Feist: The Way to Blue


Zwischen protestantischem Wehklagen und schon zerbeulten Songs mit spielerischer Lust am Krachmachen: Leslie Feist trotzt der Industriehallenkühle.

Es ist schon erstaunlich, wer sich alles vor der Bühne versammelt hat. Da steht der klassische Indie-Hörer, dem die Sängerin des Abends vor allem aus anderen Bands, zum Beispiel Broken Social Scene, bekannt ist. Da steht sicher auch das eine oder andere Lehrer-Pärchen, freudig erregt darüber, dass es neun Uhr abends und eben nicht neun Uhr morgens ist. Und da steht ganz bestimmt auch die Abonnentin von Frauenmagazinen, weil es vor allem Frauenmagazine waren, die in diesem Jahr so tüchtig wie reflexartig auf die Emotionstube gedrückt haben und dem Album The Reminder wahlweise „Betörendes“, „Flirrendes“ oder „Zerbrechlichkeit“ attestiert haben. Und dann bewirbt der Computer-Hersteller „Apple“ zurzeit ja auch noch eines seiner Produkte mit einem Song von The Reminder; diese Form der Öffentlichkeitswirkung darf man auch keineswegs unterschätzen.

Leslie Feist heißt die Künstlerin des Abends, sie hat das „E-Werk“ bestens gefüllt – und allem Ohrenschein nach zunächst nicht die Bohne Lust auf „Zerbrechlichkeit“. Es rumpumpelt und schengdengelt und knarzt ganz tüchtig, als Feist mit ihrer sehr guten Band und „When I Was A Young Girl“ das Konzert eröffnet. So brüchig wie funky ist dabei die Stimme der Kanadierin; Märchenprinzessinnen wirken noch einmal ungleich interessanter, wenn sie ihrer Schönheit auch mal eine Portion Sprödigkeit spendieren und mitunter ausgesprochen nassforsch daherkommen. Zu diesem Gebaren ist die Bühne mal in rotes, mal in blaues Schangelschuppenschummerlicht getaucht, was toll aussieht. Toll ist auch, wenn die über der Bühne hängende Glühbirnengirlande in Gang gesetzt wird, und noch toller ist, wenn Feist mit kecken Songs zeigt, wie man die Partygirlande an allen vier Wänden gleichzeitig festtackert. „My Moon My Man“ ist flirrender (ups, da ist es doch passiert) Tanzbodenpop, zu dem man aber auch ganz prima am Rande des Tanzbodens rumstehen kann, und „I Feel It All“ gerät zur modernen, beatbetonten Barmusik, zu der man zünftig mit dem Hosenboden über den Hocker schubbern kann – oder eben doch den Hocker verlässt, idealerweise mit einem beherzten Sprung auf den Bewegungsboden.

So weit, so kanadisch gekonnt. Mindestens ambivalent wird die Angelegenheit aber, wenn Feist – und das tut sie an diesem Abend ein ums andere Mal – die Lautstärke dämpft und den emotionalen Dimmer hochfährt. Bei Liedern wie „So Sorry“ wird das Gefühlige dabei allzu schnell gefühlsduselig, die melancholischen Momente laufen aus dem Ruder, die Stimme von Leslie Feist frohlockt, wehklagt und tiriliert zugleich. Dergestalt, dass man leider gar nicht weiß, vor welchem Gedanken man zuerst Reißaus nehmen möchte: Ist es der an einen evangelischen Kirchentag, bei dem sich junge Christen gegenseitig am Wickelrock und am Hosenbund packen? Ist es der an eine Esoterikmesse, auf der gewaltfrei geklöppelte Traumfänger feilgeboten werden? Ist es der Gedanke an verfolgte Buckelwale, die sich ein Tränchen verdrücken? Man findet es auf die Schnelle nicht heraus, und der Impuls, aus reiner Notwehr etwas barfuß in den Hallenboden zu tanzen, verflüchtigt sich dann auch so schnell, wie er gekommen ist.

Leslie Feists Stimme mag in ihren besten Momenten in der Lage sein, akustisch karge Landschaften in die Welt zu skizzieren – in der Ödnis einer ehemaligen Industriehalle aber will das nicht so recht funktionieren. Mit „Sealion“ wird’s dann wieder besser. In dem Lied, einer rauen Adaption des Nina-Simone-Songs „Sea Line Woman“, dampft und ackert und rackert der Blues, und als sie dann noch „Intuition“ singt, sind das Schangelschuppenschummerlicht und das Rot und das Blau keine Farben mehr. Sie sind ein schöner Zustand.

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