Slam Dunk über den ganzen Platz
Der Mann kann kaum laufen vor Stolz, als er endlich sein neues Baby präsentieren darf. Schier zusammenreißen muß er sich, um nicht ständig zu grinsen wie ein Kind vor der Eisdiele. Doch zuviel Frohsinn verbietet die Etikette eines HipHop-Superstars. Es gilt Haltung zu wahren auch im Zustand blanker Euphorie. Und so wirkt Großmeister Kanye West an diesem Tag wie ein Sprint-Champion, der sich kurz vor dem Zielstrich noch ein paar Züge kalifornisches Wundergras gegönnt hat, um nun bei maximaler Spannung entspannt die Pressevorführung in Berlin anzugehen. Die findet statt im Unternehmens-Tempel von Universal Music an der Spree, genauer gesagt in einem angegliederten Tonstudio – man wollte THE late registration nichtaufeinem Billig-Ghettoblaster im Hotel vorstellen.
Traditionell läßt Kanye West die kleinejounalistenschar lange warten. Beim Meister wisse man nie, wird getuschelt. Wenn auch nur eine Boutique die Anfahrtsstrecke säumt, könnte es dauern. Lange dauern. Wie bei Paris Hilton. Doch schließlich sitzen wir dann doch gemeinsam mit Westim Hightech-Studio und lassen uns von der gefühlten 200.000-Euro-Anlage mit dessen neuem Werk ordentlich durchföhnen. Track für Track wird voll ausgespielt, erst den Tag zuvor ist der letzte abgemischt worden. Der Meister stellt jeden einzeln vor und fragt gelegentlich erwartungsvoll in die Runde, ob wir erkannt hätten, welcher Featuregast da gerade zum Zuge kam. Rät einer richtig, gibt es einen kurzen, entspannten Freudenausbruch.
Kanye West ist zweifelsohne der aktuelle Midas des HipHop-/R’n’B-Biz, der den Neptunes mal eben den Dreizack gespitzt hat. Unglaubliche 50 Acts hat er in den letzten vier Jahren produziert. Sämtliche Powerseiler der Szene von Alicia Keys bis Talib Kweli holten sich seine Beats. Dabei ist es gar nicht so lange her, als er sich auf Jay-Zs Label Rock-A-Fella seine ersten Sporen verdiente. An seinen Fähigkeiten des Studio-Schraubens hat er seitdem immeT weiter gefeilt, bis er sie auf seinem ersten Solowerk The College Dropout zur nahen Vollendung brachte. Einerseits beschäftigt er sich sehr ausgiebig mit den Drumpatterns, wobei die Baßdrum zuweilen ein schier unverschämtes Tempo anschlägt und fast eckig wirkt („The New Workout Plan“) – und dennoch immer groovend vor sich hin rollt. Andererseits ist Kanye West vor allem durch seine hochgepitchten Soul-Samples bekannt geworden, die den Stücken erst ihre Ohrwurmtauglichkeit und Einzigartigkeit verleihen. Als Beispiel sei nur der Song „Spaceship“ genannt. Allein das mickeymausige Sample aus Marvin Gayes „Distant Lover“ könnte man sich stundenlang anhören. Auf diese Art und Weise schafft es West, die Wärme des 70er Souls ins Boot zu holen, durch die technische Verfremdung aber als genialer Erneuerer dazustehen.
The College Dropout muß man schon jetzt als KlassikeT bezeichnen. Nicht nur deshalb, weil der Mann auf der Produktionsseite ein Genie ist und auf dem Album mit einem Ideenreichtum glänzt, als wollte er den jahrelangen Leerlauf im Mainstream-Hip-Hop mit einem Schlag vergessen machen. Auch seine
Rhymes und die Inhalte seiner Texte besitzen eine Klasse, die ihn auf Anhieb in die erste Rap-Liga katapultierten. Die Erklärung seines Erfolges: „Ich bin wie einer dieser Roboter aus Science-fiction-Filmen, die geschaffen wurden, um die Weltherrschaft zu übernehmen. Die sind so programmiert, daßsie ihre Umwelt total adaptieren und schließlich alles besser können. Genau das tue ich auch. Und dennoch stelle ich gerade fest: Je besser du wirst, um so mehr merkst du, was du alles nicht weißt – und desto mehr respektierst du die Leute, die wirklich gut sind.“
Also engagierte er für The Late Registration Jon Brian als Coproduzenten, der vor allem für Filmscores („Magnolia“) bekannt ist und mit HipHop bislang eher wenig zu tun hatte. Ein Glücksgriff, denn das Album klingt, als hätte eine 30köpfige Taskforce über Monate an jedem noch so kleinen Sound gefeilt. „Er ist ein musikalisches Genie, sowas schafft er in einer Nacht. Nimm‘ nur die Hookline von ,Celebration‘. Er spielte sie mit einem Synth-Sound. Keine Ahnung, was das für ein Instrument sein sollte, sowas hatte ich noch auf keinem Album gehört. Dann haben wir richtige Bläser draufgelegt, dann richtige Streicher, eine Orgel: Schichten über Schichten. Oder wirhatten da ein zoköpfiges Streicherensemble: jeder andere Produzent hätte das Orchester schön fett in füll Stereo abgemischt. Und was macht er? Legt es auf einen Kanal. Mann, das ist dope – ein Meisterstück!“
Schon der Opener „Touch the Sky kommt mit seinem Curtis-Mayfield-Sample mit soviel positiver Energie rüber, daß man sofort das Dach seines Autos abflexen und nach Kreuzberg übersetzen will, um den türkischen Cruiseprofis in ihren ^er-BMWs mal zu zeigen, was ’ne Harke ist. Erstaunlich ist, daß West vor allem Reste verarbeitete, die von seiner Produzentenarbeit abfallen. Was für einen John Legend oder Common nicht gut genug war, reichte dem Meister allemal. Man sollte sich auch nicht von der Singleauskopplung „Diamonds Are From Sierra Leone“ täuschen lassen, dem mit Abstand schwächsten Song des Albums. Shirley Bassey („War es schwer, dasSamplezu bekommen?““Hard asfuck, expensiue as hell.“) erweckt leider vor allem Erinnerungen an unseelige Big-Beat-Zeiten. Natürlich ist es eine respektable Sache, wenn West hier auf so genannte „confiict diamonds “ anspricht, wie sie aus dem von Bürgerkrieg zerfressenen Sierra Leone kommen. Doch deshalb mausert er sich nicht gleich zum Agitpropper ä la Chuck D. Kanye ist nach eigener Einschätzung fürs Entertainment zuständig – und das ja nicht von ungefähr.
Selbstredend werden wieder ein Haufen Leute gefeatured, wobei die größte Überraschung wahrscheinlich Adam Levine von Maroon 5 darstellt. Insgesamt klingt das Album fetter, ernster, erwachsener als der Vorgänger. Doch Schlitzohr Kanye hat vorgebaut, um sich den Fan-Nachwuchs zu sichern: „Der Trick ist die zweite Single,GoldDigger‘. Es ist wie bei Filmen wie .Harry Potter‘ oder .Herr der Ringe‘. Da werden die Kids in die Kinos gezogen, obwohl die Filme schon ziemlich erwachsen sind. Ich ziehe die Kids mit ,Gold Digger‘ rein und setze sie so auch dem erwachsenen Teil des Albums aus. Meine Eltern haben damals den ganzen heißen Scheiß gehört wie Curtis Mayfield oderStevieWonder. Genauso willich mitmeinerMusikdie Kidsprägen. Aber auch an all die Homies hat er gedacht mit „Crack Music“, das in den USA bereits für Zündstoff sorgte: „Einerseits geht es in dem Stück darum, wie die CIA die Black Panther mit Crack zerstört hat. Aber es geht auch darum, daß diese Musikein Produkt der Crack-Generation ist.So wie wir gute Musik .dope‘ nennen, so gibt es nun auch die ,crack music‘: „That’s the crack music, nigga/the black music, nigga!“ Das ist nicht irgendein Fernsehscheiß, das istfor the hoodrighthere.“
Als schwarzer Superstar ist man in den Vereinigten Staaten allerlei Risiken ausgesetzt- siehe Biggie, Tupac etc. Muß Kanye West also auch Angst haben?
„Ich soll etwas befürchten, weil ich crack music mache? Vergißes! Ich war dem Todschon nahe (sein Autounfall, den er in dem Song „Through the Wire“ verarbeitet hat- Anm. d. Red.), aber die Angst ist weg. Ich fühle mich wie ein Botschafter Gottes. Wenn er will, daß ich meine Meinung äußere, dann spricht er durch mich. Er benutztmich, warm immererwill. Und er erlaubt mir, glücklich zu sem.“Und mit welchem Song des Albums ist er selbst besonders glücklich? „.Addiction‘. Es geht um eine Ex-Freundin, die mich gleichzeitig liebt und haßt. Aber weil der Sex so gut ist, kommt sie immer wieder zurück. Sie ist süchtig nach mirundich nach ihr. Das ist wie mit Drogen. Man weiß, man sollte sie nicht nehmen, und doch tut man es. ,So I guess I’m her drug.‘ Darum will ich, daß die Leute sich genau meine Texte anhören.WeiljedeZeilehatein Konzept, istwiederBeginn eines Films.“
Kanye West leidet offenkundig nicht an einem minder ausgebildeten Selbstbewußtsein. Allerdings: Das war nicht immer so. „Viele nennen mich arrogant. Doch als ich als Kid auf den Basketball-Platz ging, wurde ich richtig hart gedisst: ,Hey Winzling, du wirst nie was. Kannst nicht mal einen gescheiten Dunk anbringen‘. Ich wurde über den gesamten Platz geschubst. Aber nun bin ich zurück, komme vom anderen Ende über den gesamten Platz mit einem 360-Grad-Slamdunk. Ich zahle es ihnen allen zurück. Also wenn ich wieder irgendeinen Scheiß rede und in die Kamera grinse, dann mache ich nichts anderes, als meinen Triumph zu feiern.“
Man darf das wohl ein Schlußwort nennen. Zeit zu gehen und sich artig für das Gespräch zu bedanken. Doch Kanye selbst hat noch eine Frage: „Wie gefällt Dir denn nun eigentlich das Album?“ Und eine Empfehlung möchte er auch gleich noch haben: “ Und die B-Seiten? Welche Stücke würdest du auf die B-Seiten tun?“ Es geht nicht anders: Man muß diesen Mann einfach mögen.
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