Alles Lüge!


Viel wurde im Vorfeld des neuen Klaxons-Albums über dessen Entstehungsgeschichte geschrieben – kaum etwas davon entspricht der Wahrheit.

Die Aufnahmen ihres zweiten Albums SURFING THE VOID müssen die Hölle gewesen sein: Ganze drei Jahre zogen sie sich hin. Der erste Entwurf wurde von der Plattenfirma zurückgewiesen, „zu experimentell“, hieß es. Reihenweise habe die Band Produzenten verschlissen, darunter James Ford (eine Hälfte von Simian Mobile Disco und Produzent des u. a. mit dem Mercury Prize ausgezeichneten Klaxons-Debüts MYTHS OF THE NEAR FUTURE) und Tony Visconti. So steht es bei Wikipedia und folglich überall im Netz.

„Totaler Quatsch“, sagt Sänger Jamie Reynolds. Ihre Plattenfirma habe noch nie Material der Band zurückgewiesen. „Vor zwei Jahren arbeiteten wir an recht experimenteller Musik, die wir eher beiläufig den Leuten vom Label vorspielten. Die fanden das sogar super. Wir hatten aber nie vor, diese Stücke auf unserem zweiten Album zu veröffentlichen. Wir sind eine Popband und als solche wollten wir ein Popalbum machen. Diese schrägen Songs werden allerdings nächstes Jahr als EP erscheinen“, klärt Reynolds auf. Auch habe man sich mit keinem Produzenten überworfen. Mit Tony Visconti habe man sich lediglich einmal zu einem „amazing“ Abendessen in New York getroffen und sich gegenseitig versichert, dass man gern irgendwann mal zusammen arbeiten möchte. Auch die Beziehung zu James Ford sei „nach wie vor die engste Freundschaft auf der Welt“, wie Reynolds sagt. Man müsse ja aber nicht immer mit denselben Menschen arbeiten.

Die Platte wurde nun Ende vergangenen Jahres von Ross Robinson in Los Angeles produziert. Von dem Mann also, den man bei Wikipedia – aber was weiß schon Wikipedia – den „The Godfather of NuMetal“ nennt. Weil er Korn, Slipknot und Limp Bizkit produziert hat. Nicht die erste Wahl also für den Job am Mischpult einer Band, die mit einer Mischung aus Prog-Rock, Madchester-Rave und Indie-Pop vor drei Jahren NuRave „erfunden“ und so auch den Bumms in die Gitarrendisko zurückgeholt hat? Doch. Weil Robinson auch für Sepulturas Genreklassiker ROOTS verantwortlich zeichnet und James Righton, bei Klaxons vorrangig für Keyboards zuständig, dieses Album „als Kind geliebt“ hat. Der noch immer sehr kindlich wirkende Righton – zur Zeit seiner Sepultura-Liebe muss er dem Original-Kinderschokoladenboy (mit Namen übrigens Günter Euringer) sehr ähnlich gesehen haben – nutzt die Gelegenheit, um auch ein paar weit verbreitete Missverständnisse über Robinson aus der Welt zu schaffen: „Ross ist einer der, im positivsten Sinn, uncoolsten Leute überhaupt. Er hört eigentlich nur 70s-Rock, ELO und Elton John – er hat sogar einen Flipper mit Elton-John-Motiv bei sich rumstehen. Außerdem lebt er in Los Angeles, wo sich Möchtegern-Stars auf Partys gegenseitig zuschleimen. Aber Ross hat mit diesem Leben nichts zu tun, er lacht dich aus und nennt dich einen Idioten, wenn du auf eine Party gehst, wo erwartbarerweise auch Stars abhängen.“

Reynolds stimmt in den Lobesreigen ein: „Der perfekte Mann für uns, produziert harten Metal wie kein anderer, sein Herz schlägt für Softrock; so jemand ist offen für all die Spinnereien, die wir auf SURFING THE VOID haben wollten – und das ist ja echt eine versponnene Platte geworden. Aber auch eine von Grund auf positive. Bei uns geht es immer um Positivität.“

Weshalb hat es denn nun aber drei Jahre gedauert, ein zweites Album aufzunehmen? Ist doch untypisch für eine junge, talentierte und spätestens seit dem weltweiten Lob für ihr Debüt hoch motivierte Band? Irgendein dunkles Kapitel muss doch auch diese Geschichte haben. Hat sie aber nicht. „Wir mussten erst mal eine Band werden“, erklärt Righton. „Als wir unseren Plattenvertrag bekamen, gab es uns gerade mal ein paar Monate. Dann standen schon die ersten Gigs an und wir mussten Songs dafür schreiben. Normalerweise wird eine Band unter Vertrag genommen, die schon seit Jahren auf ein Signing wartet und in der Zeit dutzende Songs geschrieben hat. Aus denen kann man dann natürlich rasch viele Alben basteln. Wir aber hatten keinerlei Überschuss. Außerdem waren wir mit dem ersten Album über zweieinhalb Jahre auf Tour.“ Auf dieser Tour spielte die Band übrigens auch schon vor weit über einem Jahr den Song „Echoes“, ihre aktuelle Single, die sich den Vorwurf gefallen lassen muss, ein Rip-off von Delphics „Doubt“ zu sein. „Ich habe in meinem Leben noch keinen Delphic-Song gehört“, sagt Reynolds. Ist es also eher wahrscheinlich, dass sich da eine junge Elektropop-Band wie Delphic bei ihren vermuteten Vorbildern wie Klaxons bedient hat? Righton: „Dazu will ich nichts sagen.“ Reynolds: „Wir sind Klaxons, uns geht es um Positivität.“

Albumkritik S. 101

www.klaxons.net