Als die Helden fliegen lernten


Eine Historie zu 75 Jahren Superhelden-Filmen.

Michael Fassbender in „X-Men“
Michael Fassbender in „X-Men“

Das Ende des Krieges war fast das Ende der Superhelden

Doch lange hielt der erste Ausflug der Superhelden ins Kino nicht an. In den späten 40er-Jahren ebbte das Interesse an den kostümierten Übermenschen sowohl im Comic als auch in den Filmen zunehmend ab. Ein großer Teil der Leserschaft existierte schlichtweg nicht mehr: Die Hunderttausenden amerikanischen Soldaten, die während des Weltkriegs Comichefte als billige und mit Propaganda durchsetzte Einwegunterhaltung geliefert bekamen, waren heimgekehrt. Der Ende der 30er-Jahre noch glühende Patriotismus, den viele der Helden wie Superman und Captain America als kollektive Ausformulierung gesellschaftlicher Werte verkörperten, war im Horror von Front und Krieg erkaltet. Obwohl Superhelden-Comics und die damit verbundenen Kinofilme sich eben nicht ausschließlich an Kinder richteten und im Vergleich zu späteren Inkarnationen der Helden sehr viel dezidierter mit moralischen Ambiguitäten spielten, schienen die Tage der Superhelden gezählt. Von den vielen Titeln, die jede Woche in Großauflage erschienen – alleine Captain Marvel bis zu 1,4 Millionen Hefte pro Monat –, blieben bis Ende der 40er-Jahre nur eine Handvoll übrig.

Marvel’s The Avengers
Marvel’s The Avengers

Mit dem Beginn der 50er-Jahre hatte sich zudem die Konkurrenz fest etabliert. Mit dem Aufstieg des Comicheftes in den Mainstream hatten sich bald neue Genres herausgebildet. Teils übernommen aus ihrer Urform des Comic-Strips, teils neu erschaffen, buhlten Horror, Science-Fiction, Romantik und sogenannte Animal Funnies um die Leserschaft und drängten die Superhelden zunehmend an den Rand. Gleichzeitig zeigte sich ein neuer mächtiger Rivale: Das Fernsehen hielt ab Ende der 40er-Jahre Einzug in amerikanische Haushalte. Von 6.000 Geräten im Jahr 1947 wuchs die Zahl in nur vier Jahren auf 12 Millionen an. Zwar konnten sich Comics in ihrer neuen Vielfalt noch behaupten, der Druck nahm jedoch zu.

Einen mächtigen Schlag, von dem sich das Medium lange Zeit nicht erholen sollte, bekamen die Comics 1954 verpasst. Der Psychologe Fredric Wertham hatte seine hanebüchene Untersuchung zu den schädlichen Einflüssen von Comics auf die Jugend in seinem Buch „Seduction Of The Innocent“ veröffentlicht und war in einer Senatssitzung zum Thema maßgeblicher tonangebend. Das Ergebnis war die Selbstzensur der Co- micindustrie durch den sogenannten Comics Code: Ähnlich dem Hollywood Production Code der 30er-Jahre war hierin festgelegt, was in den bunten Panels der Comichefte abgedruckt werden durfte: Das Gute musste stets triumphieren, Verbrechen durften nur als abscheuliche Angelegenheit dargestellt werden, exzessive Gewalt, Blutvergießen und Nacktheit waren ebenso verboten wie Darstellungen von Vampirismus, Untoten und Werwölfen.

Superhelden im Ghetto: Kindersendungen

Der Comics Code belebte das Superheldengenre plötzlich wieder neu. Nachdem die wilderen Horror- und Science- Fiction-Comics im Zuge des Comics Codes verschwanden, widmeten die Verlage ihre volle Energie den Helden von einst: DC belebte 1956 Helden wie den altehrwürdigen Flash in modernisierter Fassung neu, 1960 folgte die Superheldentruppe „Justice League Of America“, in der sich die erfolgreichsten Charaktere wie Superman, Batman und Wonder Woman zusammenfanden.

Das Interesse an einer filmischen Adaption der Superheldenabenteuer war damit wieder geweckt. Zwar waren mit „Atom Man vs Superman“ (1950) und „Superman and The Mole Man“ (1951) die letzten Vertreter der aussterbenden Form der Kino-Serials zu sehen, im Fernsehen fand Superman jedoch eine neue Heimat. Der Trend, der sich aber bereits in den Comicheften zeigte, setzte sich auch hier fort: Die Superhelden wurden zunehmend in ihr neues Ghetto verbannt – die Kindersendungen. Zwar startete die Serie „Adventures Of Superman“ 1952 mit von der Kritik gelobten und mit minimalem Budget realisierten Spezialeffekten und war für sechs Staffeln ein TV-Großereignis. Doch die schwache Dramaturgie und die naiven Gut-Böse-Zeichnungen der Serie machten deutlich, dass Superman als TV-Superheld sein Publikum nur noch unter den jüngeren Zuschauern fand.

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Startdatum für die nächste Superhelden-Serie auf Netflix bekannt
Die gottgleichen Helden, die ab Ende der Fünfziger neu belebt wurden, bekamen jedoch bald heftige Konkurrenz. Als Reaktion auf den Erfolg von DCs „Justice League“ sollte Autor Stan Lee für seinen Auftraggeber Marvel Comics eine baugleiche Comicreihe rund um ein Superheldenteam ins Leben rufen. Im November 1961 waren die „Fantastic Four“ geboren, die Lee gemeinsam mit Ko-Schöpfer und Zeichner Jack Kirby geschaffen hatte. Der Erfolg war enorm, Lee ersonn weitere neue Superheldentitel wie „Spider-Man“, die „X-Men“, „Hulk“, „Thor“, „Iron Man“, „Daredevil“ und „Doctor Strange“. Die maßgebliche Neuerung, die bis heute in Superhelden-Comics und in den daraus entstandenen Filmen nachhallt, war die Vermenschlichung der Helden. Die überlebensgroßen, charakterlich makellosen und stets strahlenden Helden, die DC in den Jahren zuvor wiederbelebt hatte, schienen im Vergleich zu Marvels glaubwürdigeren Charakteren altbacken und langweilig. Lees Schöpfungen waren weit komplexere und nachvollziehbarere Figuren, die auch ein älteres Publikum ansprachen. Sie mussten sich in ihren Alter Egos mit Alltagsproblemen herumplagen und standen ihren Lesern viel näher: Peter Parker alias Spider-Man war ein schüchterner High School-Nerd, die Fantastic Four traten als Superheldenfamilie mit den damit verbundenen Streitigkeiten und Problemen auf, Bruce Banner alias der Hulk wurde von Selbstzweifeln zerfressen, Iron Man plagten Alkoholprobleme, die X-Men waren Diskriminierung ausgesetzt.

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Fox
Paramount Pictures, Marvel Studios / Walt Disney