Kurz & klein


Der Herbst ist da – und mit ihm nicht nur längere Nächte, nasses Laub auf den Wegen und gelegentlicher Nebel, sondern auch die alljährliche Tonträgerveröffentlichungsflut, mit der eine Branche, die selbst eigentlich gar nicht mehr so richtig an Tonträger glaubt, selbige rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in die Ladenregale bringen möchte. Die folgenden Alben haben ausnahmslos beste Chancen, in dieser Flut unterzugehen .aber nicht alle von ihnen hätten dieses Schicksal auch verdient: Jon Auer, als Mitglied von The Posies und der reformierten Big Star eine verdiente lndiegröße, legt mit seinem späten Solodebüt songs from the year of our de-M1SE (Devil Duck/Indigo) ein sehr charmantes, weil sehr persönliches Singer/Songwriter-Album vor. Es profitiert (nur scheinbar paradoxerweise) genau davon, dass sein Schöpfer nicht den Versuch macht, auf Teufel komm raus originell zu klingen, sondern sich auf seine Melodien und seine Stimme verlässt. Er muss halt keinem mehr was beweisen.

Dagegen hätten sich Oxford Collapsed (Sub Pop/Cargo), ein Trio 3us Brooklyn, auf ihrem dritten Album REMEM-BER THE NIGHT PARTIES vielleicht tatsächlich ein bisschen mehr um Originalität bemühen sollen. „Melodie an pop“ soll das hier laut Label sein-bloß, ähem, wo sind sie, die Melodien? Solange sich die New Yorker an verhalteneren Songs versuchen, scheint noch gelegentlich so etwas wie eine kompositorische oder Arrangement-Idee durch – aber in dem Moment, wo sie loszuknüppeln beginnen, wird es trostlos…

Ein eigenartiger Vogel scheint der Songwriter Dan Sartain aus Alabama zu sein, der auf JOIN dan sartain (One Little Indian/Rough Trade) zu Rockabilly- und Garagenrock-Versatzstücken mit zittrig-exaltierter Stimme (so in etwa David-Byrne-Style) seine wunderlichen Geschichten intoniert. Das hat mitunter einen abgedrehten Charme, häufig aber einfach auch einen hohen Nervfaktor. Viel „normaler“ sind da selbstredend unsere alten Bekannten Die Happy-was einerseits gut,andererseits aber auch wieder nicht so günstig ist. Auf ihrem neuen Album NO NUTS NO GLORY (GUN/Sony BMG) kommen uns Die Happy mit poppigem Crossover-Rock in überwiegend rasanten Tempi, handwerklich sauber bis stellenweise sogar beeindruckend gespielt. Aber es ist halt eine Ästhetik, die aus den frühen cjoern stammt, und Die Happy gewinnen ihr kaum eigenständige Aspekte ab. Am originellsten klingt es noch, wenn Martha in „Hello“ ein paar Zeilen auf Französisch singt.

Zwei Brüder aus dem irischen Städtchen Wicklow, die sich zusammen God Is An Astronaut nennen, haben für ihr drittes Album all is VIOLENT, ALL IS BR1GHT (Rocket Girl/Rough Trade) elf sehr hübsche Instrumentaltracks zusammengetragen. Wer sich Mogwai ohne die ganz lärmigen Passagen vorstellen kann und dazu noch eine Prise Craig Armstrong, kommt damit diesen getragenen, gelegentlich ins Hymnische tendierenden Kompositionen schon ziemlich nahe. Das ist alles zu sanft, um es Postrock, und zu rockig, um es Ambient zu nennen. Und schön, dass da keiner bonoesk über die Arrangements drübersingt.

Durchaus geistesverwandt dürfte den beiden Iren der schwedische Gitarrist und Songschreiber Johann Krantz sein. Das Album brave you free May (Mi amante/Cargo) seiner Band Musika 77 ist was für Leute, die sich Zeit nehmen können/wollen – genau das tun Krantz & Co. nämlich auch. Wer Sophie Zelmani, Talk Talk oder die Solowerke von Mark Hollis mag, wird sich in den sehr laaangsaaamen, von Düsterromantik durchzogenen und sparsam in Americana-Manier arrangierten Songs wunderbar fallen lassen können. Der 34-jährige Kurt Heasley hatte mit seiner Band The Lilys vor ziemlich genau zehn Jahren schon mal einen mittleren Hit in den Staaten (was wohl vor allem damit zu tun hatte, dass der betreffende Song den Weihnachtswerbespot der weltweit bekanntesten Jeansmarke geziert hatte). Danach soll für die Band aber so ziemlich alles schiefgelaufen sein. Dass Heasley & Co. dennoch durchhielten, mag man beim Hören von everything wrong is imaginary (Rocket Girl/Rough Trade) durchaus begrüßen: Darauf gibt’s vielseitigen, meist eher kantigen, modernen lndierock, der gleichermaßen auf elektrisches wie synthetisches Instrumentarium, auf amerikanische wie britische Einflüsse zurückgreift, mal („With Candy“) in Talking- Heads-Tradition daherkommt, mal verträumt, psychedelisch, und mal (nämlich im Titelstück) auch rein instrumental.

the end OF history (Bella Union/Cooperative Music/V2./Rough Trade) sieht der junge Singer/Songwriter Fionn Regan kommen (das war eine in den 90er Jahren viel diskutierte und vom Kulturkampf der westlichen und der islamischen Welt eher widerlegte These des amerikanischen Politologen Francis Fukuyama). Regans nett harmlose Musik hört sich aber eher nicht nach großer Geschichte und Weltpolitik an, sondern eher traditionsbewusst und hausgemacht, mitunter sehr nach britischen Singer/Songwriterplatten der 70er Jahre. Ebenfalls auf einen historischen Sound bauen Oliver Minck und Benedikt Filleböck, die sich zusammen Wolke nennen, mit den Liedern ihres zweiten Albums Möbelstück (Tapete/Indigo) auf: Die NdW feiert hier fröhliche Urstand. Klee-Sängerin Suzie Kerstgens ist auf einem Stück dabei, mit „Ich will mich befreien“ gibt es hier ein ganz witziges Queen-Cover. Leider sind die eigenen Stücke der beiden bei weitem nicht so zwingend wie der Uralthit aus der Feder von John Deacon. So klingen diese 80er Jahre-Aufgüsse irgendwie schon verwelkt, bevor der Herbst überhaupt so richtig angefangen hat.