Almost Famous – über Rockstars und Groupies: Paulas Popwoche im Überblick
… der fünfhundertste Text zur Causa Rammstein.
Ich sag’s wie es ist, ich hab’ gar keinen Bock, diese Kolumne zu schreiben. Und das nicht, weil draußen 31 Grad sind, nicht, weil ich in meiner Dachgeschosswohnung kaum denken kann, nicht, weil ich generell stinkefaul bin. Sondern weil diese ganze alte Scheiße nicht nur nervt, ermüdet, wütend macht, sondern auch schmerzt.
Die „Causa Rammstein“ werdet ihr alle mitbekommen haben, es sei denn ihr habt zwei Wochen digital detox gemacht (wie und von welchem Geld? schreibt mir!). Die zwei Betroffenen, die mit ihrem Gesicht öffentlich über die Row Zero auf Konzerten der Band und die mutmaßlich systematische Rekrutierung junger Frauen für Till Lindemann gesprochen haben, sind die Irin Shelby Lynn und die deutsche YouTuberin Kayla Shyx.
Hier könnt ihr nachlesen, was Lynn sagt.
Und hier anschauen, was Shyx berichtet:
Es gibt aber auch ältere Berichte, die Ähnliches beschreiben, auf Reddit zum Beispiel. Das alles ist also nichts Neues, es hat bisher nur niemanden interessiert. Auch all jene im Umfeld der Band nicht, auch die Veranstalter nicht, die Gäste nicht, alle Leute, die etwas mitbekommen haben müssen. Bis Lynn kam und nicht locker ließ. Mittlerweile haben viele Medien eigene Nachforschungen angestellt, zahlreiche Betroffene haben sich geäußert, die Vorwürfe reichen von Machtmissbrauch bis hin zu Vergewaltigung. Die Band streitet ab, wehrt sich juristisch, lässt ihre dumme Peniskanone seitdem auf Konzerten weg, erfährt viel Kritik, aber schlimmerweise auch viel Solidarität.
Ein paar Medientipps habe ich noch, falls ihr immer noch im Unklaren seid. Rezo hat die Ereignisse gut zusammengefasst und ist der einzige berühmte Mann (den ich mitbekommen habe), der sich nicht feige zurückhält und nicht einfach nur blöde Witze auf dem Nacken der Betroffenen macht, sondern ohne viel Umschweife das, was man Lindemann vorwirft, als das einordnet, was es ist:
Zweitens: Auch wenn ich die Einschätzungen von Jule Lobo zu dem Fall nicht gänzlich teile, finde ich ihre Schilderungen bezüglich der Problematik rund um K.O.-Tropfen sehr wichtig und hilfreich. Sie erzählt dabei von ihren eigenen Erfahrungen damit, es ist ziemlich schwer auszuhalten, aber macht deutlich, wie kompliziert der Umgang damit ist, sowohl persönlich als auch juristisch.
Außerdem gab Shelby Lynn dem Deutschlandfunk ein Interview, bei dem sie erzählte, wie sie sehr wohl versucht hat, sich direkt Hilfe zu suchen (etwas was Betroffenen oft vorgehalten wird) – und an wievielen Stellen das gescheitert ist. Und wie ihr nur noch der Weg in die Öffentlichkeit geholfen hat.
Nun haben sich zwar viele Medien-Menschen entsetzt gezeigt, aber aus der Musikbranche tönt das berühmte, ohrenbetäubende Schweigen. Erstmal abwarten und so. Obwohl das, was definitiv und für alle offenkundig passiert (Row Zero, Aftershowparties mit ausschließlich sehr jungen Frauen), ja schon verurteilenswert wäre, ohne das was „juristisch relevant“ noch dazu kommt. Aber nur wenige sind bereit, sich klar zu positionieren. Die Ärzte sind mal wieder ihren typischen Weg gegangen, mit ihren typischen hängengebliebenen Witzen. Zwar war die Motivation offensichtlich, Lindemann lächerlich zu machen, aber nun ja, es ist mal wieder nur so mittel gelungen.
Abgesehen davon habe ich bisher nur noch eine Positionierung von Madsen dazu gesehen.
Man kann sich schon wundern, wieso all die anderen erfolgreichen Männerbands schweigen und wo die Positionierungen von großen Nummern in der Musikindustrie bleiben. Aber man will auch gar nicht zu viel darüber nachdenken, zu tief ist wahrscheinlich der Abgrund.
Die Frage ist: Wird das Ganze, ohne dass sich grundlegend etwas ändert, überhaupt was bringen?
Wahrscheinlich nicht. Allein der Fall Johnny Depp hat einen riesigen Backlash gebracht, Leute waren erschreckend schnell bereit, Errungenschaften von Metoo über den Haufen zu werfen. Aber sind es überhaupt Errungenschaften, wenn nur ein paar von der Gesellschaft als Monster auserkorene Männer eingeknastet werden (Weinstein, Epstein, R.Kelly) und der Rest einfach so weitermacht?
Dieser Thread zeigt, wo alle „gecancelten“ erfolgreichen Männer aus den vergangenen Jahren gerade so stehen. Tut weh:
Die Rammstein-Konzerte in München in der vergangenen Woche waren ja dann auch ausverkauft, viele Fans solidarisierten sich.
Nach einem der vier Termine ging ein kurzes Video rum, das zeigt, wie sich die Bandmitglieder heulend und lachend umarmen. Die Männer halten zusammen, es darf nicht in Zweifel gestellt werden, ob das alles so richtig war, wie man es gemacht hat. Ein starkes Symbol fürs Patriarchat.
Erschreckend viele Menschen, wahrscheinlich auch aus der Musikbranche, sehen das Problem auch gar nicht, sind seit jeher dem Mythos um „Groupies“ auf den Leim gegangen, profitieren möglicherweise selbst davon. Junge Frauen, die einen anhimmeln? Ist doch geil, ist doch normal? War doch schon immer so.
Ja, das war schon immer so und das ist das Schlimmste. David Bowie, Anthony Kiedis, Jimmy Page, Steven Tyler, Mick Jagger, Iggy Pop und so weiter und so fort – sie alle haben ihre Macht missbraucht und sogar minderjährige Mädchen ausgenutzt. Bis heute lebt der Mythos, dass das für diese Mädchen cool war, manche legen es sogar als Empowerment aus, sexuelle Befreiung und so, die Mädchen hätten ja auch was davon gehabt.
Ich möchte euch unbedingt dieses Video der YouTuberin Bryony Claire empfehlen, die mit dem Mythos der Groupies gründlich aufräumt, die sich die berühmtesten unter ihnen anguckt und die gesellschaftlichen Bedingungen analysiert:
Ich mag nur eines nochmal herausstellen: Ja, die Rolle von Mädchen als Fans von Rockbands war schon immer herausragend und bedeutungsvoll. Das ist unter anderem so, weil wir gelernt haben, dass Fansein unsere Rolle ist. Das ist unser Platz. Wir himmeln an. Wir sind passiv. Wir wollen den Stars gefallen. Die Stars sind die Männer. Wir wollen natürlich cool sein, wir wollen nicht prüde sein, wir wollen mitmachen und die einzige Chance, die wir dafür haben, ist als sexuelles und romantisches Interesse der Männer. Wir können nicht selbst auf dieser Bühne stehen, wir können nicht selber schreiben und diese wunderbare Musik machen. Das ist nicht unser Platz. Wir können nicht frei sein, aber mit den Freien mitziehen. Wir brauchen die männliche Aufmerksamkeit. Wir können uns in der Nähe von Macht aufhalten, wir können sie aber nicht haben. Und andersrum sind Männerbands der geschlossene Raum, da kommt niemand anderes rein. Frauen sind nur zu Besuch, haben nur eine Funktion. Man könnte sonst ja auch mit Frauen befreundet sein, mit ihnen gemeinsam Instrumente lernen und singen, sie als Buddys mit auf Tour nehmen, als Teil der Gruppe. Doch ihr Zweck war seit jeher die Benutzung ihrer Körper.
Viele Groupies sagten später, dass sie in diese Welt wollten, in die Nähe dieser tollen Musik. Sie konnten sich keinen anderen Weg vorstellen, kein anderer Weg wurde ihnen gezeigt. Teilweise wurden sogar Frauen, die selbst Instrumente gespielt haben, die Ambitionen hatten, Musik zu machen, von der Außenwelt als Groupies dargestellt. Es war schlichtweg nicht vorstellbar. Und das ist es teilweise noch immer, es ist immer noch so stark in den Köpfen vieler Leute, wie man aktuell sieht. Deswegen ist Repräsentation so wichtig. Deswegen brauchen wir Sichtbarkeit von Frauen in der Musik – die es natürlich gibt und zwar immer mehr –, deshalb brauchen wir diverse Line-ups auf Festivals, deswegen brauchen wir gemischte Bands, deswegen brauchen wir, dass es endlich mal bei allen das Memo ankommt, dass junge Frauen keine Objekte sind, kein Beiwerk, kein Spielzeug, keine Projektionsfläche und kein Abfallprodukt großer Kunst. Und dass sie, wenn wir alle dabei helfen, die Row Zero bei Rammstein und jede Row Zero der Gesellschaft in Grund und Boden stampfen könnten und die Bühne entern. Dass sie dann den ganzen alten Krams anzünden und auf den Trümmern mit allen eine geile Party feiern könnten. Los geht’s.
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