April Wine Powerplay
One Schweiß kein Preis.“ [Diese Platitüde kommt mir in den Sinn, als ich Nürnberger Boden betrete. Auf dem Zeppelinfeld (wo einst der Führer die Massen mobilisierte) stehen, sitzen und liegen Tausende, um sich vom „5th Golden Summernight‘-Express, der hier mit phonhaltiger Fracht haltgemacht hat, nach Kräften einheizen zu lassen. Vorerst kommt die Hitze allerdings weniger von der Bühne als von der sengenden Sonne, die die Arena in einen Backofen verwandelt Verschwitzt und matt trotte ich hinter der Bühne umher, suche ein schattiges Plätzchen und natürlich meinen „Preis“: Ein Interview mit dem kanadischen Rock-Quintett. Aus Amerikas hohem Norden, wo bekanntlich neben Holz und Weizen seit Jahren viele erfolgreiche Bands beheimatet sind, ist man eigens für zwei Auftritte im Rahmen dieses Festivals über den Großen Teich gejettet. Das Ganze, jetzt bei heißer Musik, entwickelt sich mehr und mehr zur ‚Hitzeschlacht von Nürnberg‘: April Wine Time! Und das auf einer geliehenen Anlage und ohne Soundcheck… Doch selbst solche Hindernisse bewältigen April Wine mit Bravour. Vornweg das schwungvolle Gitarren-Paket mit Myles Goodwyn, Gary Moffet, Brian Greenway, daneben Bassist Steve Lang, der auch mal sphärische Klänge auf seinem Mini-Moog zaubert, und – wie immer an seiner frisch polierten Yul Brynner-Glatze zu erkennen – Schlagzeuger Jerry Mercer als Antreiber und Rückendeckung. Noch im letzten Jahr, als Headliner in deutschen Landen, mußte die Band erleben, wie ihnen der opening act, die Schweizer HM-Gruppe Krokus, die Show stahl. Das ist heute vergessen. Hier laßt nicht so sehr jahrelange Routine, sondern Spielfreude voller Saft und Kraft rhythmische Funken aufs Publikum überspringen. Wer bis dahin den Sonnenanbeter oder andere Verrenkungen gemacht hat, tanzt nun, schwenkt ungeniert US-Flaggen und grölt zu Songs wie „Wanna Rock“, Goodwyn’s energischem Rock’n’Roll-Credo, .Crash And Burn“ oder „Enough Is Enough“, einer Losgeh-Nummer der Marke POWERPLAY (so auch der Titel ihres jüngsten Albums). Mit einem Wort: Gooaf vibrations. Von denen lassen sich besonders die amerikanischen Kids vor der Bühne mitreißen. Viele singen sogar andächtig die Refrains von Just Between You And Me“ (April Wine’s größtem Hit) und „Sign Of The Gypsy Queen“ mit (fehlen nur die Wunderkerzen). Noch immer ist Schwitzen meine vornehmste Aufgabe. Denn nach der Vorstellung will Myles, der ein King Crimson-Fan ist und auf dessen Konto die Bearbeitung von ,21th Century Schizoid Man“ (auf der HÄRDER… FASTER-LP) geht, deren Auftritt sehen… .Doch zurück zu April ‚Wine. Power und Eleganz kennzeichnen ihre Musik auf der Bühne. Nach getaner Arbeit jedoch kehrt Ruhe ein. Im Sinne ihrer temperierten Melodien entpuppen sich die fünf Kanadier vom Scheitel bis zur Sohle (Jerry ausgenommen) als Gentiemen ofRock ’n ‚Roll. Oder, wenn man so will, als nette Jungs von nebenan, unauffällig und bescheiden (Jerry einschließlich). Seit 12 Jahren in Sachen Musik unterwegs, kann Myles, der .April Wine 1970 in Halifax, Kanada, aus der Taufe gehoben“ hat, auf ein Dutzend Alben zurückblicken. Bis dahin war’s ein weiter Weg. „Anfangs waren wir zu viert, fch, zwei Brüder und deren Cousin, die alle auf den Namen Handman hörten. Später, nach dem ersten Album (das und weitere vier sind auf den „Big Tree“- und „Aquarius“-Labels erschienen), stieß für den ausgestiegenen Cousin ein Mann namens Jimmy Clinch zu uns. Mit ihm gab’s zwei Alben und als auch er ging, kam der Bassist Steve Lang. Die Plätze der beiden Brüder nahmen schließlich Gary (Moffet) und Jerry (Mercer) ein. Mit denen spiele ich nun schon seit acht Jahren zusammen. Unser letzter Neuzugang war Brian (Greenway), vor ungefähr dreieinhalb Jahren.“ Bleibt anzumerken, daß Multitalent Myles nicht nur der Gründer und einzig Überlebende aus der Anfangszeit, sondern zudem Sänger, Gitarrist, Songschreiber : und Produzent in Personalunion ist. Ein richtiger Boß oder Chef also. Davon ist aber trotz Amterhaufung nichts zu spüren. Wenn überhaupt, ist er der .Kopf, eine Art musikalischer Lotse in einem Unternehmen, bei dem die anderen nicht bloß auf Gehalts- oder Lohnlisten erscheinen. „Steve ist ungemein geschäftstüchtig. Er kümmert sich um Bühnenaufbau, Design und Beleuchtung. Gary dagegen hat’s sehr mit Zahlen und Ziffern. Als unser ‚Sekretär’sorgt er fürs Geld und hält es auch zusammen. Ich bin eben mehr für die Musik zustän dig. Un d Jerry „, so Myles, „ist der Drummer, ein ‚animal drummer, der in einem Käfig auf der Bühne spielt.“ Außer der Arbeitsteilung in geschäftlichen Dingen und Jerry’s Käfignummer gründet sich April Wine’s musikalischer Erfolgvor allem auf präzises Teamwork. So bringt man verschiedenste Stilrichtungen unter einen Hut: süffige Balladen, Rock’n’Roll, Hardrock. .Aber kein Heavy Metal“, schränkt Myles meine Überlegungen zu Stil und Form gleich ein. „Denn als wir das erste Mal hier tourten, wurden wir als Heavy Metal-Band angekündigt. Vor all den Leuten in Lederjacken, die sich gegenseitig antörnten und irgendwelche imaginären Gitarren schwangen. Bis ich ihnen klarmachte: ‚Hey, Moment mal, das hat nichts mit uns zu tun‘. Eine unmißverständliche Absage an alle HM-Veteranen und solche, die Phon-Orgien bevorzugen. , Wir spielen gerne Balladen. Die sind von Beginn an ein fester Bestandteil unseres Programms. Ich schreibe die Songs – und dann mischen wir sie mit dem Hardrock-Stoßzusammen. In Kanada und den Staaten kommt sowas an. Und heute, glaubeich, ging’s auch. Wenn’s weiterhin so läuft, werden immer Balladen dabeisein. „Myles‘ romantische Ader ist offensichtlich. Hat er doch seiner Frau den Lovesong „Just Between You and Me“ gleichsam zur Hochzeit geschrieben. Dkie andere Seele in sei-‚ ner musikalischen Brust, die stärkere, hält’s mehr mit Rock’n’Roll. In “ Wanna Rock“, einem Stück auf der NATURE OF THE BEAST-LP, bekennt er Farbe. Unter dem Motto „Disco-Musik ist ein Sozialfall“ oder „Neue Welle, alte Welle, dritte Welle, was kümmert’s mich“ kommt allein ’sein‘ Rock’n’Roll zu Ehren. “ Wir springen auf keinen modischen Zug. Kein Disco, kein Punk. April Wine macht ein eigenes Ding und dabei bleiben wir. Selbstverständlich versuchen wir, uns ständig weiterzuentwickeln und bessere Songs zu schreiben. Doch immer in derselben Rockspur, heavy oder nicht so heavy, Rock ist’s in jedem Fall. Die Wellen kommen und gehen.“ Und nun, mit Nachdruck und zwölfjähriger Erfahrung im Tornister, das Erfolgsrezept: „Machen, was man am besten kann und sich nicht von kurzlebigen Moden beeinflussen lassen, weil du sonst vielleicht schon nach sechs Monaten aus dem Rennen bist, das nenn‘ ich sicher und weise.“ Auf Nummer sicher also, aber wer will’s ihm nach den langen Jahren verdenken? Immerhin hat’s neun Jahre gedauert, bis die Band in Kanada on top war (und heute neben Rush noch immer dort steht). Erst ein neuer Plattenvertrag verhalf ihnen auch international zum Durchbruch. Von den Eindrükken, Rückschlägen und anderen Problemen auf seinem langen Weg kann Myles so manches Iied singen. Eins davon heißt schlicht „Rock’n’Roll Is A Vicious Game“ (auf der FIRST GLANCE-LP). Zu deutsch etwa: Rock’n’Roll ist ein teuflisches Spiel; es schildert die Schattenseiten der Branche. Statt Glamour und Erfolg geht’s hinter die Kulissen. Ob solche Zeilen wirklich auf eigenen Erfahrungen basieren, will ich von ihm wissen. „Eigentlich nicht, das sind eher aus dem Leben gegriffene Beobachtungen. Wenn du an Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison denkst. Oder dich an die Anfänge des Rhythm’n‘-Blues erinnerst, an die schwarzen amerikanischen R’n’B-Leute, die fantastische Songs geschrieben haben. Wie z. B. Curtis Blackwell. Der hat viele Hits für Elvis Presley komponiert, darunter ‚Jailhouse Rock‘ und ‚Blue Suede Shoes‘, dafür ober keinen Pfennig gesehen und ist als armes Schwein gestorben.“ „Rock’n’Roll kann, siehe Johnny Rotten und andere, zum Verhängnis werden. Oder aber es ist einfach nervig und anstrengend, immer unterwegs zu sein, von der Familie getrennt, bei all den Giften, die nur auf dich warten. Ein verdammt hartes Gewerbe. Nimm z. B. Amerika, wo viel Geschäfts-Politik in einem Konzert mitspielt. Da kann’s passieren, daß der Headliner anderen Bands die Power nicht gönnt, und schon zieht man dirdieSteckerheraus.“ ,N icht so im Fall von Myles und April Wine. Denn seine Antwort auf derlei rauhe Sitten lautet (in „I’m Alive“) zuversichtlich: „Nur die Stärksten überleben“. Was anfangs gehörig nach Großvater Darwin klingt, ist letztlich vielleicht doch die leidenschaftliche Summe seiner Beobachtungen und Erfahrungen. Oder steckt gar noch mehr dahinter? Etwa ein ausgekochter Geschäftssinn? „Rock’n’Roll ist für mich beides, Geschält und Leidenschaft zugleich. Seit 12 Jahren auIA ch se, habeich über hundert Songs geschrieben, viele Alben produziert, auch von anderen Leuten. Wenn es nur Geschält wäre, hätte ich all das nicht gemacht. Ich wußte schon sehr früh, daß ich etwas mit Musik zu tun haben wollte. Und wenn man das einmal spürt, wird’s schnell zur Besessenheit. Wie für die, die Musik hören. Nur daß wir eben gern spielen.“ Eine solche Bilanz reimt sich wohl nur auf Leidenschaft. Bevor ich eine weitere Frage loswerden kann, erzählt Myles die „Jukebox“-Story. „Ich besitze eine Jukebox mit all meinen Lieblingssongs. Von Frank Sinatra über Tony Bennett, Elvis Presley bis hin zu Bo Diddley (Buddy Holly und Eddie Cochran natürlich auch). Man wirft einen Vierteldollar ein und bekommt dafür drei Songs. Esist eine Jukebox aus den Fünfzigern, eine Wurlitzer.“ Wer jetzt immer noch an Myles‘ Besessenheit zweifelt, den kann ich beruhigen. Wo April Wine’s Musik dank Goodwyn häufig Wurzeln schlägt, dürfte kein Geheimnis sein, wenn man einem Song wie etwa „Future Tense“ aufmerksam zuhört. Bisher ist immer die Rede von Rock’n’Roll, ohne daß die wahre Quelle beim Namen genannt wurde. Um die Beatles geht’s. Bis in die „Yeah, yeah, yeah“-Vokalpartien reicht deren Einfluß, von anderen Anspielungen ganz zu schweigen. Das neueste Album enthält ein Lennon/McCartney-Stück, „Teil Me Why“, das, obwohl im Tempo gedrosselt, noch als Ballade Myles‘ musikalische Heimat verrät. „Als die Beatles populär wurden, war ich vierzehn, ging zur Highschool und war schlicht begeistert. Lange Haare, Beatles-Boots, ein richtiges Beatles-Baby also. Aber auch von den Stones und der Entwicklung um Hendrix, eigentlich von allem, was m usikalisch bei der Jugend bis Anfang der siebziger Jahre ankam, bin ich beeinflußt. Von den Beatles mit Sicherheit. Mein erster Einfluß allerdings geht auf die Country-Musik zurück. Die wurde häufig in Nova Scotia gespielt. Bis ich dann Presley hörte, mit elf oder zwölf, mir einen Hut aufsetzte und dazu eine Gitarre bekam.“ Bei aller Nostalgie und wehmütigen Erinnerungen steht Goodwyn andererseits mit beiden Beinen im Hier und Jetzt. Außer Rock’n’Roll nennt er Familie und Autos als weitere Leidenschaften. Ein schwarzer Porsche, elegant und kraftstrotzend wie ihre Musik, steht in seiner Garage. Zum Turbo-Modell hat’s leider noch nicht gereicht. “ Vielleicht im nächsten Jahr, mal sehen.“