fortsetzen, denn nach einer US-Tournee im Vorprogramm von Lenny Kravitz will die schrille Dame nun den deutschen Markt aufrollen. Zeit für einen Blick hinter das schrille Image:
Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint: Pink hat nicht etwa eine rasante Übernacht-Karriere hingelegt, sondern ist einen langen steinigen Weg gegangen. Als Kind aus zerrütteten Familienverhältnissen, das unter Asthma und schwachen schulischen Leistungen leidet, ist sie der geborene Außenseiter. In der Highschool fällt sie eher durch ihr punkiges Outfit auf, hat ständig Ärger mit Mitschülern und Lehrern, wird wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, Einbruchs oder wilder Prügeleien verhaftet oder als Ausreißerin in Gewahrsam genommen. Eine verhängnisvolle Karriere, aus der es nur einen Ausweg gibt: die Musik. Schon mit zehn singt sie im Kirchenchor, danach folgen Punk- und Rapbands, die laut Pink zu schlecht waren, um sich ihrer Namen zu erinnern. „Ich war 13, trat in Nachtclubs auf, konnte Stagediven und bis ein Uhr morgens tanzen. Ein Riesenspaß.“ Ihre Karriere nimmt erst mit Gruppen wie Schools Of Thought, Basic Instinct oder dem Girl-Trio Choice professionelle Formen an. So erhalten Choice immerhin einen Plattenvertrag beim R8tB-Label „LaFace“ (TLC, Toni Braxton), trennen sich aber nach einem ergebnislosen Studioaufenthalt. Daraufhin steht Pink vor dem Nichts: Sie ist 17, pleite, hat keine Wohnung und jobbt an einer Tankstelle. Bis ihr Antonio „LA“ Reid eine Solo-Karriere anbietet. Doch die Aufnahmen zum Debüt „Can’tTake Me Home“erweisen sich als Albtraum: Sie wird von einem Produzenten zum nächsten gereicht, muss vorgeferrjge Tracks einsingen und kann sich in keiner Weise selbst einbringen. „Es hatte etwas von Karaoke“, so Pink. Folglich ist sie mit dem Ergebnis trotz akzeptabler Verkaufszahlen und kleinerer Hits wie „Most Girls“, „There You Go“ und „You Make Me Sick“ nicht zufrieden. „Die erste CD war nur eine Einführung in die Szene, und dafür bin ich alle erdenklichen Kompromisse eingegangen. Eben als adrette R&.B-Marionette mit knallig gefärbten Haaren. Und als solche wird sie zwar von den Hörern akzeptiert, nicht aber von den Medien. „Ich wurde ständig in irgendwelche Schubladen gesteckt, die gar nicht zu mir passten“, stöhnt Pink.
Dass sie in ihrer eigenen Liga spielt, zeigt sie zum ersten Mal im Soundtrack zu „Moulin Rouge“. Da säuselt sie sich an der Seite von Christina Aguilera, Lil Kim, Maya und Missy Elliott durch eine frivole Version des 75er-Patti-LaBelle-Klassikers „Lady Marmelade“ – und stürmt weltweit die Hitparaden. Wahrscheinlich nicht nur wegen der gewagten Interpretation, sondern auch wegen des aufreizenden Outfits. Doch genau darauf will sich Pink zunächst nicht einlassen: „Ich hatte ziemliche Bedenken-das war mir dann doch zu gewagt. Ich wollte nicht nackt sein, weil ich eigentlich sehr knabenhaft bin. Ich sagte den Verantwortlichen: .Das kann ich nicht tun, bitte lasst mich eine lange Hose tragen.‘ Darauf sie: ,Die anderen Mädels tragen HotPants, da kannst du nichtmit Hosen ankommen.‘ Also sagte ich zunächst ab. Ich war völlig feige. Keine Ahnung, wie sie mich dann umgestimmt haben, aber sie erzählten mir, dass es um Kurtisanen aus dem 19. Jahrhundertgingeunddass das Ganze im Moulin Rouge spiele. Da musste ich einfach mitmachen. Und was soll ich sagen: Ich fühlte mich richtig sexy!“
Eine Meinung, die nicht nur Millionen neuer Fans teilen, sondern auch die Juroren aller erdenklicher Awards. So wird der Track von MTV zum „Video des Jahres“ gekürt und anschließend mit diversen Grammies ausgezeichnet. Ein Glücksgriff- und der Auftakt zu einem neuen, erfolgreichen Karriereabschnitt.
Denn trOtZ einer Million verkaufter CDs von „Can’t Take Me Home“ hat Pink das Verlangen nach dringender musikalischer Veränderung-raus aus dem R&B-Sumpf, weg von der Umklammerung großer Plattenmogule, hin zu mehr Eigenständigkeit und Autonomie. Und das mit einem Sound, der wenig mit dem aktuellen Chartsgeschehen zu tun hat, aber trotzdem eingängig und kommerziell klingt:der komplexe Grenzgang zwischen Selbstverwirklichung und populärer Ausrichtung. Ein schwieriges Unterfangen. Doch Alicia Moore wäre nicht Pink, hätte sie nicht den nötigen Dickkopf, ihre Vorstellungen umzusetzen. Als ihr durch Zufall die Telefonnummer von Jugendidol Linda Perry, Mastermind des One-Hit-Wonders4 Non Blondes („What’s Going On“), in die Hände fällt, schlägt sie zu: „Ich fand ihre Nummer im Adressbuch meiner Stylistin und habe sie einfach abgeschrieben, weil ich ihr sagen wollte, wie sehr sie mich inspiriert hat und wie ich ihre Songs liebe. Also habe ich eine lange Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen. Ich sagte: ,Ich habe keine Ahnung, was du heute tust, und du weißt bestimmt auch nicht, was ich tue. Aber wenn ich deine Nummer rauskriege, dannfinde ich auch raus, wo du wohnst. Ich Hebe dich und deine Stimme. Wir müssen unbedingt etwas zusammen machen.‘ Sie rief mich postwendend zurück und meinte: ,Du bist verrückt- komm so schnell vorbei wie du kannst.‘ Das habe ich getan. „Also fährt Pink nach San Francisco, verbringt die nächsten Monate in Perrys Haus.beschäftigt sich intensiv mit Rotwein, Tattoos und einer akustischen Gitarre und schreibt nicht weniger als 15 Songs, die eine erfrischende Mischung aus Rock, R&B, Pop, HipHop und Dance darstellen – kunterbunt gemixt und voller Lebenslust und Frische. Und natürlich»-) titel
haben sich Perry und Pink dabei als verwandte Seelen gefunden. Zwei, die sich trotz eines satten Altersunterschieds und gegensätzlicher Karriere-Situationen sehr ähnlich sind.
Hier die AUSSteigenn Perry, die nach dem 93er-Platinseller „Better, Bigger, Faster, More“ das Handtuch wirft und sich auf Indie-Veröffentlichungen, Club-Gigs und Songs für befreundete Künstler versteift. Auf der anderen Seite der Fan Pink, die mit 13, 14 das 4 Non Blondes-Album mit Songs wie „Spaceman“, “ Dear Mr. President“ oder „Drifting“ rauf- und runterhört. Und weil Pink sehr exzessiv ist, lebt sie auch das in einer Form aus, die letztendlich zum Gesetzeskonflikt führt: „Man hat mich wegen nächtlicher Ruhestörung festgenommen. Ich war so besoffen und frustriert, dass ich die Platte bei voller Lautstärke in meinem Apartment dudelte – bis meine Nachbarn zu viel hatten.“Diese Begeisterung für den süffisanten Pop-Rock der Frau Perry war indes nicht nur Pinks alten Nachbarn suspekt, sondern auch „LA“ Reid, der es gar nicht gerne sieht, wenn seine Schäfchen zu eigenständig sind. Pink: „Als ich der Plattenfirma das Ergebnis vorstellte, waren sie völlig baff Sie sagten: .Das kann nicht funktionieren, du vergraulst dir ja deine Fanbase. Du bist vielzu unberechenbar.‘ Darauf ich: .Seid doch nicht solche verdammten Angsthasen. Wenn ich kein Problem damit habe, dann solltet ihr auch keins haben. ‚ Nach einer Weile gaben sie klein bei und meinten, dass ich auf dem richtigen Weg sei und die Songs doch ziemlich rocken würden.“ Das trifft den Nagel auf den Kopf: „M.’ssundaztood“ ist nicht nur eines der ungewöhnlichsten, sondern auch der erfolgreichsten Alben des Jahres, weil es eigenständig und originell ist. Das haben auch alte Hasen wie Richie Sambora und Steven Tyler erkannt- und prompt ihre Beteiligung zuPink über Aerosmith-Sanger Steven Tylen “ Er konnte mein Vater sein, aber er ist unglaublich charmant und wickelt dich mit links um den Finger“
gesagt. So liefert sich Lippe Tyler in „Misery“ nicht nur ein wunderbares Blues-Duell mit der konvertierten Rock-Röhre Pink, er sieht in ihr auch die Inkarnation von Stimmwunder Janis Joplin. „Wahrscheinlich das beste Kompliment und die schlimmste Beleidigung, die ich je gehört habe“, lacht Pink. „Aber ich habe es als Kompliment verstanden, weil ich denke, dass er sehr wohl hinter die Fassade des Geschäfts undder darin beteiligten Menschen schauen kann. Er hat meine Seele in meinen Augen gesehen, und wir haben uns sofort verstanden.“ Wobei Pink ihre wütende Janis-Phase längst hinter sich hat: „Das war ich mal. Klar rauche ich noch sehr viel, nehme mir aber auch mehr Zeit zum Ausspannen. Ich bin gerade in einer Phase, da ich so etwas wie eine innere Balance erreicht habe.“Kein Wunder: Ende 2000 hat sie sich ihren Jugendtraum erfüllt und ist ins malerische Venice Beach, einem Strandabschnitt von Los Angeles, gezogen. Also in den ewigen Sonnenschein und in eine geräumige Villa, deren 400 Quadratmeter den geschmackvollen Stilbruch kultivieren: Designer-Möbel zu Rockpostern, Großbildfernseher zu Kerzen und Räucherstäbchen, 50s-Interieur zu Hippie-Batik und klassischen Kronleuchtern. Eine Bude, die genauso chaotisch und schrill ist wie die Hausherrin selbst, nur dass dieses Image längst salonfähig ist. Denn: Der einstige Bürgerschreck ist nun Vorbild in Mode-und Frauenfragen, der von der Rockpresse ebenso hofiert wird wie von Teenie- und Lifestyle-Magazinen. Die nehmen ihre Männer- und Mode-Tipps für bare Münze und erkennen in ihr den Gegenpol zu braven Teen-Queens wie Britney Spears – das getunte „bad girl“halt mit unterschiedlich lackierten Fingernägeln, Dutzenden von Ringen, vielen kleinen Tattoos, die sich von seinen Fußgelenken über Unterleib und Rücken bis zu den Schulterblättern und Handgelenken ziehen, sexy, kess und provokant. Zum Musikexpress-Interview erscheint Pink mit hohen Lederstiefeln, kurzem Rock, knappem Top, mit knallrotem Schmollmund und wasserstoffblonder Monroe-Frisur – die lebende Versuchung. „Was Klamotten betrifft, komme ich nie zur Ruhe. Ich mag zwar auch Designer-Kram, aber größtenteils nurSecond-Hand-Sachen. Und dafür durchwühle ich jeden Laden, den ich finde kann. Außerdem entwerfe ich gerne meine eigenen Klamotten.“
Genau Wie immer dann auf den Putz zu hauen, wenn sich ein halbwegs passender Anlass findet. Etwa bei ihrer letzten Geburtstagsparty im angesagten New Yorker Eden Club, als Pink eine große Promi -Sause abhielt. „Wenn ich eine Party schmeiße, dann richtig!“, säuselt sie. „Undes gibt nichts Schlimmeres als diese langweiligen Veranstaltungen der Industrie. Da hat man das Gefühl, als wäre man beim Golfspielen. Sie sitzen rum und lästern – das ist eher wie ein Geschäftstreffen. Von daher stand auf meinen Einladungen:,Es gibt keine Gesichtskontrolle aber lasst eure Egos zu Hause.’Mir geht es um Spaß-ums Betrinken, Sichdanebenbenehmen und richtig Abfeiern. Also hatten wir eine Travestieshow, die zu .Bootylicious’von Destiny ’s Child auftrat. Und als wir Flaschendrehen mit Küssen spielten, entstanden diese Gerüchte. Jetzt glauben alle, dass Christina Aguilera und ich ein lesbisches Pärchen wären. Hey, die sind doch nur eifersüchtig. Die wollen alle nur, dass wir sie küssen.“Wobei Pink aber auch im kleinen Rahmen Spaß haben kann. Beispielsweise wenn sie eine ihrer berühmten Bodypainting-Seancen abhält: „Das erste Mal habe ich es vor ein paar Jahren an Halloween probiert. Ich habe mir den ganzen Oberkörper schwarz angepinselt. Es sah wirklich aus wie ein T-Shirt, aber ehe ich das Haus verließ, überkam mich die Panik. Ich dachte mir: ,Ups, vielleicht bin ich doch etwas zu nackt‘-was ich ja auch war. Also habe ich meine Brustwarzen mit schwarzem Stoff abgedeckt, was aber nicht zu erkennen war, weil er dieselbe Farbe hatte wie der Rest meines Körpers. Ich war nackt, betrunken und hatte eine tolle Zeit.“
Und diese bedingungslose Exzessivität, diese Vergnügungssucht und Extravaganz unterscheidet Pink denn auch von vermeintlichen Konkurrentinnen, von denen sie selbst nichts wissen will – sie wähnt sich längst in einer anderen Liga. „Die Medien wollen mich unbedingt in dieser langweiligen Bubblegum-Schublade ablegen. Jeder, der bei Beginn seiner Karriere einigermaßenjung ist, wird automatisch da hineingeworfen. Dabei sind wir alle vollkommen verschieden. Unddeswegen macht mich diese Pauschalisierung auch so wütend. Was Britney betrifft, so ist sie besser in ihrem Bereich – undich bin besser in meinem. Es ist in etwa so, als würde man Steven Tyler mit Bobbie Brown vergleichen -nur weil beides Männer sind. „Apropos Männer. Pink
gibt unumwunden zu, lange Single gewesen zu sein, weil sie mit gleichaltrigen Jungs kaum klarkommt. Die würden kein Verständnis für ihre Launen aufbringen, während ältere Männer-wie Steven Tyler-einfach viel lockerer und verständnisvoller seien. „Klar, der Typ könnte mein Vater sein „, grinst sie. „Aber er könnte mir trotzdem gefährlich werden, weil er unglaublich charmant ist. Er hat dieselbe große Klappe wie ich, benimmt sich wieein Zwölfjähriger und wickelt dich mitlinks um den Finger.“ Und obwohl sie sich nach dieser Mischung aus Vater, Freund und Kumpel sehnt, hat sie zugleich auch eine Schwäche für vermeintlich harte Jungs. Als Teenie, so gesteht sie, seien es Bruce Lee, Jon Bon Jovi, Sebastian Bach und Axl Rose gewesen, und ihr aktueller Traumtyp sei bad boy Eminem: „Ich bin wirklich ein bisschen verliebt in ihn. Und weißt du warum? Wegen seinerTexte. Eristein richtiger Poet und ein sehr smarterTyp. Ich habe ihn mal getroffen. Er war total nett und gar nicht so, wie er in den Medien dargestellt wird. Ichfragte ihn nach einem Autogramm, und er sagte tatsächlich: ,Kein Problem, aber ich brauche auch eins für meine Tochter.‘ Ein richtig Süßer.“
Doch weil es beim Austausch von Komplimenten blieb, hat sie sich vorerst für die behelmte White Trash-Variante entschieden: Motocross-Champion Carey Heart, der zwar ein ziemliches Jüngelchen ist, aber einen blondierten Iro zu großflächigen Tattoos und vielen Bandagen trägt. „Was ich an ihm mag? Ganz einfach: Er riskiert Kopf und Kragen, und es ist ihm scheißegal, wenn ersieh was bricht. Das finde ich cool.“
Bis es so weit ist, steht aber erst einmal eine ausführliche Europatour an – die erste überhaupt. Und dazu hat die agile junge Dame eine Band zusammengestellt, die (bis auf den Drummer) aus lauter kleinen Pinks besteht: Frech gestylte, wilde Mädels, die Gitarre, Bass und Keyboards spielen und den ohnehin schon aggressiven Songs noch eine ganze Portion mehr Härte und Durchschlagskraft verleihen. „Ich habe jetzt eine richtige Band mit Gkarre.SchlagzeugundBass“, fieutsich Pink. „Eine echte Rock-Truppe, und mit der aufzutreten macht viel mehr Spaß, als sich von einem DJ begleiten zu lassen. Das ist wohl das Wichtigste, was ich in den letzten Jahren gelernt habe.“www.pinkspage.com musikexpress 43