ME-Helden

Ambition, Baby: Warum U2 die letzte wichtige Rockband sind


Ohne Witz: U2 sind die letzte wichtige Rockband. In den 80er-Jahren zeigten sich die Iren lernwillig und eroberten die Welt. In den 90ern füllten sie die Idee der Postmoderne mit Leben. Dass die Band seitdem eher langweilt? Komplett egal. Unsere ME-Helden-Story aus der Ausgabe 06/2020.

„Bono Vox“, die schöne Stimme

Nach diesem Ereignis sind U2 eine andere Band. Jeder kennt sie. Vor allem kennt jeder Bono, der mehr will als der Popstar Paul Young, der vor U2 auf der Bühne in Wembley steht, oder als der Mucker Mark Knopfler, der mit seinen Dire Straits folgt. Bono begreift Rockmusik als sozialpolitische Bewegung. Und er nimmt die Rolle des Verkünders an, die ihm zugeteilt wird. Er, der eigentlich Paul Hewson heißt, in der Schule aber schon „Bono Vox“ genannt wird, die „schöne Stimme“.

U2 live in der U2: Bono wird in Berlin zum Straßenmusiker

Was man dabei nicht vergessen darf: Bono kann sich auf die drei jungen Männer an seiner Seite verlassen, die seinen Weg loyal mitgehen: The Edge, als Gitarrist ein Großer seines Fachs, dessen Spiel später unzählige Indie-Bands beeinflusst, weil es ihm meistens gelingt, Fläche und Dynamik zu verbinden. Adam Clayton, der Bassist. Und Larry Mullen Jr., der Schlagzeuger, der als 14 Jahre alter Schüler einer katholischen Lehranstalt in Dublin die Sache ins Rollen bringt, als er 1976 am Schwarzen Brett einen Aushang anpinnt: „Suche Musiker für eine neue Band“.

Eine Band ohne Tradition

Zehn Jahre später befinden sich diese Musiker auf einem guten Weg, zur größten Band der Welt zu werden. Der „Rolling Stone“ kürt U2 1986 zur „Band of the 80s“, nicht unbedingt, weil sie die beste ist, sondern weil sie für sehr viele Leute bedeutend ist – „und sie vielleicht sogar die einzige Band ist, die überhaupt noch eine Bedeutung besitzt“. Es zählt damals zu Bonos großen Stärken, dass er die Position seiner Gruppe gut einzuschätzen vermag. Sehr klug ist zum Beispiel seine Feststellung, U2 sei „eine Band ohne Tradition“. Was die vier kannten, als sie zusammenfanden, waren die Bands, über die in den englischen Zeitschriften zu lesen war: der Punk von den Buzzcocks und Undertones, Penetration und Skids, der Postpunk von Joy Division und Wire, dazu noch ein wenig Extra-Terrestrisches aus Deutschland, Kraftwerk und Neu!.

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Wenig bis keine Ahnung haben U2 von den Ursprüngen des Rock’n’Roll, von Blues, Gospel, Soul und Country. Dieses Unwissen spielt keine Rolle, als die Band noch unter sich ist und New-Wave-Rock spielt. Doch nun sind sie Superstars, hängen mit ihrem Landsmann Van Morrison herum, treffen auf Bob Dylan und Keith Richards. Letzterem gesteht Bono, nicht nur keine Ahnung von Blues zu haben, sondern sich ihm sogar zu verweigern, weil die Blues-Musiker, die er kenne, immer wieder die gleichen Akkorde durchnudeln würden. Keith Richards denkt kurz darüber nach, ob er diesen Iren auslachen oder bemitleiden soll, dann entscheidet er sich dafür, ihm die Legenden nahe zu bringen, Leute wie John Lee Hooker und Robert Johnson. Bono sagt später, diese Lehrstunde habe ihn umgehauen.

Nach der Pause ist alles anders

U2 beginnen, sich die Geschichte anzueignen. Sie kappen die Linie zum Postpunk, entwickeln sich zu einer Traditional-Rock-Band, mit Fokus auf das „Heartland“, die Vereinigten Staaten von Amerika. Es entsteht das Album THE JOSHUA TREE, das mit drei Liedern beginnt, die jeder kennt: „Where The Streets Have No Name“, „I S till Haven’t Found What I’m Looking For“, „With Or Without You“ – wie viele Rockalben gibt es, die ein solches Eröffnungstrio zu bieten haben? Wieder produzieren Brian Eno und Daniel Lanois, die Platte verkauft sich 25 Millionen Mal. U2 wagen den nächsten Schritt, konzipieren den Live/Studio-Hybrid RATTLE & HUM, auf dem sie Helden wie Lennon/McCartney, Hendrix, Dylan und B.B. King Tribut zollen, aber auch eigene Songs einweben.

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Die Platte wirkt wie ein Mixtape von jemanden, der zwischen ewige Standards auch ein paar eigene Songs geparkt hat. Damit ist RATTLE & HUM der eine Schritt zu viel. Und erneut zeigen U2 ein gutes Gespür dafür, was nun zu tun ist. Die Band macht eine Pause. Und danach alles anders. Als U2 zurückkehren, ist ein neues Jahrzehnt angebrochen. Die 90er-Jahre verändern den Blick auf den Musikmarkt, die Leute wollen nun Alternativen zum Gigantismus, Anti-Helden und künstlerische Visionen. Die Band bucht für ihr ACHTUNG BABY die Berliner Hansa Studios, blickt nicht mehr nach Amerika, sondern nach Europa, wo die politischen und musikalischen Entwicklungen spannender sind: Alternative Rock, Dance, Electronica, Hip-Hop, Industrial – U2 spielen nun Musik für die Gegenwart.