Gorillaz: Die Comix Brothers in der Oper


Sie waren die "erste virtuelle Band der Welt". Jetzt ist aus Damon Albarns und Jamie Hewletts Comic-Vision ein veritabtes Opernerlebnis geworden.

Jede tolle Band wird durch ihren Erfolg ruiniert“, heißt es in dem Comic, den Damon Albarn und Jamie Hewlett zur Veröffentlichung der aktuellen Gorillaz-Single „Dare“ verschicken ließen. Wenn dem so ist, stehen Gorillaz trotz zehn Millionen verkauften Alben noch am Anfang ihrer Karriere. Ihre fünf ersten „richtigen“ Konzerte überhaupt, mit denen nun das nächstes Jahr stattfindende Manchester International Festival lanciert wurde, gehören zum Besten, was man in diesem Jahr auf einer britischen Konzertbühne hat genießen dürfen.

Zwar stand Damon Albarns virtuelle Band zu diesem Anlaß nicht zum ersten Mal auf einer Live-Bühne: Zur CD -Taufe ihres Debüts hatte sie vor Jahren im Londoner Scala hinter einem Gazevorhang gespielt, auf den Videos projiziert wurden. Später begleitete sie Damon Albarn bei seinen „Mali Music“-Konzerten. Diesmal aber gibt’s kein Versteckspiel, keine Tricks. 27 Musiker stehen leibhaftig und permament auf der Bühne. Wer ganz vorne in den noblen Opernhaussesseln sitzt, bekommt schon mal authentische Spucke ab und darf mit den für 50 Pence zu mietenden Operngläsern Nasenhaarfrisuren beguchtachten. Von Hewletts Trickfiguren-Gorillaz sind nur Murdoc und 2D präsent. Sie sitzen als lebensgroße Marionetten auf einem Balkon und machen sich à la Waldorf &. Statler über das Geschehen im Saal lustig. Neben der üblichen Gitarren/Baß/Keyboard-Kombination mit Albarn diskret am Piano bestehen die Live-Gorillaz noch aus 14 Streichern, zwei Drummern und fünf Begleitstimmen. Dazu gesellen sich außer einem 30köpfigen Kinder- und einem gemischten Chor die diversen Gäste, die dem zweiten Album DEMON DAYS allerhand Farbtupfer aufdrückten unter anderen Neneh Cherry, De La Soul, Ike Turner (ganz in rosarot-beigem Zuhälter-Chic am pfundigen Honky-Tonk-Klavier), Roots Manuva und aus der Konserve Dennis Hopper sowie der kürzlich verstorbene Ibrahim Ferrer.

Es spricht für die großartig arrangierte Show, daß die Gastauftritte nie wirken, als wolle hier einer mit seinem dicken Adressbuch protzen. Jede Stimme trägt das Ihre dazu bei, die heiter-apokalyptische Stimmung zu verdichten, die von den Songtexten sowie den teils photographischen, teils gezeichneten Verwüstungsbildern heraufbeschworen wird. Diese flimmern in ungewöhnlich inniger Symbiose mit der Musik über eine Projektionswand hinter der in Schatten gehüllten Band. Trotzdem ist dieser Aspekt der Show die einzige- wenn auch leise – Enttäuschung: Nach all dem Tamtam um virtuelle Konzepte hätte man vielleicht mehr erwartet als eine Abfolge von Cartoons und Collagen. Solche Kritteleien nehmen sich im Licht der Musik jedoch wie Haarspalterei aus. Mit DEMON DAYS haben sich Gorillaz zu einer bemerkenswerten neuen, urbanen „Weltmusik“ aus Reggae, HipHop, Rock, Gospel und Musik aus allen (anderen) Ecken der Welt vorgearbeitet. Die hat nichts Anbiederndes an sich, sondern legt ein inniges Verständnis der Elemente an den Tag, aus denen sich die Popkultur ernährt. Im Tandem mit Hewletts Comics zeigt sie, was in diesen Ausdrucksformen steckt, wenn sie nicht durch den Fleischwolf der Marketing-Manager gejagt werden.

Gorillaz live sind atemberaubend. Sie spielen DEMON DAYS „zum ersten und letzten Mal“ Von A bis Z live durch. In einer Show mit lauter Highlights gibt es zwei besonders gloriose Momente. Einmal den Auftritt des grinsenden Kinderchores in „Dirty Harry“. Und dann Shaun Ryders Vortrag der Hitsingle „Dare“. Lokalmatador Ryder, mit den Happy Mondays einst die Kühlerfigur der „Madchester“-Szene und selber so etwas wie eine wandelnde Comicfigur, reißt das Rund mit seiner tigerhaften Darbietung zu stehenden Ovationen hin. Beim abschließenden „Demon Days“ mit der Off-Stimme von Ibrahim Ferrer drängt sich der Gedanke auf, daß Gorillaz in eine ähnliche Kerbe hauen, wie es Ferrer-Förderer Ry Cooder mit seiner letzten CD CHAVEZ Ravine und der Erschaffung einer modernen Folkmusik für Los Angeles versuchte. Nur spannen Gorillaz den Bogen viel weiter. Grandios.

www.gorillaz.com