Kolumne

Aidas Popkolumne: Don’t Put Your Life In the Hand of a Rock’n’Roll Band


Hear ME Out: Überall Reunions – im Pop wie in der Politik. Und worum geht’s da wirklich? Um falsche Nostalgie.

Ganz ehrlich, es fühlt sich dieser Tage ziemlich beknackt an, über Pop zu schreiben, wenn in Thüringen und Sachen fröhlich auf den Ruinen der sogenannten „Brandmauer“ Polka getanzt wird – ausschließlich zur dritten Strophe des Deutschlandlieds. Aber was hilft’s und was soll’s, wir wissen es ja eigentlich alles und es ist zigfach von der Wissenschaft nachgewiesen: Wenn Parteien der angeblichen Mitte ihre Politik vom extremen Rand diktieren lassen, gewinnt der extreme Rand, weil Menschen immer das Original wählen. In diesem Land sind wir ohne Einwanderung aufgeschmissen, insbesondere in den Bundesländern, die stark von Bevölkerungsrückgang betroffen sind, wie etwa das schöne Thüringen, und so weiter und so fort. Muss man alles nicht wiederholen, wissen wir ja alles. Da kann man auch nix mehr kommentieren, außer: Alles schon erforscht, alles keine Überraschung, alles schon mal da gewesen.

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Also schreibe ich lieber über andere Dinge, die schon mal da gewesen sind: Reunions. Und ich meine nicht die potentiell bevorstehende Reunion von rechtsnationalem Menschenhass und Deutschland, sondern musikalische. Wenn wir schon Premiumplätze zum langsamen Zerfall demokratischer Normen haben, dann aber bitte wenigstens mit einer Prise Pop, um uns von der Beschissenheit der Dinge abzulenken. Ich bin ja sowieso kein Fan von Reunions jeglicher Art – ob nun politische oder musikalische. Wozu wieder das Alte aufwärmen, was aus guten Gründen einst beendet wurde? Und wenn man es unbedingt will: Warum dann auch so richtig in den Sand setzen?

Beispiel 1: Oasis. Wir wussten alle, dass diese Reunion irgendwann wieder kommen wird. Spätestens, wenn es darum geht, die Rentenkasse noch ein letztes Mal ordentlich zu befüllen. Und genauso gut wusste ich, dass ich mich als absoluter Oasis-Ultra natürlich in die Onlineschlange stellen werde, wenn es so weit sein wird. So ist es dann auch gekommen: Lotterie für Fans, um vorher an Tickets zu kommen (war noch nie beim Lotto ein Glückskind), dann offener Verkauf für alle. Hier kam dann eine Überraschung nach der anderen: Das größte Ticketunternehmen der Welt scheiterte daran, ein funktionierendes Onlinesystem vorzulegen. Könnte man erwarten, zumal es ja schon bei Taylor Swift zum Desaster kam und dann eigentlich Besserung gelobt wurde, aber nein. Und Überraschung zwei: Das sogenannte „dynamic pricing“, eine neue Antimarketingidee direkt aus der Hölle, bei der Tickets aufgrund von Nachfrage für ein Vielfaches ihres eigentlichen Preises verkauft werden. Künstler*innen können eigentlich verlangen, dass „dynamic pricing“ ausgeschaltet wird. Aber Oasis als die Arbeiterklassenheroes, als die sie zu Fame und Fortune gekommen sind, haben daran nicht gedacht. Das sei ja gar nicht in ihrem Sinne gewesen: „Wir haben das unserem Management und unseren Promotern überlassen“, sagte die Band danach. Komisch, dass die ihre Klienten anscheinend so schlecht kennen, dass sie nicht in deren Sinne gehandelt haben, als es darauf ankam.

Aidas Popkolumne: Don't let these fools freeze you up

Beispiel 2: Linkin Park. Nach dem Tod von Chester Bennington lag die Band erst einmal auf Eis. Nachvollziehbar. Mike Shinoda verbrachte seine Tage damit, Leuten zu sagen, dass er auf keinen Fall mit einem Hologramm-Chester auf der Bühne stehen würde (puh!), die alten Alben neu zu veröffentlichen, mit Fans zusammen während der Pandemie Musik zu machen und NFTs (ugh). Und anscheinend damit, seit 2019 still und heimlich mit dem Rest der Band (also außer Drummer Rob Bourdon) und der Vokalistin Emily Armstrong zusammen eine neue Idee von Linkin Park zu entwerfen, an dessen Ende das kommende Album mit dem offensichtlich sehr passenden Namen FROM ZERO stehen soll. Und sagen wir mal so: Musiker*innen hatten schon dümmere Ideen. Mit einer Frau zusammenzuarbeiten und eine neue Richtung einzuschlagen, die aber die DNA der Band in ihrer alten Form beibehält, hätte die unmögliche Aufgabe, eine Brücke zwischen Respekt, Healing und Nostalgie zu schlagen, ganz gut lösen können.

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Hätte – denn anscheinend haben die Band und ihr Team nichts von Google gehört: Emily Armstrong wurde in eine Scientology-Familie hineingeboren und ließ sich zumindest vor ein paar Jahren auf Events der, eh, interessanten Gruppe fotografieren. Was schon allein für arg hochgezogene Augenbrauen gesorgt hätte, aber damit nicht genug: Sie hatte ihren alten Scientology-Kumpel, den „That 70s Show“-Schauspieler Danny Masterson, bei seinem Verfahren wegen Vergewaltigung (an dessen Ende er schuldig gesprochen wurde) unterstützt, indem sie bei seinem ersten Gerichtstag dabei war. Das hätte man beides vorher wissen können, wenn man denn ihren Namen mal in eine Suchmaschine eingegeben hätte, um dann erklärende Statements vorzubereiten. Aber auf die Idee kamen auch die Profis in und um Linkin Park nicht. Stattdessen fanden das die Fans quasi live während des gestreamten Konzerts heraus, bei dem Armstrong der Weltöffentlichkeit vorgestellt werden sollte. Und die Band? Blieb erst mal still, Armstrong postete am nächsten Tag eine Erklärung, dass sie einen alten Freund an seinem ersten Gerichtstag habe unterstützen wollen, als sie ihn noch für unschuldig hielt, aber dann gemerkt habe, dass sie falsch lag. Zum anderen Vorwurf kam bislang allerdings noch nichts.

HearMEOut: It’s a woman’s world … or is it?

Warum scheitern auch die größten Bands der Welt daran, ihre Reunions sauber durchzuziehen, wenn sie denn anscheinend unbedingt sein müssen? Meine Theorie: Nicht nur die Fans sind nostalgisch und möchten am liebsten in einer rosarot angemalten Idee der Vergangenheit leben, sondern auch die Künstler*innen, die einfach so weitermachen wollen, wie damals in den fetten Jahren. In einer Zeit, in der man der Öffentlichkeit ein bisschen weniger Rechenschaft schuldig war oder sich zumindest eingeredet hat, dass es so sei. Und so sind wir am Ende doch wieder bei der Politik, denn hier treffen sie sich, Rechtsaußenwähler*innen und Reunionhungrige: Die Sehnsucht nach einer nostalgieschönen Vergangenheit, die es so nicht gab und niemals wieder geben wird.