Al Stewart
Seit etwa einem Jahr hat die internationale Folk-Rock-Szene einen neuen – und immer noch heimlichen – Super star. Fast ein Jahrzehnt beharrlicher Arbeit und noch größerer Geduld war nötig, bis Al Stewart sich beinahe über Nacht in die Hitlisten beiderseits des Atlantik gespült sah. „Year Of The Cat“, sein siebtes Album war 1977 ein beharrlicher Dauerseller, der es gleichermaßen in Holland ( für 100.000 ) wie in den USA ( für 1 Million verkaufter Exemplare) zu Platin brachte. Und auch in der Bundesrepublik kletterte das Album im „Jahr der Katze“ samt pfötchenweich in die LP-Charts, wo es sich monatelang ging uten Positionen einrichtete. Grund genug für den ME, zu einem Ge s präch mit dem als pressescheu g eltenden Künstler nach Amsterdam zu fahren. Was schließlich weiß man hierzulande schon über den sensiblen Son g -Poeten aus dem schottischen Glasgow?
Wieso er solange auf die breite Anerkennung hat warten müssen und wieso ausgerechnet 1977 für ihn den Durchbruch markierte – das gibt auch Al reichliche Rätsel auf. „Ich kann es mir nur so erklären , sinnierte unser überraschend aufgeräumter und launiger Gesprächspartner, „daß meine Musik zehn Jahre nicht im Funk gespielt wurde. Erst seit „Year Of The Cat“ habe ich Funkeinsätze. Die AM-Playlist (in den USA) ist für einen Plattenerfolg nun einmal ungemein wichtig. Bist du drin, ist alles in Ordnung. Bist du’s nicht, verkaufst du auch keine Platten.“
Ein chronisch schlechter Plattenverkäufer
Er war in der Tat ein chronisch schlechter Plattenverkäufer, seit er 1967 den Sprung aus der Londoner Folk-Club-Szene in ein CBS-Aufnahmestudio geschafft hatte. Sechs Alben lang hielt er seiner Firma und seine Firma ihm die Treue. Dann wechselte AI Stewart den Plattenstall – und die RCA kam zu Platin wie die Jungfrau zum Kind. Trostpflaster für die CBS: im „Year Of The Cat“-Sog wurde auch dessen Vorlauf er „Modern Times“ (1975) wieder nach oben geschwemmt, das wohl beste Stewart-Album überhaupt, das von autobiographisch versponnenen Lyrics einer Dichte und Intensität zehrt, wie man sie selbst im Folk-Rock-Lager mit der Lupe suchen muß („Carol“).
Folk und Rock und Lyrics drei Stichworte, zu denen AI selbst einige Anmerkungen macht: „Ich sehe mich nicht als Folksänger, schon gar nicht als einer, der Traditional Folk machen könnte und wollte. Meine Musik ist ganz einfach genauso dem Folk entlehnt, wie sie andererseits dem Rock verbunden ist. Das Eigenartige an der ganzen Musikszene ist ja bloß, daß die Presse dich automatisch in der Sparte ‚Folk‘ verbucht, wenn du mit einer akustischen Gitarre auftrittst. Dieser Kompromißcharakter meiner Musik findet sich sowohl in den einzelnen Stücken wieder wie auch in der Mischung der Platten als Ganzes. Da strebe ich ein Gleichgewicht zwischen Lyrics und Musik an, wobei das eine meinen folk-verwurzelten literarischen Ambitionen und das andere mehr meinen rockorientierten Musikempfindungen entspricht.“
Um die aktuelle Rockszene kümmert Al sich nicht viel
In diesem Musikempfinden ist AI Stewart weithin unabhängig. Er kümmert sich nicht sonderlich viel um die zeitgenössische Rock-Szene. Von allen deutschen Gruppen ist ihm bislang nur Kraftwerk einmal zu Ohren gedrungen, und – wen wundert’s ? – er hat damit „nicht sonderlich viel anfangen können“. Überhaupt ist AI Stewart so voller Skrupel und wohlwollender Zurückhaltung bei seinen Urteilen über andere Musiker und Stile, daß er sogar dem Punk verhalten Beifall zollt, jener Rock-Spielart, die seiner eigenen nun wirklich um mindestens 180 Grad entgegengesetzt ist. Sein sensibles Taktgefühl spiegelt sich auch in seiner Antwort auf die Frage, wie er’s denn mit dem Besuch von Konzerten anderer Interpreten halte: „Ab und zu gehe ich schon mal hin. Die Tubes zum Beispiel fand ich optisch einfach hervorragend. Manfred Mann hat mich dagegen etwas enttäuscht. Ich kenne Manfred noch aus Portsmouth. Er spielte seinerzeit in der Clubszene. Ich habe ihn seit 1966 nicht mehr live gesehen. Nicht, daß er schlecht war; in L.A. war es einfach zu laut. Leider saß ich ziemlich weit vorn und konnte den Saal nicht verlassen: Es macht keinen guten Eindruck, wenn du in Amerika hoch in den Charts stehst und ein Konzert eines Berufskollegen nach dem ersten Stück verläßt. Das sieht sehr hochnäsig aus. Sowas kann man nicht machen…“
Der große Erfolg in den USA hielt Al von Europa fern
Amerika war im letzten Jahr das Hauptarbeitsfeld von Stewart. Sein Erfolg griff von dort aus auf Europa über, ohne daß er sich aus seinen permanenten Tourneeverpflichtungen in den USA hätte lösen und ihm nachreisen können. Im laufenden Jahr aber steht mit Sicherheit auch eine Europatournee an. Zuvor allerdings müssen die Arbeiten an dem mit Spannung erwarteten Nachfolgealbum abgeschlossen werden, mit dessen Veröffentlichung Stewart „im April oder Mai“ rechnet. Er zeichnet es zur Zeit noch mit derselben Crew auf, die auch schon für den „Year Of The Cat“-Erfolg mitverantwortlich gewesen war: Alan Parsons als Produzent, Tim Renwick und Peter White an den Gitarren, Stuart Elliot an den Drums und Peter Wood an den Keyboards. Nur am Baß ist ein Wechsel zu verzeichnen: für George Ford kam Robin Lamble.
Warten wir ab, ob es wieder eine Platte von solch traumwandlerischer Ausgewogenheit wie die unmittelbaren Vorläufer wird. Eine, die trotz warmer, melodischer und ungeheuer eingängiger Songs die gefährliche Grenze zum weinerlichen Weltschmerz des intellektuellen Elfenbeintürmers genausowenig streift wie die belanglos-penetrante Süße des Hit-Aspiranten um jeden Preis. Die Souveränität, mit welcher Stewart diese beiden Klippen bislang umschifft hat, berechtigt zu hochgesteckten Erwartungen.