Al Jarreau – Der Gewisse Punkt Im Hals
„Meine Musik beinhaltet eine Synthese höchst verschiedener Stil-Elemente. In meiner Musik findet man Soul, Jazz, schwarze Kirchenmusik, ebenso europäische Traditionen,Klassik. Nicht von allem, aber von vielem etwas“, sagt AL Jarreau. Dieser Tatsache und dem Umstand, daß er seine Lieder in einer bislang nur von wenigen perfekt beherrschten Gesangstechnik, dem „Scatting“, darbietet, verdankt der farbige amerikanische Sänger seinen kometenhaften Aufstieg, vornehmlich in Deutschland. Denn obwohl der Stimmkünstler die „Queen of Soul“, Roberta Flack, anläßlich der „Berliner Jazztage“ auf deutschem Boden glatt an die Wand spielte, ist ihm Ähnliches in den USA noch nicht gelungen. Seine mit dem „Deutschen Schallplattenpreis“ ausgezeichnete LP „We Got By“ und deren Nachfolger „Glow“ tauchten in den „Top 100“, der US-Bestsellerliste, nur auf unteren Rängen auf.
Die Amerikaner müßten sich eigentlich die Augen reiben, weil sie den Aufgang eines Superstars verschliefen. Vielleicht dämmert ihnen bald, daß ihre total durchrationalisierte „Popmusikmaschinerie“ heißgelaufen ist. Die „Götterdämmerung“ wäre an sich schon fällig gewesen, als die Superpromotion um Bruce Springsteen aufflog. Die zynische Alchemie, aus einer x-beliebigen Band mit riesigem Werbeaufwand eine „Supergroup“, also aus Scheiße Gold machen zu wollen, ist dabei nur der ärgste Auswuchs eines manischen Perfektionismus, der derzeit den amerikanischen Markt beherrscht und Talenten wie AL Jarreau kaum eine Chance läßt.
Ein Spätzünder
„Ich bin ein Spätzünder, es hat mich viel Zeit gekostet, so zu werden, wie ich heute bin!“ erklärt Jarreau. „28 Jahre dauerte es. Einen ganz anderen Beruf zu haben und in der Woche drei oder vier Nächte in Clubs zu singen, ist hart. Es brauchte eine Menge Zeit, bevor ich merkte, daß ich mit meinem Beruf Schluß machen und nur noch singen sollte. Ich hatte bis dahin eine ganz gute und ernste Sache gemacht. Ich studierte Psychologie und Soziologie, mitten im Zentrum des Aufruhrs, in San Francisco. In seiner Freizeit hörte er Platten von Eric Satie, Nat „King“ Cole und später auch von Miles Davis und Keith Jarret. Schon während seiner High-School-Zeit hatte er bei verschiedenen Jazzbands mitgewirkt, während des Studiums sang er zum Spaß manchmal für das George Duke-Trio. Ende ’68 zog er mit einem Gitarristen nach Los Angeles, um Ernst mit dem Jazz zu machen. Seine Hauptbegabung, das „Scatten , entwickelte er damals autodidaktisch. Er trat vorübergehend kaum noch auf, übte privat aber ständig. Er verfeinerte seine Gesangstechnik und „trainierte einen gewissen Punkt im Hals“. Als er vor zwei Jahren dann seinen Beruf als Sozialhelfer endgültig an den Nagel hing, um in einem Club namens „Cafe Bla Bla“ im Norden Hollywoods aufzutreten, war Al schon ein vollendeter „Scatman“, beherrschte jene Gesangstechnik der freien Stimmimprovisation.
Der abgelegene Club mit etwa fünfzig bis sechzig Sitzplätzen wurde so etwas wie ein Workshop für Al Jarreau. Zusammen mit dem Pianisten Tom Canning und dem Bassisten Paul Stallworth entwickelte er ein Repertoire, das ihm endlich einen Schallplattenvertrag einbrachte. Die Kunde von dem fantastischen Sänger war nämlich von North Hollywood ins benachbarte Burbank gedrungen, und bei Warner Bros. wurde man aufmerksam.
Es war aber auch wirklich außerordentlich, was Al dem Publikum im „Cafe Bla Bla“ allabendlich bot: Obwohl das Songmaterial des Trios zum Teil aus abgedroschenen Schlagerballaden wie „If I Were A Carpenter“ oder dem Dave Brubeck-Oldie „Take Five“ und aus Popstandards wie Elton Johns „Your Song“ und James Taylors „Fire and Rain“ bestand, klangen sie in Al Jarreaus Interpretation so, als hätte man zuvor nur akustische Skizzen der Stücke gehört. In angenehm rauher Tenorstimmlage trug er die bekannten Verszeilen vor, aber als ob dergleichen ganz einfach wäre, füllte er die karge Bass und Klavierbegleitung mit selbsterzeugten Instrumentaleffekten auf; zwischen den Zeilen hörte man auf einmal eine elektrische Gitarre, zischten urplötzlich unsichtbare Sambakugeln, verwandelten sich einzelne Worte in den blechern-klagenden Ton einer gedämpften Trompete. Nicht genug damit: Manchmal brachte es AL fertig, zur eigentlichen Gesangsstimme kontrapunktisch mit Zwerchfell und Kehlkopf ein perkussives Geräusch zu erzeugen, so als ob ein Bongospieler den Gegenrhythmus schlägt.
Al Jarreau live
Als Al Jarreau 1976 zu seinen ersten Konzerten in die Bundesrepublik kam, fand er hier ein Publikum, das seinem Talent stehend Ovationen zollte, jenes Talent uneingeschränkt bewunderte, von dem AL selber fürchtet, es könnte ins „clowneske“ abrutschen. Während Al in den USA nur örtlich begrenzten Erfolg hatte, eroberte er Deutschland im Sturm; zunächst Ende vergangenen Jahres Berlin und Hamburg, jetzt – im Verlauf seiner kleinen Januar-Tournee – den Rest der Republik.
Hört man den farbigen Amerikaner im Konzert, so scheint es manchmal, als sei er nicht von dieser Welt, als besäße er eine übermenschliche Anatomie, der keine natürlichen Grenzen gesetzt sind: So perfekt gelingt es ihm, mit seiner Stimme, mit Kehlkopf und Rachenhöhle, jedes beliebige Instrument nachzuahmen. Vor allem bei seinen selbstgeschriebenen Songs läßt er im Arrangement reichlich Raum für instrumentale Gimmicks. So verblüfft er bei „Lock All The Gates“ mit einer völlig natürlich klingenden Flötenstimme – komplett mit Triller. Auf „Spirit“ quetscht er Congaspiel zwischen die Takte. Bei „We Got By“ schließlich verwandeln sich die Endsilben auf einmal zur Saxophonstimme.
Al’s Modulations- und Phrasierungskünste sind geeignet, die Aussagen der Texte völlig umzustellen. Umkehrungen und ein „Verwirbeln der einzelnen Zeilen lassen manche Texte wie frei assoziiert erscheinen. Sein ausdrucksvolles Mienen- und Gebärdenspiel tun ein übriges, um von den eigentlichen Inhalten seiner Songs gänzlich abzulenken. Das ist schade, da er die poetischen Worte seiner Lieder selber sehr ernst nimmt. So ist für ihn zum Beispiel die Geschichte, die er in „Aladdin’s Lamp“ erzählt (ein Erfolgsmann erkennt die Vergänglichkeit alles Irdischen und seine Tränen lassen eine Rose zu seinen Füßen entspringen), ein biblisches Gleichnis.
Al Jarreau ist ein religiöser Mensch. Das erste Album hat er seinem Vater, dem Pfarrer, gewidmet. Noch ist sein Verhältnis zur eigenen Vergangenheit ungebrochen, singt er voller Gefühl von „my sweet home Milwaukee“. Sein Erfolg in Deutschland ist ihm noch immer unbegreiflich. Er ist geblendet vom Scheinwerferlicht und so gerührt von der spontanen Reaktion des Publikums, daß er sich am liebsten gleich hier niederlassen würde. Aber inzwischen kam ein Anruf auf Amerika. Man ist endlich auch dort hellhörig geworden und möchte den Star aus der Fremde zurückholen.