Der Schmutz der letzten Jahre


Geduldig sitzt der Mann vom Musikmagazin Ihres Vertrauens am Schreibtisch und t (Jffeht Däumchen. Er hängt nun schon seit einigen Minuten in der Warteschleife des ‚-Telefons. Der Hörer liegt längst auf der fischplatte, die Lautsprechertaste ist gedrückt. Ehrlich gesagt: Es bestehen keine allzu großen Hoffnungen, dass das Interview mit Primal-Scream-Mastermind Bobby Gillespie zustande kommen wird. Warum sollte es ausgerechnet jetzt klappen? Die letzten beiden Male, als die Plattenfirma zu Herrn Gillespie durchstellte, ertönte permanent das Besetzt-Zeichen:

..Mr. Gillespie surft gerade im Internet ‚ verlautete es vom englischen Label der Band. Eine abstruse Vorstellung: In Zeiten von ISDN und DSL schleicht der Primal-Scream-Kopf mit einem 56k-Modem auf dem Daten-Highway herum und blockiert die Telefonleitung. Auf einmal knarzt und knackt es im Lautsprecher. Dann ein leises Räuspern: .Mithere. this /’s Bobby… „

Primal Scream haben ein neues Album draußen, es ist eine Greatest Hits-Kopplung. Sie heißt dirty hits, aber warum das so ist, will Gillespie nicht verraten.“.Ich könnte dir viele Gründe nennen, warum wir unsere Best Of dirty hits getauft haben… will ich aber nicht“. Bobby ist ein großmäuliger, großartiger Großkotz, Marke Richard Ashcroft/Liam Gallagher Egal, warum sie so heißt, fest steht, die Platte ist ein Rock’n’Roll-Manifest der allerersten Güte, 100 Prozent „Raw Power“, 100 Prozent Primal Scream. Die Songs sind in streng chronologischer Reihenfolge zu hören – zwischen der Aufnahme des ersten und des letzten Stücks liegen ganze zwölf Jahre. Nach knapp 75 Minuten reibt man sich die Augen und kann nicht fassen, dass es ein und dieselbe Band sein soll, die diese 18 stilistisch höchst unterschiedlichsten Songs aufgenommen hat. dirty hits ist eine musikalische Odyssee durch die neunziger Jahre. Es ist alles da, was damals neu, gut und wichtig war: die Acid-House getränkten, genreübergreifenden Hymnen“.Movin‘ On Up“ und“.Loaded“ von screamadeuca, der dreckig-bluesige Rock ä la Black Crowes I.Jailbird“], der Big-Beat-Trip „Kowalski‘. die Killerbeats von „Swastika Eyes“ und“.Miss Lucifer“.

„We wantedto teilourstory . erklärt der Primal-Scream-Frontmann mit seinem harten aber herzlichen Glasgower Akzent und nicht ganz ohne Stolz. Zu Recht, zu Recht. Primal Scream werden nicht nur von ihren Fans und der Musikpresse in den höchsten Tönen gelobt, sondern auch von ihren Kollegen: Blur beneiden die Band wegen des grenzenlosen Innovationswiltens, Oasis schätzen Primal Scream aufgrund ihrer Attitüde -Bobby Gillespies Band gehört zweifelsohne zu den wichtigsten britischen Acts des vergangenen Jahrzehnts.

Und wie sieht es heute aus? Wie betrachtet Gillespie seine Karriere im Rückblick? Der Mann vom ME bittet um kurze Statements zu den einzelnen Primal-Scream Alben, screamadelica:“.Euphorisch!“, give out but dont give UP:“.Beinahe besiegt!“, vanishing point: Am anderen Ende der Leitung ist kurz, aber vernehmlich zu hören, wie sich Gillespie etwas die Nase hochzieht – (Leser, interpretieren Sie!], xtmntr:“.Total War!“, evil heat:“.Sexy.'“. Wie ? Sexy? Wegen der fruchtbaren Zusammenarbeit mit Kate Moss? Gillespie findet die Frage irgendwie wahnsinnig witzig und bricht in schallendes Gelächter aus. Die neu aufgenommene Version des EViL-HEAT-Tracks“.Some Velvet Morning“ [im Originalvon Lee Hazlewood und Nancy Sinatral mit dem Supermodel als Gastsängerin ist das einzige neue Stück auf dirty hits.“.Eine coole Nummer, aber auf evil heat war der Song noch total .Underground‘, sehr düster und ist vor sich hingedümpelt. Wir haben den Song von der Garage ans Tageslicht gezerrt“, erklärt Gillespie. „Nun ist es ein echter Hit, schlägt in die gleiche Kerbe wie Beyonces. Crazy In Love‘- die heißeste Scheibe des Jahres, anyway“.

Ebenfalls hoch im Kurs bei Herrn Gillespie: Black Rebel Motorcycle Club, der linke Flügel der Rockrettergarde, und verdammt nah dran an ihren Vorbildern aus den achtziger Jahren: The Jesus And Mary Chain – und deren Schlagzeuger hieß: Bobby Gillespie.“.Ich mag nicht nur den Sound von Black Rebel Motorcycle Club, auch ihre Einstellung stimmt“.

Black Rebel Motorcycle Club hatten den Song „Kill The U.S. Government“ ihres aktuellen Albums quasi über Nacht in „U.S.

Government‘ umbenannt. Hatten Primal Scream auch die Hosen voll, als sie ihren Track „Bomb The Pentagon kippten? Gillespie weicht aus:“.Das war eine Zeile, eine einzige Zeile in unserem Song .Rise‘ auf evil heatund die haben wir geändert, weil sie uns nicht mehr in den Kram gepasst hat, basta.“ Wie wichtig Politik für Primal Scream denn noch sei, will der Interviewerwissen.“.Wichtig“, entgegnet Gillespie, der nicht unbedingt die weitschweifendsten Antworten auf Fragen gibt, die solche eigentlich erfordern würden. Und was macht Gillespie in fünf, zehn Jahren?“.Still rockin'“, bemerkt der Schotte trocken, .vielleicht sind Primal Scream dann ja die neuen Rolling Stones„, droht er und ist weg.

Während die Telefonleitung des Interviewers jetzt wieder frei ist – ganz heiß gelaufen nach so viel Rock’n‘ Roll-Talk – ist die von Bobby Gillespie wahrscheinlich gleich wieder besetzt. Es könnte ja sein, dass er noch eine Verabredung im Chatroom hat. Mit Kate Moss, Das wäre sexy.

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