Kolumne

Aidas Popkolumne: For a good time call someone else


Aida ist vom gegenwärtigen Popdiskurs genervt und fragt sich, wo noch Subkultur blühen kann, wenn Monopole im Pop entstehen.

Wisst ihr, was mich aktuell am popkulturellen Diskurs nervt? Es fühlt sich manchmal an, als würde sich Pop immer mehr und mehr monopolisieren. Nichts gegen Beyoncé, auch nichts gegen Taytay, alles gegen Live Nation, aber wenn ich anschaue, worüber in den (noch verbleibenden Musikmedien) so gestritten und diskutiert wird, habe ich manchmal direkt schon keine Lust mehr. Die großen Themen der letzten Woche: Taylor Swifts neues Album und Coachella (oder Lana-Chella?) und vielleicht noch für die, die ein bisschen tiefer graben, die anstehende Klage des US-Justizministeriums gegen den Konzertriesen Live Nation aufgrund mutmaßlicher Kartellbildung. Und natürlich bin ich an der ganzen Sache ja auch Schuld: Ich habe ja auch COWBOY CARTER rezensiert (und für super befunden), über Taylor Swift im Radio und in Podcasts diskutiert, und das Thema Monopolisierung von Konzerten immer wieder thematisiert – auch in dieser Kolumne.

Aidas Popkolumne: I can tell that we are going to be friends

Es gibt ja auch einen guten Grund dafür: Es sind Themen, die viel über unsere Zeit verraten, sie interessieren das Publikum, sie interessieren Popnerds, die diese Artikel lesen und die, die sie schreiben. Und sie werden natürlich geklickt, was in diesen Zeiten eben die relevante Größe ist. Eine Weile kamen weder Publikationen, die sich mit elektronischer Musik beschäftigen, noch in Berlin ansässige Medien drumherum, gefühlt mindestens einmal am Tag irgendetwas über das Berghain zu schreiben. Warum? Es garantierte, dass die Klickzahlen in die Höhe gingen.

IRL können immer weniger Subkulturen überleben

Und ich schreibe ja auch gerne über all diese Sachen, aber manchmal habe ich doch das Gefühl, dass diese Monopole im Pop die Subkultur, whatever that was, komplett überwuchern und ihr das Leben aussaugen. Natürlich kann man diskutieren, was im hyperglobalisierten Internetzeitalter überhaupt als Subkultur zu bewerten ist und ob nicht jede internetbasierte Fandom irgendwie auch eine eigene Subkultur ist und ob es damit heute mehr Subkulturen denn je gibt – aber am Ende des Tages ist es eben so: IRL können immer weniger dieser Subkulturen überleben, weil es an der Kohle mangelt. In der Tasche der Leute, aber auch, weil Konzert-, Festival- und Partytickets immer unerschwinglicher werden, weil es auch für Veranstalter:innen immer schwieriger wird, ihre Events zu finanzieren und damit Orte, an denen Szenen zusammenkommen können, an denen Beziehungen vertieft werden, an denen aus Internetfriends IRL-Friends und -Netzwerke werden können. Auch, wie im Zuge der Berichterstattung über die geplante Kartellklage des US-Justizministeriums herauskam, weil zum Beispiel der größte Ticketverkäufer der Welt etwa Kosten künstlich aufbläst. Nur um mal den Kreis zu schließen.

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Wenn zum Beispiel Konzerttickets teurer und teurer werden und im Zweifelsfall auch immer öfter mit Reisen an einen anderen Ort verbunden sind, leistet man sich nicht mehr mehrere im Monat, sondern vielleicht nur noch eines im halben Jahr oder weniger. Und tendenziell bei den meisten Menschen (zumindest bei denen, die nicht, wie bei den Leser:innen und Autor:innen des Musikexpress, Popkultur das bestimmende Thema ihres Lebens haben) eben jenes, bei dem suggeriert wird: Da musst du dabei gewesen sein.

Aidas Popkolumne: Don’t forget… Cola Boyy

Ich habe vergangenes Jahr den Gründer des Sziget-Festivals gefragt, ob die vielen, vielen Festivals, die in den letzten fünfzehn Jahren aus dem Boden geschossen sind, eigentlich eine große Konkurrenz für ihn darstellen. „Nein“ antwortete er, die wahre Konkurrenz sei es, wenn etwa eine Taylor Swift oder Beyoncé eine Solotour spielen, bei der die Tickets mittlerweile genauso viel kosten wie ein Ticket für eines der großen internationalen Riesenfestivals.

Wie geht es raus aus dem System? Wie kann von Musik gelebt werden?

Natürlich sind diese beeindruckenden Frauen nicht persönlich an dieser Misere schuld. Aber das System, das der Teil der Popindustrie, in dem sie sich bewegen, geschaffen hat, schnürt sehr, sehr vielen zugunsten einiger weniger die Luft ab. Wir sehen das jeden Tag, zum Beispiel, wenn wieder irgendeine Lieblingskünstler:in, die bislang eigentlich so wirkte, als könne sie von ihrer Musik leben, ihre Tour absagen muss, weil nicht genug Tickets verkauft werden, um die explodierenden Kosten zu decken. Oder wenn wir uns die Verteilungsmechanismen der Streaming-Anbieter anschauen, bei denen Artists eher besser abschneiden je größer sie sind – insbesondere nach der neuen Regelung, dass Tracks, die unter 1.000 Streams zählen, kein Geld mehr bekommen.

Aidas Popkolumne: Musicians that break your heart

Natürlich kann man sich aus diesem System auch irgendwie verabschieden: Man kann sich weigern, seine Platte auf den Streaming-Plattformen zugänglich zu machen. So macht es zumindest Cindy Lee, aka Patrick Flegel. Das grandiose neue Album DIAMOND JUBILEE ist nur über YouTube zu hören – oder über eine Geocities-Webseite herunterzuladen, gerne gegen eine Spende. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal an Geocities gedacht habe, aber here we are.

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Deaf Club live

Oder man lebt ein Leben, das so radikal anti ist wie ein in die Luft gestreckter Mittelfinger, wie etwa Punk-Legende Justin Pearson von (unter anderem) The Locust, der auch mit fast fünfzig Jahren immer noch aussieht wie Mitte Zwanzig – ein Leben als Straight-Edger sei Dank.

Aidas Popkolumne: Let’s get out of… the nostalgia loop!

Mit einem seiner vielen Bandprojekte, Deaf Club, spielte er vor wenigen Tagen in Kreuzberg ein Konzert. In einer gerechten Welt wäre es proppenvoll gewesen – in der aktuellen Realität blieb es, ihr könnt es euch denken, auch in dem winzigen Club übersichtlich.

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Wenn er sage, es sei Zeit, alles abzureißen, meine er nicht, irgendein einzelnes Polizeiauto in Brand zu stecken, erklärte er irgendwann auf der Bühne, „I mean the whole system“. Nun, das sieht vielleicht nicht jeder ganz so radikal.

Aidas Popkolumne: Get up, stand up for your right … to go viral?

Aber gerade in der Musikindustrie sollten wir zumindest an diesem System, dass immer mehr Kapital zu immer weniger Playern schiebt, dringend rütteln. „For a good time call someone else“, schrie Justin Pearson die zwei, drei Dutzend Leute im Publikum an. Aber in diesen bad times ist ein bisschen radikaler sein vielleicht eine ganz gute Idee.