Allein mit Möwen


Einst auf die Rolle der scheuen Schwierigen abonniert, gab sich PJHarvey zuletzt ungewohnt weltoffen. Macht sie jetzt die Rolle zurück in die Innerlichkeit?

Für die Künstlerin untypisch glamourös war der Ort, an den PJ Harvey den Mann vom Musikmagazin ihres Vertrauens lud, um über ihr neues Album mit dem eigenartigen Titel uh HUH her zu sprechen: das legendäre Rock‘ n’Roll-Hotel Chateau Marmont in Los Angeles.

Mit dem letzten Album und der anschließenden Tournee als Opening Act von 112 schienst du an der Schwelle zum ganz grollen kommerziellen Durchbruch zu stehen. War das ein derart traumatisches Erlebnis, dass du jetzt lieber wieder „schwieriger“ wirst?

Ich schätze, ich habe das wirklich nur gemacht, um etwas auszuprobieren, das ich in der Form noch nicht kannte. Und das gilt ja auch für die letzte Platte – ich habe noch nie etwas so perfekt Produziertes, so Poppiges gemacht. Und das wollte ich einfach mal testen. Eben: Bin ich dazu überhaupt in der Lage? Und das ist es ja, was mich überhaupt erst zum Schreiben motiviert. Nämlich: „Bin ich in der Lage, dies oder das zu tun? Kann ich eine gute Pop-Platte machen,auf der sich starke Songs befinden und die immer noch viel von meiner Persönlichkeit hat?“ Und das wollte ich mit STORIES FROM THE city, stories from the sea erreichen. Auf der anderen Seite war ich aber auch noch nie auf so einer großen Tour wie der von U2. Und das hat mich gereizt. Es war eine große Herausforderung, in einem Stadion vor 35.000 Leuten zu spielen, denen es im Grunde völlig egal ist, ob du da bist oder nicht. Es ging darum rauszukriegen, ob es mir gelingt, trotzdem ein paar Leute soweit zu fesseln, dass sie mir zumindest zuhören.

Wobei du ja schon öfter auf grollen Festivals gespielt hast…

Ja, aber nicht vor Leuten, denen es völlig egal ist, wer du bist oder was du machst. Und genau das war hier der Fall. Da war keiner, um mich zu sehen, und die meisten wussten nicht einmal, wer die Support-Band ist. Eine ziemliche Herausforderung.

Und wie steht es mit der neuen Platte ? Hast du die wieder in Amerika aufgenommen ?

Nein, sie ist nahezu komplett in meinem Haus in Dorchester, England entstanden. Also mit einfachsten Mitteln. Ich meine, ich habe sie selbst produziert und alles alleine eingespielt, außer den Drums. Die meisten Stücke habe ich auf einer 8- und 4-Track-Maschine aufgenommen und bin dann mit den Tapes ins Studio, wo ich das Schlagzeug und ein paar andere Sachen hinzugefügt habe. Das war alles.

Erklärt das die Möwenschreie auf einigen Stücken?

(lacht) Stimmt. Das ist der Soundtrack zu meinem Leben in Dorset. Diese Möwen sind derart laute Kreaturen. Und da ich direkt am Strand wohne, ist das alles, was man den ganzen Tag hört. Und weil diese Platte allein dadurch so intim und persönlich ist, dass ich sie komplett im Alleingang aufgenommen habe, wollte ich darauf auch etwas von meinen täglichen Eindrücken haben – zum Beispiel den Klang der Seemöwen.

Also ein ganz anderer Ansatz als auf dem letzten Album STOKIES FKOM THE CITY, STORIES FKOM THE sea, das im kosmopolitischen Manhattan entstand?

Richtig, aber ich will ja auch immer etwas anderes machen. Und ich habe zum Beispiel noch nie eine Platte gemacht, die nur aus mir bestand,

und bei der sonst kein anderer Musiker oder Produzent beteiligt war. Das wollte ich eigentlich schon immer machen, hatte aber bislang nie genug Selbstvertrauen, um selbst beurteilen zu können, ob das, was ich da tue, auch wirklich gut ist. Erst dadurch, dass ich ein paar Songs für Marianne Faithfull geschrieben und produziert habe, erkannte ich, dass ich den Punkt erreicht hatte, an dem ich das vielleicht doch könnte.

Warum hast du uns für die Interviews nach Los Angeles gebeten, wenn das Album doch in England entstanden ist ?

Ich lebe zur Zeit hauptsächlich hier. Ich besitze seit ungefähr einem Jahr ein Apartment hier, das ich aber noch nicht in dem Maße nutzen konnte, wie ich eigentlich möchte, außerdem ist es in England im Moment noch so lausig kalt. Ich hab‘ mir die Wohnung zugelegt, weil ich ein paar sehr enge Freunde hier habe, die ich öfter sehen möchte. Außerdem bin ich gerne Ausländerin, Fremde in einem fremden Land – du bekommst dann so eine ganz bestimmte Beobachterrolle, die ich sehr inspirierend und interessant finde.

Stimmt es, dass bestimmte Orte einen bestimmten Einfluss auf dein Songwriting haben ? Oder andersrum: Weißt du, wo du hinmusst, um eine ganz bestimmte Wirkung zu erzielen ?

Ja, das tue ich. Mein nächstes großes Ziel ist zum Beispiel, für drei oder vier Monate nach Russland zu gehen, da zu leben und ein Album aufzunehmen. Dabei habe ich keine Vorstellung, was dabei rauskommen könnte, nicht die geringste. Aber ich weiß, dass ich etwas machen würde, was ich sonst nirgendwo auf dieser Welt hinkriege. Und die Vorstellung, an einen Ort zu gehen, der das komplette Gegenteil von Amerika ist, und von dem, was ich gewohnt bin, wäre schon sehr inspirierend. Wer weiß, vielleicht entdecke ich dabei ja Seiten an mir, die ich noch gar nicht kenne und auch nie kennen lernen würde.

Demnach steigern radikale Veränderungen die Kreativität?

Stimmt! Und ich liebe nun mal Veränderungen, mich selbst in immer neue, immer andere Situationen zu bringen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich noch ein zweites Zuhause neben meinem Apartment in England haben wollte. Ganz einfach, weil du dadurch gezwungen wirst, die Dinge mit anderen Augen zu betrachten. Wenn ich Amerika verlasse und zurück nach England fliege, weiß ich die Schönheit und die Ruhe der ländlichen Umgebung erst richtig zu schätzen. Ansonsten habe ich mich nämlich viel zu sehr daran gewöhnt, um sie als etwas Außergewöhnliches zu empfinden.

Ist diese Platte eine Rückkehr zu den düsteren Momenten des Lebens?

Möglicherweise. Ich möchte das Gefühl haben, dass ich mich weiter ausdehne und nach vorne pushe. Von daher mache ich immer das Gegenteil von dem, was ich vorher gemacht habe. Und das gilt auch für dieses Album, das viel härter, dreckiger und tiefgründiger ist als stories.

Gleichzeitig erkenne ich in den Texten und Songs aber auch viel mehr Hoffnung und Schönheit. Von daher fühlt es sich für mich auch nicht wie ein richtig düsteres Album an eher wie eine Auseinandersetzung mit meinen ganz intimen Gefühlen, Wahrnehmungen und Beobachtungen. Ich wollte einfach zurück zu der Simplizität, wie ich sie beim Songschreiben so liebe. Eben ganz auf mich selbstgestellt zu sein, wobei dann immer sehr Blues-orientierte, sehr einfache Musik entsteht. Das ist es, was ich mag. Und alle Abweichungen davon basieren darauf, dass ich mich selbst dazu gezwungen habe. Wie mit dem STORIES-Album.

Bedeutet Songwriting in deinem Fall immer harte Arbeit? Musst du dich quälen?

Für mich ist das etwas total Anstrengendes, wobei ich gerade das Schreiben von Texten als extrem schwierig empfinde. Denn die sollen ja die richtige Balance besitzen, glaubwürdig und bewegend für den Zuhörer sein und ihn regelrechtgefangen nehmen.

Du hast im letzten Sommer an den legendären Dessert-Sessions von Josh Homme (Queens Of The StoneAgel teilgenommen. Wie kam es dazu?

Ich habe mich mit Josh angefreundet, als wir beim „Big Day Out“-Festival in Australien aufgetreten sind. Das war Ende 2001. Er erzählte mir von diesem Projekt, das er scheinbar jedes Jahraufs Neue in Angriff nimmt. Das klang mal nach etwas völlig Anderem, wobei ich eigentlich immer sehr schüchtern und zurückhaltend bin, wenn es darum geht, mit Leuten zu spielen , die ich gar nicht kenne. Und eine Situation, wo du in knapp zehn Tagen eine Platte mit einem Haufen Leute aufnimmst, die du nie zuvor getroffen hast, war etwas, was mich dann doch so fasziniert hat, dass ich es unbedingt ausprobieren wollte. Eben, weil es ja doch ganz gut sein könnte.

Klingt nach einer guten Übung, auch in Sachen Sozialleben …

Stimmt. Es war unglaublich inspirierend zu sehen, wie andere arbeiten. Es war aufregend, wie sie in Zweier- oder Dreiergruppen zusammenzusetzen und einfach nur Songs zu schreiben ohne Plan, ohne Skizzen. Du fängst einfach nur an und sagst dir: „Okay, wir müssen heute einen Song schreiben. Es ist unglaublich, was dabei herauskommen kann. Und nach einer kurzen Anlaufzeit klappte es wie von selbst. Nach zwei oder drei Tagen hatten wir uns so aufeinander eingestellt, dass wir gar nicht mehr aufhören konnten. An einem Tag haben wir sogar sechs Songs hintereinander geschrieben, was einfach Wahnsinn ist. Wir haben uns gegenseitig die besten Ideen an den Kopf geknallt, eine großartige Erfahrung.