Auftaktkonzert von Adele in München: Maximal nahbar
Adele erwärmt zum Auftakt ihrer München-Residenz die Herzen ihres nassgeregneten Publikums.
Der Abend beginnt mit Überraschungen von oben und von unten. Als kurz vor acht ein paar Regentropfen aus der riesenhaften Gewitterwolke über dem Pop-up-Stadion an der Münchner Messe herausfallen, sieht es noch so aus, als könnte die Sache vielleicht glimpflich ausgehen. Kurz darauf jedoch geht ein geradezu biblischer Starkregen über der Open-Air-Arena nieder, der jede und jeden unter den 74 000 Menschen im Publikum mit Nachdruck daran erinnert, dass es bei solchen Anlässen immer eine gute Idee ist, auf alle wettertechnischen Eventualitäten vorbereitet zu sein.
Zehn Minuten später ist die ebenso kurze wie heftige Dusche aber auch schon wieder weitestgehend vergessen, denn in der Mitte des kreisrunden Laufstegs im Parkett kündigt sich Großes an. Umhüllt von einer zweiten Wolke, diesmal einer aus Kunstnebel, steigt Adele im marineblauen Abendkleid samt meterlanger Schleppe aus dem Boden hervor. Sie stimmt dabei einen Song an, dessen zerknirschte erste Worte sich eigentlich an jemanden richten, dem sie einst den Laufpass gegeben hat. Nach acht Jahren Bühnenabstinenz auf dem europäischen Festland fügen sie sich jedoch derart gut ins Konzept, dass es scheint, als wären sie eigens für diesen Abend geschrieben worden: „Hello, it’s me / I was wondering if after all these years you’d like to meet“.
Es ist der umjubelte Auftakt einer Konzertreihe, die in ihren gigantomanischen Ausmaßen einem ohnehin gigantomanischen Münchner Konzertsommer (unter anderem mit Auftritten von Ed Sheeran beim Fanfest der EM und zweien von Taylor Swift im Olympiastadion) die Krone aufsetzt. Zehn Adele-Konzerte innerhalb eines Monats in einem eigens errichteten Stadion samt 200 Meter breiter Leinwand im Filmrollendesign, drumherum eine ebenfalls größtenteils in dezenten Schwarztönen gehaltene Adele-World zwischen bayerischer Volksfest-Gemütlichkeit (Riesenrad, Biergarten, Kettenkarussell) und britischen Attraktionen wie dem nachgebauten Pub, in dem für Adele einst alles begann. Oder einer Weinbar, benannt nach ihrem Song „I Drink Wine“: Viel wuchtiger geht es eigentlich nicht.
Kein Wunder also, dass die ohne Schuhe über den regennassen Steg stolzierende Protagonistin des Abends nach diesem ersten „Hello“ erst mal sichtlich befreit durchschnauft, einen Schluck von was auch immer aus ihrem tönernen „Adele Munich“-Bierhumpen nimmt – und sich nach der enormen Energie, die sie mit ihrer tollen achtköpfigen Band samt drei Backingsängerinnen in Form von „Rumour Has It“ ins weite Rund schickt, erst mal die vollgesogene Schleppe abnehmen lässt und mit größtmöglicher Offenherzigkeit davon berichtet, dass sie ihr Lampenfieber wohl doch etwas unterschätzt habe. „Fucking scared“, sei sie zu Beginn gewesen, gesteht Adele.
Dafür jedoch zeigt sie sich im Laufe dieses ersten Konzerts ebenso stimmsicher wie locker und nahbar. Mal rückt sie ein schwules Pärchen in der ersten Reihe für einen erfolgreichen Heiratsantrag ins Rampenlicht, mal bittet sie einen beglückten kleinen Jungen samt seiner großen Schwester für einen kurzen Plausch samt Merchandise-Bescherung auf die Bühne. Mal schießt sie derart ausgiebig Adele-Shirts mit einer T-Shirt-Kanone ins Publikum, dass man sich bei dem sehr deutschen Gedanken ertappt, ob sie dafür nicht lieber den einen oder anderen Song mehr hätte spielen können.
Dabei ist zwischen lebenspraktischen Tipps zum ausdauernden Alkoholgenuss („Trinkt immer ein Glas Wasser dazwischen!“) und sympathischen Kurzsichtigkeits-Offenbarungen („Ich konnte beim EM-Halbfinale in Dortmund kaum den Ball sehen!“) natürlich immer noch genug Zeit für ein feines 20-Stücke-Set quer durch ihre Karriere.
Großes Gefühls- und Überwältigungskino ist das, wenn sich Adele etwa zum satt knallenden R’n’B von „Oh My God“ mit ihren Backingsängerinnen auf den Weg durch die Arena macht. Wenn zu ihrer Debüt-Nummer „Hometown Glory“ plötzlich ein auf den kompletten Laufsteg verteiltes Streichorchester aus dem Boden gefahren kommt, das im Folgenden sowohl den erlesenen Schmacht von „Love In The Dark“ als auch den gravitätischen Bond-Song „Skyfall“ und das hymnische „Fire To The Rain“ veredelt. Oder wenn sie sich als minimalistisches Kontrastprogramm dazu in „All I Ask“ allein am Grand Piano begleitet, mit einer Verve in den bittersüßen Song hineinwirft, die in dieser fulminant ausdrucksstarken Soulfulness tatsächlich nur wenige entfalten können.
Tränen bei Adele in München
Keine Frage, die Verwandlung des direkt aus dem eigenen Leben gezapften Schmerzes zwischen Trennung und Hinterhersehnen in große Songwriting-Kunst ist immer noch ihre Paradedisziplin. Nie wird das deutlicher als sie kurz vor Schluss mit „Someone Like You“ komplett aufgelöst einen Song ankündigt, den sie in einer Phase schwerster Depression geschrieben habe, der ihr live nun aber so viel Freude bereite wie kaum ein anderer.
Und so endet denn auch dieses wunderbare erste von zehn München-Konzerten genau dort: im schmerzvollen Hinterherspüren vergangener Tage des Glücks, das Adele in „Someone Like You“ gleichermaßen edel verdichtet wie im finalen Gospel-Kracher „Rolling In The Deep“. „We could’ve had it all“, singt sie darin, während ihre Band noch einmal alles auffährt, was sie an Intensität zu bieten hat, und gleichzeitig ein Feuerwerk über der Arena aufsteigt. Der Schmerz der verpassten Möglichkeit, selten erklang er schöner und opulenter als bei diesem fulminanten Auftakt der Münchner Adele-Feiertage.