Seit die „Deutschpop“-Hypewell gebrochen ist, macht Wir sind Helden das das Schwimmen noch ein Stück mehr Spaß. Auf Ihrer ersten großen Tour seit zwei Jahren springen sie mittenrein


München, Donnerstag, 25. Oktober, 22.43 Uhr. Das „Zenith“ steht Kopf. Wir sind Helden sind im Haus, ihr größter Hit „Nur ein Wort“ schraddelt in einer instrumentalen Schleife aus den Boxen; und man muss sagen: Es klingt eher schräg als gerade. Haben die Typen da auf der Bühne denn nicht geprobt? In der Tat: nein. Dafür war nun wirklich kaum Zeit, und es ist – das muss man den drei Männern zugute halten, die da grinsend vor sich hinrocken – ja auch nicht ihr Job. Sie haben nur die Instrumente übernommen – Monitormischer Roland die Drums, die beiden Backliner Basi und Fred Gitarre und Bass -, weil sich die gesamte siebenköpfige Band, die Helden samt ihrer Bläsertruppe, vor einer Minute mitten im Song zum Crowdsurfen bzw. -schwimmen ins Publikum verabschiedet hat. Tatsächlich waren Roland, Basi, Fred und Sängerin Judith Holofernes bis vor einer Minute die einzigen, die wussten, was passieren würde. Sie haben den Gag im Geheimen ausgeheckt und die anderen damit überrumpelt. Was für ein Kindergarten. Wie großartig! Was ist denn mit dieser Band los, die doch eigentlich – wenigstens in der Vorstellung der Klischeeheimer – sediert vom Mainstream-Erfolg dreier Alben bräsig ihren Stiefel runtertouren sollte? Wir sind eine Woche lang mitgefahren, um das herauszufinden.

Zweieinhalb Wochen Vorher. Montag, 8. Oktober, Saarbrücken. Wenn Ihnen ein wildfremdes Mädchen im Vorübergehen plötzlich ein strahlendes Lächeln und ein scheues „Hallo“ zuwirft, dann bilden Sie sich nicht gleich Schwachheiten ein. Überprüfen Sie die Situation: Kann es sein, dass Sie einen Bart im Gesicht und eine Mütze auf dem Kopf tragen, unter der längliche Haare hervorlugen? Check. Laufen Sie außerdem gerade im Umkreis des Backstage der Band Wir sind Helden herum? Check? Dann gehen Sie jetzt rein und sagen Sie artig dem Schlagzeuger einen schönen Gruß – für den war das Lächeln und das Hallo schließlich bestimmt. Pola Roy lehnt in einer Tür im Flur der Saarlandhalle, in dem die Helden-Entourage für ca. 18 Stunden ihr Lager aufgeschlagen hat und nippt an einem Becher Obst-Gemüse-Saft vom Catering-Buffet. Der Nachmittag plätschert gerade hinüber in jene Phase, in der für die meisten in der Crew etwas Freizeit winkt. Alles steht, der Soundcheck ist gelaufen, erst in zwei Stunden gehen die Türen auf. „Fufsi! Was ist denn jetzt?“‚, schallt es ungeduldig. Auch die Helden hätten jetzt Zeit – Tourmanager Danny Engel hat heute keine weiteren Termine in seinem allwissenden Kalender -, aber nur Jean-Michel Tourette geht mit hinter die Halle. Bei dem bekennenden „Heimwehhaber“ klopft gerade der Tourblues leise an, da hilft etwas Kicken mit Kumpels. Mark Tavassol, sonst auch am Ball, spürt einen Angriff der Bazillen, die ständig auf ihre Chance warten, über immungeschwächte Tourbusreisende herzufallen, und verordnet sich ein Nickerchen vor dem Konzert. Und Pola geht jetzt mal nach der Familie sehen.

Seit diesem Jahr ist Wir sind Helden on Tour nicht mehr allem die knuffige „Affenfamilie“, wie Judith Holofemes gern die Tourbesatzung nennt, in deren Kern freundschaftliche Verbundenheit eine große Rolle spielt. Dank Friedrich, demnächst ein Jahr alt, dem Sohn von Judith und Pola, ist jetzt auch eine Familie im herkömmlichen Sinn an Bord – das Modell „Kinderkrippe on the road“ hat sich über erste Konzertausflüge im Frühsommer bis zur Tour jetzt im Herbst bestens eingespielt. Wie hier Beruf und Familie unter einen Hut gebracht werden, würde die Bundesursula zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Dabei hilft es sicher, dass Pola und Judith praktizierende Buddhisten sind und generell nicht zu Hektik neigen. Dass Friedrich die Gelassenheit seiner Eltern geerbt hat und das Gewusel vieler Menschen tendenziell unterhaltsam findet. Dass sich Band- und Crew-Kollegen als begeisterte Duzi-Duzi-Onkel erweisen. Und dass mit Bea, einer alten Freundin von Judith, eine langmütige Nanny mit unterwegs ist. Früher reiste Bea mit den Helden als Merchandiserin, jetzt steht „Personal Assistant to Friedrich Roy“ auf ihrem Tourpass (auch die Jobbezeichnung „Babyroadie“ kursiert). Diese Woche – die Herbsttour ist unterteilt in gemütsfreundliche Abschnitte mit längeren Pausen – ist zudem Judiths Mutter Cornelia dabei. Wenn die Eltern arbeiten – nachmittags Termine, Soundcheck, abends Rocken – touren Bea und Oma durch die Spielplätze der Gaststädte bzw. wachen im Bandbus beim Babyphon. Als Herausforderung erweist es sich für die jungen Eltern, nach der vorabendlichen Ruhezeit in der Wohligkeit des Busses den Schwung aufzunehmen, den man für ein Konzert braucht. „Wenn er irgendwann schläft, ist man selber so weit, dass man am liebsten daneben liegen bleiben würde“ sagt Pola, der sich jetzt, eine Viertelstunde vor Auftritt auf den Oberschenkeln warmtrommelt. Die Flure hallen wider vom Aufwärmgetröte der Bläsertruppe – Christoph van Hai, Daniel Zeinoun und Lars Stoermer, alte Hannoveraner Musikstudiumskollegen von Jean -, die seit letztem Herbst fester Teil der Liveband Wir Sind Helden ist. Marks Powernap war erfolgreich, Jean hat sich in Schale geschmissen, es wird an noch unverkabelten Bässen und Gitarren geschrubbt, Judith dehnt die Stimmbänder mit Leonard Cohens „Hallelujah“ vor. Das Adrenalin tut seine Wirkung – der ganz große Kick kommt aber heute nicht rum. Der Reporter, der dieses Jahr schon ein paar rauschende Heldenkonzerte gesehen hat, kommt nicht umhin, den Saarbrücken! eine gewisse Behäbigkeit zu attestieren; im Gegenzug kommt auch die Band nicht hundertprozentig in Schwung. Spaß hat man am Ende doch. Für den internen Lacher des Abends sorgt ein spitzes „Laaars!“ aus der ersten Reihe. Der Ruf gilt Lars Stoermer und befeuert den Runnig Gag, wie lange noch tatenlos dem Umstand zugeschaut werden könne, dass die Quereinsteiger – allen voran der athletische Saxophonist („The Body“, unken die Kollegen) – immer mehr Sympathien abgreifen.

Es gibt aber noch Ernsthafteres zu diskutieren nach dem Konzert. Morgen früh muss die Band ihre Entscheidung in einer diffizilen Angelegenheit bekanntgeben. Es geht umd en Auftritt der Helden bei einer großen TV-Show, und die Diskussion über die Entscheidung bekommt besonderes, schier richtungsweisendes Gewicht vor dem Hintergrund der Umbruchsphase, die Wir sind Helden in diesen Monaten erleben. Seit ihrem kometenhaften Aufstieg zu den Aushängelieblingen der „Neuen Neuen Deutschen Welle“ im Jahr 2003, als der Band gar der seltene Spagat gelang (oder besser: widerfuhr), kurzzeitig von den Hütern der reinen Indielehre und einem Mainstream-Publikum gleichermaßen ins Herz geschlossen zu werden, seit dem Stakkato immer neuer Superlative in den Jahren danach ist 2007 die erste Saison, in denen den Helden „nicht mehr die gebratenen Tauben in den Mundfliegen“, wie Jean es formuliert. Das neue, dritte Album SOUNDSO verkaufte sich seit dem Frühjahr deutlich gemächlicher als die beiden Vorgänger, die Konzerte der Tour sind nicht mehr wie selbstverständlich ausverkauft. Es ist eine Entwicklung, die wohl mit dem allgemeinen Schwäche in der Musikindustrie und der wirtschaftlichen – und daher personellen – Schlagseite der Heldenplattenfirma EMI ebenso zusammenhängt wie mit dem dieses Jahr eingetretenen kleinen Medien-Backlash gegen die Helden (Judith: „Die, die schon immer mal sagen wollten, wie scheiße wir sind, haben das dieses Mal mit Inbrunst getan. Wobei ich das Gefühl hatte, dass es dabei auch immer um ,das Phänomen Wir sind Helden’ging, das ja nun wohl endlich durch sei -und damit bin ich total einverstanden! Das ist ja genau das, worauf ich eh nie Bock hatte:,das Phänomen Wir sind Helden‘ zu sein.“) und mit einem schlichten Wechsel der Mode: „Dieser Hype ist weg, das finde ich sehr gut“, sagt Jean. „Die Welle ist gebrochen. Wir werden das, was wir eigentlich immer sein wollten: Eine normale Band, die Platten veröffentlicht und Konzerte für ihre Leute spielt“

Anfangs naturgemäß verunsichert, begreift die Band den Schrumpfungsprozess als gesund und will sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und den bewähnen Instinkten misstrauen. Nach langwieriger differenzierter Diskussion – die streng demokratischen und gletscherflinken Entscheidungsfindungsmodi der sich selbst managenden Band sind legendär – kristallisiert sich knapp der Entschluss gegen die Teilnahme an der Sendung heraus, „an der wir gar nicht viel schlimm finden“, wie Judith betont. „Wir haben nur das Gefiihl, dass wir da jetzt nicht dabei sein möchten.“

Dienstagvormittag. Über Nacht sind die beiden Nightliner (Bandbus und Crewbus; wichtigster Unterschied: ersterer ist Nichtraucherzone, in letzterem ficht ein Vanille-Raumparfüm einen aussichtslosen Kampf gegen den Dunst von 1001 Fluppen) nach Offenbach gerollt. Im Catering, wo seit halb acht die Töpfe dampfen, sitzen Frühstückende. Jean inhaliert Kamille – die Bazillen sitzen nun auch ihm wieder im Hals. In der Garderobe wechseln Pola und Judith Friedrichs Windeln – der liegt nicht, sondern steht vergnügt auf Polas Knien, von ihm gehalten. Es sieht akrobatisch aus und etwas unorthodox, aber: „Sonst keine Chance.“

Der Nachmittag ist voll. Mittags ein Meeting mit der Lektorin vom Fischer-Verlag, bei dem die Helden im März ihre Tourtagebuch/Bandautobiographie veröffentlichen. Danach verteilt Allesmann Danny seine Schäfchen auf diverse Interviewerinnen. Zum Soundcheck sieht man sich wieder. Die Soundchecks der Helden sind eine interessant-unterhaltsame Mischung aus ernsthaftem Arbeiten und angeregtem Geblödel. Und weil die Band wegen ihrer In-Ear-Monitor-Ohrstöpsel nur über die Anlage kommunizieren kann, sind sie für Zaungäste gut zu verfolgen – wenn auch bisweilen kryptisch. Jean: „Ist das eine neue Snare?“ Pola: „Ja, die alte ist kaputt.“ Jean: „Kann das sein, dass die alte mehr Bauch hatte?“ Pola:, Ja, die hier ist so’n bisschen butterig.“ Danach butterige Brote im Catering. „Wo ist eigentlich mein Flugzeug?“, fragt Jean. Rockstar Tourette ist mit seinem zweimotorigen Privatflieger da, aber jeder darf ihn mal benutzen. Fußball interessiert heute keinen, das fernsteuerbare Styroporspielzeug – idealer Einsatzort: große Hallen – ist der neue Renner bei der Crew. Das Konzert wird toll. Fein. Mehr kann der Reporter nicht berichten, weil die später in der Woche noch folgenden es in der Erinnerung überdecken.

Mittwoch. Offday. Konzertfrei. Zum allgemeinen Krafttanken ist die Entourage in einem Hotel an einem See irgendwo außerhalb Münsters eingemietet; während sich in den Tagungsräumen diverse Unternehmensabteilungen irgendwelchen Incentives unterwerfen, zieht sich die Band in ihre Zimmer zurück und ist den ganzen Tag kaum sichtbar. Mark erklärt das winterschläfrige Gebaren: „Der Schlaf im Nightliner ist nicht vergleichbar mit dem in einem richtigen Bett. Und in dem Moment, wenn ich abends in meine Koje steige und den Vorhang hinter mir zuziehe, spüre ich richtig, dass ich den ganzen Tag keine Tür hinter mir geschlossen habe. Man hat keine Rückzugsräume. Da ist es dann extrem angenehm, sich am Offday im Hotel richtig lähmen zu lassen. Du bist in deinem Zimmer, hast die Tür hinter dir zugedrückt – super. Ich bin oft richtig erleichtert, wenn es auch noch regnet. Dann steht man nicht so als Lahmarsch da, wenn man im Zimmer bleibt.“ Lars sitzt mit Kopfhörer vorm Laptop auf dem Balkon und arbeitet an Musik für sein Jazzquartett, Christoph und Jean schreiben, wie man später erfährt, ein Liedfragment für einen kommenden „Welthit“ von Christophs swingender Double High C Bigband (die mit einem Cover von „Aurelie“ auf der neuen Helden-Single „Kaputt“ zu hören ist). Vereinzelt wird um den See spaziert, sonst sieht man nicht viel. Die Flugbegeisterten aus der Crew sind in die Stadt gefahren, einkaufen. Am späten Nachmittag surrt es von der Terrasse herauf. Danny, Basi und Mischer Teichi unterziehen ihre neuen Modellhubschrauber Jungfernflügen; in weiser Voraussicht wurden größere Mengen Ersatzrotorblätter mitbesorgt.

Donnerstag. Some kind of Münster. Hinter einer Schiebewand im Backstage der Halle Münsterland steht – und wer hätte das erwartet auf einer Wir-sind-Helden-Tour? – offenbar das Tor zur Hölle offen; jedenfalls legt tausendstimmiges Kreischen und Jaulen, das dahinter hervordringt, diesen Gedanken nahe. Jemand klärt den Grusel auf: Hinter der Wand warten in einer Nebenhalle 6.000 lärmende Rassehühner und -hähne auf die 43. Westdeutsche Junggefiügelschau. Wie zum Beweis, dass auch und gerade bei einer Rocktour Klischees nicht gelten, kommt man ins Gespräch mit Hammer, einem der Truckfahrer. Hammer ist ein Gebirge von Mann, Gesicht wie aus Granit gehauen, mächtiger Bart, Bärenstimme à la Harry Rowohlt. Und er züchtet Hühner. Und zwar, wenn man so will, Indie-Hühner. Er berichtet vom Vorwerk-Huhn, einer alten Rasse, die fast ausstarb, als sich die Gefügelwirtschaft verindustrialisierte und auf Schnellmastgeflügel und Eierlegemonster konzentrierte. Liebhabern wie Hammer ist es zu danken, dass das nachhaltige Vorwerk-Huhn wieder auf hiesigen Wiesen pickt. Man denkt an die bröselnden Plattenfirmen und die Konzerne, von denen sie aufgekauft werden, und die Schnellmast- und Eierlegebands, auf die sich deren Augenmerk in Zukunft noch mehr richten wird. Und wie viel mehr Kunststückchen und Liebhaberei es brauchen wird, in diesem Spiel künftig Eigenständigkeit zu behaupten und den Spaß nicht zu verlieren – ob man nun Fan von Bands ist oder in einer spielt.

Zum Soundcheck-Auftakt gibt’s Stevie Wonders „Happy Birthday“, als Ständchen für Geburtstagskind Daniel Zeinoun, der – ganz Jazzprofi – einstimmt, bevor ihm klarwird, dass er hier mal nur zuhören darf. Wie jeden Nachmittag werden einige Songs durchprobiert, heute auch das lang nicht gehörte „Heldenzeit“ in einer drahtigen überarbeiteten Version.

Die Helden Sind Übermütig,der Ruhetag zeigt Wirkung. In der Garderobe überbieten sich Jean, Mark und Pola mit James-Hetneld-Imitationen, „Hush little bäbäääy, don’t say et wööörd-aah!“ „Meine Schminke ist voll Spielplatzsand!“, ruft Judith. Modellhubschrauber schwirren. Die Münsteraner sind ein dankbares Publikum, haben sich von der französischen Vorband One-Two aufheizen lassen und gehen vom ersten Song an – „Panik“ – ab wie die, nun, Hühnchen. Die Show flutscht, die Hits purzeln, die Helden spielen die Qualitäten einer famosen Popband aus: handwerkliche Kreditwürdigkeit bar perfektionistischer Aalglätte trifft einen bunten Strauß von Ohrwürmern bei Unterbeweisstellung ausgeprägter Herzensbildung unter zeitweiser humoriger Brechung. Die jeden Abend spontan variierten Showelemente – Judiths Tänzchen mit Jean bei „Gekommen um zu bleiben“, Marks Mundharmonika-Call&Response-Duell mit den Bläsern bei „Aurelie“, das Publikum-Spielchen beim neuen heimlichen Hit „Die Konkurrenz“ -, zünden besser als die Abende davor. Und bei „Denkmal“ zupft sich Judith plötzlich die Monitorhörer aus den Ohren, verkündet, sie werde jetzt etwas tun, was sie lange nicht gemacht habe „Ich geh schwimmen!“ – legt sich rücklings auf die wogenden Zuschauerarme und lässt sich davontragen. Später zeigt sich Daniel interessiert: Er habe das noch nie gemacht, wie sich das anfühle? Schon ist er verhaftet, Abwinken zwecklos: „Da kommste morgen einfach mit.“

Freitag. Köln, Palladium. Birnen-Karamelkuchen. Quiche. Bruschetten. Ingwerröllchen. Avocado- und Obstsalate. Möhrensuppe. Rindsrouladen mit Rotkraut und Klößen. Grillfischteller mit Reis und grünen Bohnen. Indisches Curry mit Tofu und Reis. Pfirsichcreme. Schokobananen. Judith Holofernes zitiert – das passiert nicht oft – Charlton Heston: „Aus meinen kalten toten Händen wird man diesen Cateringservice reißen müssen!“ Die Helden waren auf Termin bei Radio 1Live und kommen kurz vorm Soundcheck zurück. „Bitte fertig geschminkt zum Soundcheck, danach ist gleich MTV“, weist Danny Engel sanft, aber bestimmt an. Und danach gleich noch ein Meeting mit Plattenfirma und Musikverlag. Ein proppenvoller Tag, aber keiner ist genervt. Das Palladium ist ausverkauft, um halb sieben sind die ersten Fans im Laufschritt in die erste Reihe gestürmt.

Das Konzert wird der euphorische Höhepunkt der Woche, einer dieser „extrem beglückenden“ Abende, die Judith gerade seit Abflauen des „Phänomens Wir sind Helden“ vermehrt erlebt. „Bei allem, was gerade mühsamer ist als in den letzten Jahren“, sagte sie gestern Nacht im Bus, „habe ich definitiv wieder mehr Spaß. Jahrelang wurde alles so heißgekocht immer der nächstgrößere, wichtigere Auftritt. Jetzt ist da diese Beruhigung. Und ich merke, dass so Fluchtphantasien, die ich zwischendurch hatte – darf ich bitte zwei Monate auf eine einsame Insel?‘ -ganz leise geworden sind.“ Oder Pola: „Es ist angenehm, dass dieses Höher-Schneller-Weiter weg ist. Das Ganze hatte ja rauschhafte Züge und hat schon auch gekickt dem kann man sich ja nicht entziehen. Aber es drückte viel von dem zur Seite, weswegen man das ja eigentlich macht. Jetzt kommt es zurück zum Wesentlichen.“ Trotzdem muss heute Abend etwas getoppt werden: Bei „Müssen nur wollen“ drängt die aufgekratzte Sängerin Trompeter Daniel – der sich erst ziert, dann begeistert ist – zum gemeinsamen Crowdsurfen. Aber weil das noch nicht reicht, um dem Überschwang des Abends Rechnung zu tragen, fällt bei „Denkmal“ die überraschende executive decision der Frontfrau: Alle vier Helden rein! „This is the best Beruf in the World!“, strahlt sie dem Reporter nach der Show entgegen. Es sieht ganz danach aus.

Zwei Wochen Später. Die Helden machen auf dem letzten Teil ihrer Herbsttour (Fortsetzung im kommenden Frühjahr; s. Seite 126) in München Station. „Ich bin erkältet!“, begrüßt uns Mark Tavassol stolz. Er habe gestern in Wien mittels eines Abstrich-Selbsttests eine „virale Pharyngitis“ attestiert. Jean erläutert, wie das geht mit dem Kranksein auf Tour: Wer morgens als erster dramatisch anmelde „Mir geht’s nicht gut, ich bin nicht sicher, ob wir heute spielen können“, der könne dann nachmittags tapfer verkünden: „Ich glaube, es wird gehen.“ Und wie es geht. Die Show ist von technischen Pannen geplagt, nährt aber insofern die These, dass so etwas beim richtigen Handling sehr zur Steigerung der Stimmung beitragen kann – außer bei Lichtmann Lutz, der zerknirscht ist darüber, dass seine liebevoll durchkonzipierte Lightshow sich mittendrin aufhängt. Zum rauschenden Finale geht’s dann zum kollektiven Publikumsschwimmen. „Zwischendurch hatte ich das Geftlhl, es wird brenzlig“, erzählt Judith danach, „weil wir so viele auf einmal waren.“ Aber natürlich hat es locker gereicht, sie alle sicher und ohne Abstürze zurück auf die Bühne zu bringen, wo sie hingehören. Und wenn das mal keine gute Nachricht ist. So von der Symbolik her. Und überhaupt. >»www. wirsindhelden.com —