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Seit der WM sind die Sportfreunde Stiller bekannt wie bunte Hunde. Jetzt ist das neue Album La Bum da. Und das Postulat: "Wir wollen nicht Deutschlands Fußballband sein!

München, Geschwister-Scholl-PIatz, 14. Juni 2007. Vor einem Jahr war hier was los. Die Fifafußball-WM 2006 war seit fünf Tagen „on“ und München bereits über den ein oder anderen Höhepunkt des erstaunlichen Fetengehupes, das Deutschland erfasst hatte, hinweggetaumelt. Hundert Meter die Leopoldstraße rauf ging die Münchner Fanmeile los, Abend für Abend schoben sich internationale Menschenmassen in Schwabing herum, lachend, grölend, singend, und an jeder Straßenecke sah man Leute seltsame, blöde, lustige, bunte Dinge tun wie sonst eher selten in München.

Heute ist ein Nachmittag wie in jenen Taumeltagen. Die Sonne scheint, als wollten nie wieder Wolken aufziehen, der Asphalt simmert warm, die eilelosen Pärchen, die vom Englischen Garten herüberradeln, suggerieren gemütliche Wochenendstimmung. Und da drüben am Brunnen stehen drei Typen und spielen Lieder, auf kleinen batteriegetriebenen Quäk-Verstärkern und Mini-Schlagzeug. Immer mehr Leute bleiben stehen, Radfahrer steigen ab. „Wart mal, ich komm gleich drauf, sagt einer zu seinem Kumpel, „die Stimme kommt mir voll bekannt vor.“ Vielleicht würde ihm der Hinweis weiterhelfen, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit den größten Hit dieser Band vor genau einem Jahr da vorne gesungen hat, als Teil irgendeines lustig betrunkenen Hüpfkreises, mit komischem Hut auf und schwappender Bierdose in der Hand, und wie dieses Lied ihm die ganzen zwei Wochen als Dauerohrwurm in den Synapsen klebte. Na? Die meisten haben schon kapiert, was hier Sache ist, wenn wohl auch nicht, warum. Hier stehen die Sportfreunde Stiller, Münchens resident große Popband, und spielen alte Hits und neue Songs von dem Album, das in diesen Tagen gemastert wird und das noch gar keinen Titel hat. In ihrer Abschluss-Euphorie war die Band auf die Annahme verfallen, es müsse doch Spaß bereiten, mal einen hellichten Donnerstag lang kleine Guerrilla-Gigs in der Innenstadt von München zu spielen. Eine Annahme, die sich gerade aufs Blendendste bestätigt.

Dies ist der dritte und letzte Stopp. Es sagt ein bisschen was über die aggressive Marketingwucht, mit der der legendär zurückgelehnt agierende Sportfreunde-Manager Marc Liebscher seine Band in der Öffentlichkeit platziert, dass keinerlei Medien über die Aktion informiert wurden. Keine Tageszeitungen, kein Radio, kein Lokal-TV, keine Fotografen; die Anwesenheit des ME-Reporters ist eine Ausnahme und eher einem halben Zufall geschuldet. Die neuen Songs, in die man Tage vorher hat reinhören dürfen offenbaren in den blechernen Miniverstärkerversionen ihre kompakte Ohrwurmqualität. Und Evergreens haben sie eh mittlerweile in größeren Mengen in der Hinterhand – nur einen gibt’s nicht beim Wunschkonzert auf Zuruf: Das Lied. Den Fußballhit. Einmal fängt einer im Publikum an, „eins-und-zwei-und-drei-und-vier-und-fünfzig, 74…“, und so stimmen sie alle ein, ein ganzer Pulk trällert, die Sportfreunde grinsen, legen ein paar begleitende Bass- und Snare-Tupfer darunter und lassen es dann elegant dabei bewenden. Zu guter Letzt kommt dann noch die Polizei, eine ganze Schar von Beamtinnen, drei Fahrzeuge voll. „Grüüüner Partybus, sha-lala-lalaaa“, singen die Leute,auch so ein Gassenhauer aus dem Juni ’06.

Sechs Tage später sitzen Peter Brugger, Rüdiger „Rüde“ Linhof und Florian „Flo“ Weber zum Mittagsinterview in einem Cafe im gemächlich hippen Münchner Glockenbach-Viertel. Die drei-Tage-Bärte sind rasiert, man sieht unverschämt entspannt und ausgeschlafen aus. Das letzte Bild am Donnerstag waren die Sportfreunde, die mit ihren Instrumenten und einem Strauß Beamten um einen der Polizeibusse herumstanden. Ist Ärger anhängig? rüde: Das war so lustig. Die kamen da an, böser Blick und alles. Und dann hat der eine mich so angeschaut und es sind ihm ganz kurz die Gesichtszüge entglitten, ein leicht zweifelnder Blick und er so: „Scheiße, ihr seid ja die echten!“ Wir sind dann mit denen zu ihren Wägen, und da haben sie noch recht ernst die Personalien aufgenommen. Aber als sie dann tatsächlich mit so Autogramm- und Fotowünschen rüberkamen – das war schon eine lustige Wendung.

Hätten die euch auch ohne die WM06 und globalen Monsterhit erkannt?

Peter: Glaub ich nicht. Das hat wohl so das letzte Jahr bewirkt, dass …

Flo :… dass uns Polizisten auch wieder freilassen, nachdem sie uns mal eingefangen haben.

Rüde: Den einen hat sowieso mehr interessiert, ob der Schweinsteiger Schlagzeug spielt.

Flo: Ja. Der hat mit der Aufnahme meiner Personalien aufgehört und gefragt, ob der Schweini eigentlich wirklich Schlagzeug spielen kann.

PETER: „Name Doppelpunkt: Der wo mit’m Schweini Schlagzeug g’spielt hat.“ Haha!

Was für ein Verhältnis habt ihr mittlerweile zu DEM Lied?

PETER: (lacht) „Das Lied“, das man nicht beim Namen nennen darf! Ich hab ein super Verhältnis zu dem Lied. Weil man diese ganzen krassen Bilder im Kopf hat von… von ausrastenden Menschen in großer Zahl. Der letzte Sommer… das war einfach unglaublich, was wir da erlebt haben durch dieses Lied. »54, 74, 90, 2006″ ist ein kleines Phänomen des jüngeren deutschen Pop. Die grenzgenial einfach gestrickte Melodie wurde zum omnipräsenten Ohrwurm-Selbstläufer des WM-Sommers, der in schöner Indiemanier all die „offiziellen WM-Songs“ in ihrem Tran aus Logoeinbindungen und Franchise-Verknüpfungen blubbern ließ und – gemäß dem im Vorfeld spitzbübisch formulierten Plan der Sportfreunde, mit ihrem Lied „durch die Hintertür in die Stadien reinzukommen“ – die Herzen und Hälse, die Tribünen und Fanmeilen im Sturm nahm, in vieltausenden selbstgesungenen, -gegrölten, -trompeteten, -geflöteten, -gehupten, -gepfiffenen Versionen. Ein verselbstständigtes, dezentralisiertes Lied, ins öffentliche Bewusstsein gepflanzte Populärmusik im Wortsinn, ein instant Volkslied, eigentlich.

„Als die Nationalmannschaft immer weiterkam, wurden wir auch immer mehr in den ganzen Medientrara reingezogen“, erinnert sich Flo. „Irgendwann musste ich sogar meine Karten fürs Achtelfinale Deutschland-Schweden abgeben, weil wir einen Fernsehauftritt hatten. Ich war erst stinkauer, aber dann war das sehr lustig. Da gibt man schon mal ein paar Fußballkarten ab, wenn man dafür mit Pele Arm in Arm ein Foto machen darf. „Da waren gänsehautmachende Stadionbesuche (Flo: „Du stehst da mit den Fansfeuerst deine Mannschaft an unddann wird dein eigenes Lied als Schlachtruf gesungen. Das war schon bärig.“). Da war amüsiertes Herumeiern in „strängen Kreisen“ (Peter), wie bei der Bambi-Verleihung Ende des Jahres, wo Peter als Laudator des Torwart-Duos Lehmann/Kahn vor laufender Kamera der Spielerfrau Lehmann extensiv aufs gottlob elastische Spaghettiträgerkleid stieg („Ich bin so froh, dass nichts passiert ist, damit war ich wahrscheinlich heute noch beim Raab unterm Knopf) und Flo beim Abendessen gegenüber der schwedischen Königin „ein Flirting rausließ“ (Peter). Wie bitte? „Naja, ein bissl“, schränkt Flo ein. „Von weitem. Zugeblinzelt.“ Und da war Bundespräsident Köhler, der den Sportfreunden beschied, das mit ihrem WM-Lied, das hätten sie „gutgemacht“. „‚Dufte‘ hat er gesagt“, korrigiert Flo. „Genau“, lacht Peter. „Dufte, was ihr da macht!'“ Vielleicht war spätestens da den dreien klar, dass es nun an der Zeit war, den Druck aus dem Spiel zu nehmen. „Am Ende hatten wir alle das Gefühl: Jetzt müssen wir mal ein bisschen Pause machen mit dem Fußball-Zeug“, erklärt Peter. „Es war dann einfach auch an der Grenze. Wir wollen nicht als Deutschlands Fußball-Band enden.“

Als die Sportfreunde sich Ende 2005 daran machten, eine E.P. mit Songs zur kommenden WM aufzunehmen, waren sie schon eine Zeitlang dabei, Stücke für ein neues Album, den Nachfolger ihrer dritten, immens erfolgreichen Platte Burli (2004) zu schreiben und es ging zäh, „verkrampft“, wie Peter sagt. Da kam so ein Projekt, bei dem sie sich nach Gusto mit ihrem Lieblingsthema beschäftigen durften und das von vornherein als Zwischendurchspaß geplant war, gerade recht. Kreativität keimte, Songs flössen aus Federn, aus der E.P. wurde ein Album: You Have To Win Zweikampf, „die Fußballplatte“ im Bandjargon, ein launiger Schnellschuss, wie ein Befreiungsschlag für das, was jetzt La Bum ist. Peter: „Als wir uns danach wieder ans neue Album setzten, hatten wir eine viel bessere Kommunikation – und diesen Wahnsinnssommer erlebt.“

An diesem Mittag haben die Sportfreunde auch einen Titel für das neue, ähem, Album zu präsentieren: La Bum. Ah so.“ ‚La Bum, die Fette‘, eigentlich“, grinst Peter. (Man soll Witze ja nicht erklären, aber für Spätgeborene sei doch gesagt: „La Boum – Die Fete war in den 8oern ein französischer Jugendfilm, den man gesehen haben „musste“). Fett – bzw. das, was der Jugendsprech diesem Wort an Konnotationen beschert hat- ist La Bum allerdings. Classic Sportfreunde mit allerlei Verfeinerungen und Facettenzugewinn auf Breite eines famosen Indie-Popalbums, musikalisch einen Schritt weiter vorn als der schon ambitionierte Burli. Mit fast durch die Bank fein komponierten und konstruierten Popsongs, dynamischen Arrangements, überraschenden Wendungen, Hooks und Nuancen und einem Catchyness-Quotienten, der kein Entrinnen lässt. Mit funky Riffs, die nach Queens Of The Stone Äge und Justin Timberlake twangen und tolle Songs wie „Der Titel vom nächsten Kapitel“ und „Eine gute Nacht“ nach vorn reißen. Mit harten Gitarren und Beachboychören, denen man die Hand von Uwe Hoffmann, Hausproduzent der Die Ärzte und der Sportfreunde, anmerkt. Mit schön schmalzigen Streichern hier, Elektrofläche da. Mit hitverdächtigen Songbeiträgen von allen Bandmitgliedern (von Flo etwa stammt das mutmaßlich zum Live-Reißer bestimmte „Mo(nu)ment“, von Rüde der energetische Dop pel-Refrain-Hammer „Sodom“). Mit Liedern über die Liebe und das Schöne, über die Rätsel und den Wahn der Welt. Und ohne Sport-Referenzen; selbst Peters „995er Tief über Island“ ist ein Lied über die Sehnsucht nach dem Meer – ein verhinderter Surfsong.

Ist La Bum eure bisher musikalischste Platte?

Flo: Ja, musikalischer. Mutiger.

Rüde: Unsere ganze Arbeitssituation hat sich ja geändert. Dadurch, dass wir endlich einen Proberaum für uns haben, mit kleinem Studio. Wir sind ja acht Jahre lang von einem Probreaum zum nächsten gezogen, immer zwischen Tür und Angel. Proben war immer mehr eine Last, den Spaß hatten wir beim Konzertespielen.

Flo: Sonst haben wir im Proberaum draufgehauen, und dann hat’s gepasst oder eben nicht. Diesmal haben wir viel mehr rumprobiert. Arrangiert, Zeug verworfen, neu gemacht…

Peter: Wir haben sogar Kapodaster diesmal, bei einem Lied. (Stille) Was? Ich finde, das sagt viel. Dass wir uns Gedanken gemacht haben, in welcher Tonhöhe das vielleicht besser zur Stimme passt. Aber ich find auch gut, dass die Musik dieses „eins, zwei, drei, los! “ noch hat. Das war mir wichtig, dass es nichts Verkopftes, Konstruiertes wird, weil man auf Teufel komm raus was anderes macht, weil man an einem Scheidepunkt der Karriere steht oder so.

Flo, du hast von Zweifeln und Unsicherheiten bei den Aufnahmen gesprochen.

FLO: Wir haben uns nicht zerfleischt, sondern einfach die Songs stark hinterfragt. Ich muss sagen: Das mit den Zweifeln hat wahrscheinlich mehr in meinem Kopf stattgefunden.

Rüde: Jeder kreative Prozess ist mit Zweifeln verbunden. Und ich kann nur sagen, dass es mehr Spaß gemacht hat, zusammen zu musizieren, als bei allen Platten davor, vor allem auch in der Probephase. Sicher ist da ab und zu Hirnschiss angesagt. Aber jeder hat mal ein Tief, ich hatte auch Tage, wo’s mich ankotzte, wo die Kommunikation komisch lief, wo ich empfindlich war. Aber das ist normal, wenn man an etwas arbeitet, was einem am Herzen liegt.

Peter: (zu Flo) Ich glaube, es kommt auch daher, dass du noch nie so viel geschrieben hast für eine Platte – außer für die Fußballplatte. Ich kenne das von früher total, diesen Stress. Und ich glaub einfach, dass du da noch nie so sehr dringesteckt hast wie auf dieser Platte.

Wirds live auch aufwändiger?

Peter: Das fand ich so interessant mit dem Spielen auf der Straße: Dass auch Lieder, die auf der Platte relativ komplex wirken, auch einfach nur so gehen, mit dem Rotzverstärker.

Flo: Und wir haben ja einen Keyboarder, und das ist der Rüde mit seinem Fuß. Und bei ein paar Liedern, wo uns auch live der Geigenalarm wichtig ist, kommt der halt dann vom Band. Da drück ich drauf und fertig. Damit haben wir uns einfach abgefunden, das macht uns nichts aus.

Und Rüde, du singst sogar diesmal, fünf Zeilen, den Mittelteil deines Songs „Sodom“.

Rüde: Hey, ich hab 2000 Euro in Gesangsunterricht investiert. Haha, nein, nicht so viel. Aber ich hab Unterrricht genommen. Ich bin aufgewachsen mit diesem „Oida, halt dei‘ Maul, kannst eh net singen“. Und früher, wenn ich Lieder vorgestellt habe – das war so ein Graus, dass ich mir gesagt habe: Der Schmerz muss zumindest halbiert werden. Das hab ich geschafft, aber ich bin lang noch nicht bühnenreif. Ich fand’s so fein, in ein paar Jahren oder so, wenn wir echt mal zu dritt singen könnten. Chorgesang. Es macht so viel Spaß und es klingt so schön, wenn man gut zusammen singt.

Peter: Da ist eine Band wie Mando Diao schon anders gesegnet. Wir haben halt so einen Viertelsänger, einen Zweidrittelsänger und einen Achtelsänger. Und die haben eben kurz mal drei, vier Typen, die super singen.

Rüde: Es ist auch ein bisschen die Art, wie man in Deutschland zur Musikalität erzogen wird! Wer musiziert schon daheim? Man hat so einen komischen Bezug zur Musik, man ist regelrecht entfremdet. Und wenn man dann Musik macht, merkt man erst, wie viel Spaß es macht und was einem gefehlt hat. In Schweden singen, glaub ich, 60 Prozent der Menschen in Chören oder haben schon mal in Chören gesungen Die haben einen komplett anderen Bezug.

„Old pirates they’re the robots, sold I to the merchant ships“ singt Flo Weber mit Inbrunst. Rüde Linhof verdreht die Augen: „Old pirates, yes they rob I.‘ Mensch, bitte!“, klagt er und schüttelt den Kollegen spielerisch. „Das tut echt weh! ‚YES THEY ROB I.'“ – „Ja, aber, they’re the robots‘ hört sich doch viel geiler an!“ feixt Flo und entwindet sich singend dem Griff: „Old pirates, they ‚re the robots…“

Zwei Tage und neun Stunden nach dem Mittagsinterview. Es ist der 21. Juni, die kürzeste Nacht des Jahres und draußen leuchten die Lichter, hier drinnen die Sportfreunde Stiller. Wir stehen in einem Flur im Backstage des Münchner „Backstage“, fünf Minuten bevor die Sportfreunde drüben im kleinen, runden „Backstage Club“ den ersten ihrer kurzen Reihe von „Geheim“-Clubgigs lostreten werden, die sie jetzt, anderthalb Monate vor Veröffentlichung des Albums, zum Stapellauf von LA bum spielen. Es ist das erste Konzert seit Monaten, die Live-Premiere der neuen Songs. Eben in der Garderobe hatten die Sportfreunde, deren Nervosität man ein wenig durch die gute Laune und Aufgedrehtheit durchschimmern spürt, noch einmal schnell ein paar der neuen Lieder durchprobiert, zur Akustikgitarre von Peter, und dann war plötzlich, aus welcher Laune heraus auch immer, der „Redemption Song“ im Raum .Jetzt stehen sie im Flur und schmettern Bob Marleys große Erlösungshymne a cappella. Während die ME-Kamera blitzt, singen sie zusammen, der Zweidrittel-, der Einviertel- und der Einachtelsänger, aus vollem Hals, mit korrekt ausgezählten Pausen, viel Überschwang und Geblödel, aber auch, ja: Beseeltheit. Drei Freunde, deren Bund in diesem Moment so unzerdringlich innig und strahlend prangt, dass man sie unwillkürlich darum beneidet.

Dann gehen sie hinaus und spielen ein Konzert, das vielleicht in die Sportfreunde-Geschichte eingeht. Es ist das Konzert, bei dem Peter nach allzu explizitem Lob von Flo samt Gitarre auf die Balustrade des Balkons steigt und da oben sein eben gespieltes Gitarrensolo – sein erstes ever – aus dem neuen „995er Tief über Island“ noch einmal hübsch schlagseitig in den Saal hinein dengelt. Worauf dann auch Rüde nicht hintanstehen will und drei Songs später raufklettert und ein kurzes Wasauchimmer-Jazz-Basssolo spielt. Woraufhin dann wiederum Flo pflichtschuldig für ein paar amtliche Trommelwirbel seine Snaredrum auf den Balkon hievt. Es ist das Konzert, bei dem Peter aus Geblödel heraus einen Zwischenrufer namens Fabi auf die Bühne bittet und ihm die Gitarre umhängt, worauf dieser mit Flo und Rüde in eine schmetternde Version des Sportfreunde-Klassikers „Wunderbaren Jahren“ losbricht, während Peter auf der tobenden Menge zum Balkon surft, ihn erklimmt, von der drei Meter fünfzig hohen Balustrade in die Händewelle zurückhüpft und punktgenau zum Songende wieder auf der Bühne eintrifft. Und das Konzert, bei dem Rüde zum ersten Mal den Mittelteil des von ihm geschriebenen Superhits in spe „Sodom“ singt, ganz allein, konzentriert, von einem Ohr zum anderen grinsend.

Der Schmäh zwischen den Songs sprudelt frisch wie bei den Ärzten zu besten Tagen. Die gespielten elf neuen Songs „funktionieren“ fast ausnahmslos, und als Rüde den Fußorgel-Einsatz bei „Mo(nu)ment“ verpasst, bekommt er eine zweite Chance („Du kriegst jede Chance, die du brauchst, Rüde“, Flo). Und keiner fordert „54,74,90,2006“, dafür wird es kollektiv gesungen, zum Zugabenapplaus; aber nicht als Liedwunsch, sondern als Anfeuerungsgesang, wie für eine befreit aufspielende Mannschaft. LA BUM ist gelandet. Die Fanmeile ist hier. Und dies hier sind die echten – auch ganz ohne Ball.

www.sportfreunde-stiller.de