American Psycho


Er versteckt sich seit Jahren hinter Sonnenbrille und Rauschebart und ist doch mit den Produkten seines Labels „Def Ame- rican" einer der wichtigsten Kämp- fer für die Freiheit der Kunst. Ob Polit- Rap oder Satans- Rock— wenn Rick Rubin am Pult sitzt, darf jeder machen, was er will. Voraus- gesetzt, Rubin will das auch.

Froschkonig, Wurzelsepp oder Senen-Killer? Oder alles auf einmal? Umgeben von einem CD-Wall liegt Rick Rubin in seiner spartanisch eingerichteten Bleibe in Hollywood auf einem slil-freien. laubfroschgrünen Seventies-Ledersofa. Sein grellgrünes Lederjäckchen wirkt darauf wie ein satter Schimmelpilz. Dazu gesellen sich Blue Jeans, T-Shirt, Sonnenbrille und viele, sehr viele Haare, die in bester ZZ Top-Manier vor allem um Mund und Kinn herum wallen. Rick Rubin ist eine bärenhafte Erscheinung.

Der Bär liegt flach auf dem Sofa, die Hände auf dem Bauch verschränkt, unter dem Nacken ein winziges Kissen — als schütte er gerade seinem Psychiater die Lebensleiden aus. Doch dafür sagt er viel zu wenig, hie und da unterstreicht er eine mühsam gefundene Aussage mit einem prägnanten Fingerwackeln.

Produzenten sind Modesache. Wer heute den angesagtesten Sound hat, darf sich schon morgen als Fußnote in den Annalen der Rockgeschichte zur Ruhe setzen. Nicht so Rick Rubin: Der hatte mit L.L. Cool J., Public Enemy. The Beastie Boys und erst recht mit dem Gedankenblitz, Aerosmith und Run DMC auf „Walk This Way'“ zu vereinen, den 80ern eine wahrhaft neue Musik-Welt aufgetan. Trotz der Pionier-Leistung, als erster Musik-Macher Rap und Metal kommerziell erfolgreich zu verbinden, ist der Rubin-Sound nicht aus der Mode gekommen. Was wohl daran liegt, daß es „den Rubin-Sound“ gar nicht gibt, sondern allenfalls ein Konglomerat von ihm produzierter, völlig unterschiedlicher Platten, die nur eines gemeinsam haben: den Maniac am Mischpult, ausgestattet mit dem heißesten Satz Ohren der Musik-Branche.

Rubin hat zum Interview gerufen, weil mit der Sammel-LP „Til Def Us Do Part 2“ soeben der zweite umfassende Lagebericht seines Labels „Def American“ herausgekommen ist. Drum will er nichts über seine Arbeit außerhalb von „Def American“ — zum Beispiel mit den Chili Peppers oder Mick Jagger — sagen. Außer, daß er mit Mick des öfteren die Red Devils anschauen gegangen sei, und daß deren Repertoire ganz dem der frühen Stones entspreche.

Die Beiträge seines Label-Samplers entsprechen Rubins Vorstellung von guter Musik: Schwerpunkt ist Rap, etwa Sir Mix A Lot. dessen spätpubertierende Ode an den Frauen-Popo („Baby Got Back“) von ihrem Erzeuger Rick als „erfolgreichste US-Single des letzten Jahres“ beschwärmt wird. Daneben gehören zum Katalog auch etwa die Christenrocker Trouble („Come Touch The Sky“ heulen sie), die mit Primal Scream verglichenen Supreme Love Gods und die Grunge-Veteranen Flipper.

Rubin leidet zumeist an einer fast klinischen Medien-Psychose. Er hat heute nur deshalb Journalisten zu sich gerufen, um von den neuesten Helden-Taten seines Labels zu künden. Findet der maulfaule Rubin mal passende Worte, klingt es, als habe er seinen Formulierungs-Player auf „Repeat gestellt: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand die Platte nicht mag“, sagt er über das Album vom früheren Georgia-Satelliten Dan Baird. Den Satz hat er in früheren Jahren schon mehrmals bei anderen Gelegenheiten herausgekramt. „Einfach eine echt coole Platte“, fällt ihm zum Debüt der Red Devils ein. Ebenfalls „wahnsinnig cool“ ist die Serie von Blues-Standards, welche die Red Devils mit Mick Jagger eingespielt haben. „Ich hör sie mir die ganze Zeit an“, sagt Rubin. „Ich hoffe sehr, daß es bald auch andere Leute tun können.“ Vertragliche Probleme haben bislang die Veröffentlichung verhindert. In der Zwischenzeit können wir uns mit den Jayhawks trösten: ¿

„Eine wunderbare Platte, eine coole Band“, repetiert Rick. Danzig schließlich sind „wahnsinnig aufregend anzuhören, und noch viel aufregender anzusehen.“

Ebenso cool sein Motto für „Def American“: „Ich hoffe, daß die Leute einfach eine Sammlung von coolen Künstlern vor sich sehen, wenn sie an Def American denken.“

Rubin, geboren in Long Island, State New York, redet nicht gern über Musik. Bei anderen Themen wird er dagegen richtig zappelig, zum Beispiel, wenn es um das Entzweisägen von Damen geht: „Bis zu meinem 16. Geburtstag war das Zaubern mein Leben“, erinnert er sich. „Am Ende war ich so weit, daß ich Vorstellungen vor anderen Zauberern gab. Die Sache mit der Zauberei ist eigentlich ganz einfach: Wenn du 10.000 Tricks eingearbeitet hast, merkst du, daß sie sich alle auf etwa sieben Grundtricks zurückfuhren lassen. Zauberer gehen nicht in eine Vorstellung, um einen neuen Trick zu lernen, sondern sie wollen eine clevere neue Version eines alten Tricks sehen. Das ist wie bei der Musik. Niemand erfindet einen neuen Rock V Roll. Aber alle sind sie hinter der neuesten Version davon hinterher.“

Schwer zu sagen, was hinter Rubins angeborener Sonnenbrille vor sich geht, denn der 30jährige bleibt immer dann vage und vorsichtig, wenn es um die Frage geht, wie er denn nun zu einem der meistgefragtesten Produzenten-Gurus geworden ist. Irgendwann jedenfalls lernte Rubin aus Gründen, die vom dichten Nebel retrospektiver Mythosfabrikation längst verschluckt wurden, T La Rock und Jazzy Jay kennen und produzierte mit ihnen seine erste Rap-Platte, die Single „It’s Yours“. Rick war am DJ-Pult seines Lieblings-Klubs in New York, als die Nadel erstmals auf seine Rillen prallte. „Einer meiner besten Momente überhaupt!“ grinst er. „Die Lautsprecher waren gigantisch. Aber sie hielten nicht stand. Einer ging in Flammen auf. Der Feuerlöscher mußte her!“

Rubin datiert das Ereignis auf 1982. Die Indizien deuten auf ein, zwei Jahre spater. Jedenfalls geschah in dieser Zeit im Rap eine dramatische Umschichtung: Die Hardcore-Vertreter der „old school“ hatten sich leergeschwätzt, die Breakdancers waren zum lukrativen aber kurzlebigen Teenie-Phänomen verkommen. In diesem Vakuum wuchs eine neue Schule heran: jung, brachial, militant und in keiner Weise zu Kompromissen aufgelegt. Wenn Rubin damals ein kalter Kalkulator gewesen wäre, hätte er die Finger davon gelassen: Das (weiße) Business sah in dieser Art von melodie- und gimmicklosem Rap mit spezifisch „schwarzer“ Message keine Zukunft. Doch Rubin glaubte, die Zukunft der Musik gesehen zu haben und tat sich mit dem schwarzen Business-Kapitän Russell Simmons zusammen, der als Manager etlicher Soulgrößen schon einigen Reichtum gescheffelt hatte. Sie steckten je 2000 Dollar in das „Def Jam“-Label, Rubin dirigierte die Firmen-Geschäfte von seiner Studentenbude auf dem Campus der University Of New York aus. „Rap ist schwarzer Rock ’n‘ Roll“, hatte Rubin erkannt. „Mit dem Unterschied, daß sich das schwarze Publikum nicht übers Ohr hauen läßt. Wenn der Groove nicht stimmt, ändert auch die beste Werbemasche nichts.“ Das Anfangskapital reichte für sieben Singles. Dann kam schon der lukrative Lizenzvertrag mit CBS, „aber nur deswegen, weil wir viele Platten verkauft hatten, und bestimmt nicht, weil der Firma unsere Musik gefiel.“

Rubins Credo, daß Rap im Grunde schwarzer Rock ’n‘ Roll war, prägte auch seinen Produktionsstil, der die härtesten Beats mit nicht weniger zahmen Gitarrenriffs einte. „Ein absoluter Glücksfall!“ erinnert sich noch heute Aerosmith’s Steven Tyler, den Rubin mit Run DMC zu einer epochemachenden Version von „Way This Way“ vermählte. „Ich lernte daraus, daß man alles mal versuchen soll, weil man nie weiß, was rauskommt. Außerdem erkannte ich, daß ich als ehemaliger Drummer viel mehr gemeinsam hatte mit Rap, als ich gedacht hätte: Das war ja wie gesprochenes Trommeln!“

Doch der Riesenerfolg der Beastie Boys. LL Cool J, Public Enemy und Run DMC schützten Rubin nicht vor dem Satan. Der nämlich prangte an dem Türschild von „Def Jams“ Leibund Magen-Studio „The Chung King House Of Metal“ in China Town:

„Satanic Sounds Of Chung King, Beware All Who Enter“. Die Wände waren vollgeschmiert mit Graffitis, bis hin zu düsteren Runen und kopfge____________ stellten Kruzifixen.

Rubins Telephonnummer begann zufällig mit 666 — und zum „Def Jam“-Repertoire gehörten nun auch Teufels-Rocker wie Danzig, ganz zu schweigen von Slayer. „Es stimmt schon, daß ich denen sagte, sie sollten etwas mehr Satan in die Musik reinbringen“, rechtfertigt sich Rubin heute.

„Ich sehe es gern, wenn eine Band in neue Richtungen vordringt.“

Rick bekam viel Ärger mit seiner bedingungslosen Toleranz: Jim wichtigsten ist an Musik, daß sie für Unterhaltung sorgt“, meint Rick noch immer. „Wenn Texte, die von Gewall, Gangs, Sex, Satan oder Drogen handeln, unterhaltsam sind, ist das ok. Es ist blanker Unsinn zu behaupten, die Fans könnten nicht zwischen Wirklichkeit und Fantasie unterscheiden. „

Ende 1988 trennte sich Rubin von Simmons, „Def Jam“ und New York. Sein Partner hatte ohnehin die Nase voll von Ricks Teufels-Bands: „Slayer sprayten Scheißsprüche an die Studiowände. Fucking Niggers, fucking Jews“, erinnert sich Simmons. „Ich sah‘ nicht ein, warum ich das schlukken soll. “ Rubin schluckte auch dies, er würde sogar Texte von „Störkraft“ veröffentlichen: „Mir ist egal, worüber eine Band singt. Ich mag mit ihr einverstanden sein oder nicht. Aber ich glaube, daß es falsch ist, dem Recht auf freie Äußerung Fesseln aufzuerlegen. Wenn du verbietest, über ein Thema zu reden, kannst du schließlich über kein Thema mehr reden. Wie kannst du auf der einen Seile fiir Redefreiheit plädieren, auf der anderen Seite aber fordern, daß keine Schwulenhaß-Texte mehr veröffentlicht werden dürfen? Es geht nicht. Alles oder nichts.“

Rubin zog, von „Def Jam“, Simmons und New York enttäuscht, nach Los Angeles und startete sein neues Label „Def American“. Erstes Signing: Slayer. Endlich konnte er wirklich machen, was er wollte: „Ich pfeif drauf, was andere Leute denken. Mein Label reflektiert meinen Geschmack. Ich will nur meine Lieblingsplatten machen. Da laß ich niemand dreinreden“. Die Musikindustrie sei ja ohnehin in einem erbärmlichen Zustand: „Ich habe nie eine Business-Lehre abgelegt. Ich weiß nicht, wie’s richtig gemacht wird. Aber ich weiß, daß die großen Plattenfirmen falsch liegen. Und auch viele Indies machen den Fehler, daß sie sich spezialisieren und so verknöchern. Bei uns machen alle alles. Meine Partner und ich sind vom A&R über die Aufnahmen bis zur Fabrikation bei allem aktiv beteiligt. Und Bands brauchen auch Führung. „

Eine Führung, die — wie im Falle der Beastie Boys — auch mal in einen jahrelangen Rechtstreit münden kann. Die Beasties sind nicht mehr so gut auf ihren Ex-Chef zu sprechen: „Rubin experimentiert schon — aber ein Hit ist ihm genauso wichtig.“ Rubin ist auch das egal: „Ich hob mich nie als ein Teil des Underground verstanden. Ich will mit Leuten arbeiten, die Stars sein wollen.“

Ob das der Grund ist, warum Ex-Pixie Black Francis keinen Vertrag bei „Def American“ bekam? Francis war eines Nachts um 2 Uhr früh vom dem ihm unbekannten Rubin angerufen worden. Nach ein paar Fragen (was für Musik er mache, warum er Musik mache, etc.) legte Rubin kommentarlos auf — und Francis hörte nie wieder von ihm.