Ach Du liebe Güte!
Wo andere Bands für traditionellen Unterbau ihrer Musik auf Country oder Blues zugreifen, zapfen die Londoner Oi Va Voi für ihren Pop osteuropäische Klezmermusik an.
Amerika hat einen schwarzen Präsidenten-und die Welt staunt. England hat eine schwarze Klezmersängerin – und Amerika staunt. Zwar ist New York die Welthauptstadt der Klezmer-Avantgarde, aber nur in England scheint sich diese Musik von konventionellen Zwängen befreien zu können. Die Londoner Band Oi Va Voi (jiddisch für „Meine Güte!“), unterwegs zwischen Rock/Elektro-Experimenten und osteuropäischjüdischer Traditionsmusik, hat bereits zwei Sängerinnen verschlissen (die erste war eine gewisse K.T. Tunstall), doch erst auf ihrem dritten Album TRAVELLING THK FACE OF THE «LOBE fand sie mit der im R&B sozialisierten Bridgette Amofah die perfekte Synthese aus gestern und heute. Einmal mehr reißen die Klezpop-Guenlieros die jiddische Tradition aus dem Shtetl und transformieren sie in einen tanzbaren, urbanen Post-Millennium-Mix. Dabei treiben Oi Va Voi ein doppeltes Spiel. Scheint es zunächst, als hätten sie mit ihren Wurzeln gebrochen und sich in den kurzlebigen Pop-Alltag eingeordnet, dringen die sorgfältig versteckten Klezmer-Elemcnte auf TRAVELLING THE FACE… mit der Zeit immer nachdrücklicher ans Ohr. „Bei Oi Va Voi ging’s immer um diesen Ausgleich“, erklärt Drummer Josh Breslaw. „Man muss nur wissen, wie weit man mit einer bestimmten Idee gehen kann. Es ist an uns, die Menschen zum Lachen und Weinen zu bringen, ihnen unsere Geschichte zu erzählen und sie doch nicht zu überfordern.“
Nun zählt die Fähigkeit, im selben Moment Fröhlichkeit und Trauer zu evozieren, seit Jahrhunderten zu den Stärken der Klezmermusik. Oi Va Voi packen das Erbe ihrer osteuropäischen Vorfahren nur in zeitgemäße Tücher. “ Wir sind im selben Sinne Folkloristen wie die Klezmerorim des 19. Jahrhunderts“, so Breslaw. „Wirspielen, was wir fühlen. Sich mit Traditionen zu beschäftigen, bedeutet ja nicht, alles auszublenden, was sonst passiert. Früher war ich HipHop-Drummer, dieser Beat steckt in mir. Du kannst uns eine moderne Folkband nennen, aber wir sind genauso eine Rockband. Nur im Gegensatz zu anderen Gruppen, die auf Blues und Country zurückgreifen, schauen wir nach Osteuropa.“
Oi Va Voi wollen eine ganz normale Pop-Band sein, zu der man tanzt und die man im iPod hört, so bunt und widersprüchlich wie das Leben auf Londons Straßen. Es geht ihnen nicht darum, irgendeinen Kanon zu sprengen, sondern um eine stimulierende Reaktion auf den Alltag. „Es gibt eine großartige Songwriting-Tradition in England. Wir hätten in jede nur denkbare Richtung gehen können, aber wir wollten Songwriter sein und Musik machen, die gehört wird und zugänglich ist. Diese ganze Diskussion, was Klezmer sein darf und was nicht, interessiert uns nicht.“
myspace.com/oivavoi