Paul Simon: United we stand


Es kostete Paul Simon und Art Garfunkel viel Kraft, sich 1981 im Central Park als Simon & Garfunkel zu präsentieren. Streit, Depression und Selbstzweifel verdarben ihnen den historischen Auftritt.

Sommer 1981, New York City; Paul Simon steht an den großen Fenstern seines Apartments und blickt auf den Central Park hinab. Soeben hat ihn ein Anruf erreicht, der ihn zutiefst aufgewühlt hat. Ron Delsener, New Yorks mächtigster Konzertpromoter, hat ihm mitgeteilt, dass die Stadtverwaltung anfragen lasse, ob er interessiert daran sei, ein kostenloses Konzert unterhalb seiner Wohnung auf der „Great Lawn“ zu geben, die sich zwischen dem Schildkrötenteich und dem großen Reservoir erstreckt. Er hat sofort zugesagt, und doch quälen ihn Zweifel, seit er den Hörer zurück auf die Gabel gelegt hat. Elf Jahre nach dem Ende von Simon & Garfunkel hat sein Selbstvertrauen als Künstler einen neuen Tiefpunkt erreicht. Was vor allem – und nun schon fast seit einem Jahr- an ihm nagt, ist der Misserfolg von One Trick Pony – einem Projekt, in das er „mehr Arbeit als in irgendetwas sonst“ gesteckt hat. Weder die Verfilmung des von ihm geschriebenen Drehbuchs über einen erfolglosen Rockstar, noch Simons schauspielerische Leistung in der Hauptrolle hatten die Kritiker überzeugt. Dass der Film in England überhaupt nicht in die Kinos kommt und sich der zugehörige Soundtrack, verglichen mit seinen anderen Solo-Alben, trotz des Mini-Hits „Late In The Evening“ als Flop herausstellt, wertet Simon als kolossales Scheitern.

In den Therapiestunden, für die der sensible Künstler 1981 ständig nach Los Angeles fliegt, tauchen noch andere Themen auf: Seit seinem Wechsel zu Warner Bros, fürchtet Simon, es sei bei seiner alten Plattenfirma CBS „Firmenpolitik geworden“, ihm nun „das Leben so schwer wie möglich“ zu machen. Und da ihn eine hartnäckige Schreibblockade beruflich fast völlig lähmt, bedrückt ihn umso mehr, dass er auch in seinem Privatleben keinen festen Boden unter den Füßen hat – die Ehe mit seiner Frau Carrie Fisher, die seit ihrem Erfolg als „Prinzessin Leia“ in „Star Wars“ von Drehort zu Drehort eilt, ist im Scheitern begriffen.

Je länger der krisengeschüttelte Simon in seiner Wohnung über den angenommenen Auftrag im Central Park nachdenkt, desto mehr verlässt ihn der Mut. Obwohl er in den 70er Jahren zahlreiche erfolgreiche Solo-Tourneen absolviert hat, erinnert ihn das Gefühl der Ablehnung, das er mit One Trick Pony erfahren hat, an seinen ersten Auftritt nach der Trennung von Simon & Garfunkel: Im August 1971, als das im Vorjahr veröffentlichte Album Bridge Over Troubled Water noch immer die bestverkaufte Platte in den USA war, hatte Simon feststellen müssen, dass er alleine mit seinen neuen Songs nicht in der Lage war, das laute, unaufmerksame Publikum im Shea Stadion in New York für sich zu interessieren. Damals hatte er das Konzert abbrechen müssen – eine Schmach, die er nie wieder erleben musste, die er aber trotzdem nie vergessen hat.

Die Entscheidung fallt ihm nicht leicht, doch nach langem Überlegen nimmt Paul Simon Kontakt mit Art Garfunkel auf, der den Sommer in der Schweiz beim Wandern verbringt. Zögerlich fragt er seinen alten Partner, ob er ihn „für ein paar Songs“ auf der Bühne begleiten wolle. Garfunkel sagt zu, denn seine alten Wunden sind verheilt: Das Gefühl der Minderwertigkeit gegenüber dem begabten Songschreiber Simon – der es in seiner unausgesprochenen Konkurrenz zu seinem Freund bisweilen kaum ertragen konnte, dass Garfunkel einst als alleiniger Sänger von „Bridge Over Troubled Water“ den Applaus für „seinen“ Song kassierte – war weitestgehend verflogen, seit er 1978 eine erste wirklich erfolgreiche eigene Tour beendet hatte. Als Garfunkel zurück nach New York kommt, um die Einzelheiten bezüglich des großen Auftritts zu besprechen, schlägt Simon vor, man könnte den ganzen zweiten Teil der Show als Duo bestreiten. Nach einigen Tagen aber wird diese Idee wieder verworfen – Paul Simon kann die Vorstellung nicht ertragen, seinen Auftritt als „Vorgruppe“ von Simon & Garfunkel zu bestreiten. Es sind schließlich Freunde, die den beiden klarmachen, dass es den Menschen am meisten bedeuten würde, wenn auf den Plakaten für das immer näher rückende Konzert im September schlicht und einfach „Simon & Garfunkel“ zu lesen wäre. Als die beiden einwilligen, überkommt sie sogar ein wenig Euphorie, als sie sich in einem leerstehenden Theater in Manhattan an zu ersten Besprechungen treffen: Simon & Garfunkel – ein triumphales und einmaliges Comeback? Warum eigentlich nicht…

Hatte Paul Simon bis zu diesem Zeitpunkt lediglich Zweifel, ob seine Zusage die richtige Entscheidung gewesen war, so beginnt er vom ersten Arbeitstag an, sein „ja“ zu bereuen. Im Proberaum wird „die ganze Zeit nur gestritten“, wie er berichtet. Garfunkels Plan, „bei so einem Open Air so viele Variablen wie möglich selbst zu kontrollieren“, indem man den Auftritt lediglich mit einer Gitarre und den beiden Stimmen bestreitet, stößt bei Simon auf taube Ohren. Ich kann nicht mehr zwei Stunden Gitarre spielen“, erwidert er entnervt. „Erstens hat sich meine Hand nie mehr ‚ von den Calcium-Ablagerungen erholt. Zweitens hab ich einige meiner neueren Songs nicht für Akustikgitarre geschrieben.“ Garfunkel wiederum ist sich nicht sicher, ob er Simons Solo-Titel wie „Still Crazy After All These Years“, das ein E-Piano erfordert, oder „Late In The Evening“ mit seinen Bläsersätzen überhaupt singen will. Simon wird zunehmend frustriert. War er vor elf Jahren noch gelegentlich bereit, auf Wunsch seines Freundes, den er in der sechsten Klasse in der Theatergruppe bei den Proben zu „Alice im Wunderland“ kennengelernt hatte, kreative Kompromisse einzugehen-das „Fade Out“-Ende von „The Boxer“, das Garfunkel im Studio durchsetzte, stört ihn noch immer-, so stellt er 1981 an sich selbst die Unfähigkeit fest, auch nur einen Millimeter weit von seinen Vorstellungen abzurücken. Dass Garfunkel – mal wieder – klein beigibt, um das Projekt nicht zu gefährden, trägt nichts zur Verbesserung der Stimmung bei. „Art hat solange einen sehr starken und autonomen Charakter, bis er mit mir auf beruflicher Ebene zusammentrifft , analysiert Simon treffend. „Dann verliert er einen Großteil seiner Kraft. Und das macht ihn wütend- auf mich.“

Doch auch Simon selbst ist inzwischen in hohem Maße unzufrieden: Er leidet unter den Spannungen und spürt das Wiedererwachen seiner einstigen Abneigung, die alten Folkhits als sanfte Duette vorzutragen: „Simon & Garfunkel – das waren die beliebten Songs von Pau Simon, wie mir Artie erklärt hat, und die Stimmen von Pau Simon und Art Garfunkel, die erst im Zusammenspiel einen RICHTIG beliebten Sound schufen. Und keine Frage, ohne Arthurs Stimme hätte ich nie so viel Erfolg gehabt. Jeder war Fan von Simon & Garfunkel. Nur ich nicht. Ich bin ein Rock’n’Roll-Kid. Meine wichtigsten Einflüsse waren […] Elvis und die Everly Brothers. Simon & Garfunkel waren ein Folk-Act. Mir gefiel, wie unsere Stimmen harmonierten, aber ich war einfach im Innersten kein Folkie. Was wir gemacht haben, war mir zu süßlich.“

Da es jedoch kein Zurück mehr gibt, als im Park die Bühne für die 750.000 Dollar teure Show aufgebaut wird, laufen die Vorbereitungen trotz aller Zwietracht auf Hochturen. Bis zum letzten Tag probt Simon mit Garfunkel und den erstklassigen New Yorker Session-Musikern, um die zahlreichen neuen Parts und Arrangements einzustudieren. Simon weiß inzwischen, dass er sich „auf künstlerischer Ebene nichts „von dieser Reunion erwartet und hofft wenigstens auf ein „emotionales Erlebnis“. Als jedoch am späten Nachmittag des 19. Septembers New Yorks Bürgermeister Ed Koch ans Mikrofon tritt, um das Konzert mit den schlichten Worten „Ladies and Gentlemen-Simon and Garfunkel“ zu eröffnen, wird in Paul Simon alles taub. Sprachlos blickt er mit Art Garfunkel auf die 500.000 Menschen, die sich auf der großen Wiese versammelt haben, während die Band die ersten Takte von „Mrs. Robinson“ spielt. Er ist „nicht anwesend“, wie er später berichten wird, fühlt sich unfähig, „mit einer halben Million Menschen Konversation zu betreiben“. Die beiden Partner wirken steif und seltsam entrückt, während sie ein Programm abspulen, das noch über zwanzig Jahre später als eines der bedeutendsten Konzertereignisse in der Geschichte der Popmusik gelten wird. „It’s great to do a neighbourhood concert“, sagt Simon und lächelt, doch seine Augen sind leer. So großartig die Musik an diesem Abend ist- der Harmonie-Gesang ist bis auf wenige Unsicherheiten berauschend, die Arrangements von Songs wie „American Tune“, „Slip Slidin‘ Away“ und „A Heart In New York“ sind brillant und Soli wie die von David Brown in „America“ und Steve Gadd in „50 Ways To Leave Your Lover“ perfekt inszenierte Höhepunkte -, so wenig haben die Künstler selbst davon. Einer der wenigen Momente, in denen Simon aufwacht, ist ausgerechnet eine dramatische Schrecksekunde: Während des nervösen Vortrags seines neuen Songs „The Late Great Johnny Ace“, in dem die Ermordung John Lennons thematisiert wird, die sich ein knappes Jahr zuvor in nächster Nähe zugetragen hatte, springt ein Mann auf die Bühne und ruft hektisch, „Paul, I got to talk to you „, bevor ihn ein Security- Offizier packt und davonträgt. Nach wenigen Sekunden aber weicht auch die Angst wieder aus Simons Gesicht – er tritt zurück ans Mikrophon, versinkt wieder in seinem Trance-artigen Zustand und beendet mit zitternden Augenlidern den Song. Nach knapp 90 Minuten und mehreren Zugaben nehmen sich Paul Simon und Art Garfunkel unbeholfen in den Arm, winken und verlassen unter tosendem Applaus die Bühne. „Das erste Gefühl war Enttäuschung“, sagt Paul Simon über die Stunden danach. „Art hatte das Gefühl, schlecht gesungen zu haben. Und mir war nicht klar, welche Bedeutung das alles hatte, bis ich zu Hause war, und den Fernseher eingeschaltet hab. Als ich in allen Nachrichtensendungen die Berichte sah und dann später in der Nacht die Titelseiten aller Zeitungen dann hab ich es langsam verstanden.“