Auf der Flucht


Anna-Catherine Hartley alias Uffie könnte eine neue Blaupause des globalen Popstars werden: Nicht die Stimme, nicht das Talent, nicht ihre Präsenz, noch nicht einmal der Körper sprechen dafür – sondern ihre totale Heimatlosigkeit.

Uffie ist die Frau, die man nicht zu fassen kriegt. Ein Traum also. Und ein Albtraum für die, die es versuchen. Es geht mit dem Telefon los. Sie ruft nicht an, nicht zur verabredeten Zeit und auch nicht später, das Telefon bleibt stumm, es melden sich irgendwann bloß ihre Leute aus Paris. Die kriegen sie auch nicht zu fassen, Handy aus und auf keinem Festnetz zu erreichen. Sie ist in der Nacht von einem ihrer Trips zurückgekommen nach Paris, sie ist einmal um die Welt gejettet in ein paar Tagen, Tokio, Los Angeles, Videodreh. Anna-Catherine Hartley oder Uffie, wie sie heißt, weil ihr Vater sie, „Un Oeuf“, ein Ei, nannte, ist nie zu Hause. Und immer. Denn ihr Zuhause ist die Welt.

Vielleicht kümmert sie sich an diesem Pariser Nachmittag um ihr Baby, hat es vom Ex-Mann abgeholt, der Nanny frei gegeben und alles auf stumm gestellt. Anna-Catherine Hartley ist 22 und hat die erste Ehe schon hinter sich, das muss man auch erst mal schaffen. Vielleicht ist sie auch nur allein auf der Couch eingeschlafen. Vielleicht ist es aber noch was anderes. Es ist was anderes, stellt sich heraus, einer ihrer Leute meldet schließlich am nächsten Morgen in aller Offenheit: „Well, Uffie is living a love affair! But I’ve just talked to her and she proposes you can call her today. She also begs for your excuse. Is that ok for you?“ Selbstverständlich. Alles okay, alles vergeben. Wenn Popstars Wesen aus Gas sind, überall und nirgendwo, dann ist Uffie noch flüchtiger als Gas. Ihr Leben war dem eines Popstars zumindest im Unterwegssein schon immer verwandt, sie ist gleichsam von Geburt an rund um den Globus gezogen, gezogen worden.

Sie geht überraschenderweise an ihr Handy am Nachmittag.

Anna-Catherine klingt müde am Telefon, ihre Antworten sind kurz, ein, zwei Sätze, also klärt man erst mal die Stationen ihres kurzen, aber ziemlich ereignisreichen Lebens bis hier hin. Das ist wichtig, denn der Reiz, der von ihr ausgeht als popkulturelle Figur Uffie, ist vor allem der einer extrem beschleunigten hypermodernen Biografie – und zugleich der einer altertümlich bohemistischen Verweigerungshaltung.

Anna-Catherine Hartley: geboren in Florida, Mutter Amerikanerin, Vater Brite, die Zeiten ohne Geld und die mit sehr viel Geld wechseln sich in ihrer Familie ab. Anna-Catherine ist vier, als der erste Umzug ansteht, nach Hongkong, und ist fünf oder sechs, als der Vater sich in den Kopf setzt, eine Weltumseglung mit Frau und Kind müsse seine Ehe retten. Doch nach zwei Wochen auf See lässt ein Sturm das Boot vor der Küste der Philippinen kentern. Ein paar Fischer ziehen die Familie an Land, die Ehe der Eltern ist trotz aller Schiffbrüchigenromantik endgültig kaputt, Anna-Catherine zieht mit der Mutter zurück nach Florida, der Vater nach Paris. Das Mädchen entwickelt sich zu dem, was man einen wilden Teenager nennt, bald hat sie regelmäßigen Kontakt zur Polizei, bis schließlich die Mutter befindet, der Tochter täte ein Ortswechsel und die strengere Erziehung durch ihren Vaters gut. Paris als Besserungsanstalt für wohlstandsverwüstete Mädchen, darauf muss man erstmal kommen.

Anna-Catherine geht mit 15 auf die noble Privatschule ISP, jährliches Schulgeld mehr als 20.000 Euro, sie ist das hip girl unter den internationalen rich kids von Paris und freundet sich bald mit Leuten vom, klar, Überhip-Label Ed Banger an. Einer der Ed-Banger-Leute wird ihr Freund, Feadz, er fragt sie, ob sie nicht mal Lust habe, auf einem seiner Tracks zu rappen oder zu singen. Sie rappt oder singt also mal auf dem Track von Feadz, um die Stimme passend zu machen, gibt es ja Auto-Tune und Vocoder. „Pop The Clock“ heißt das Lied und wird dann auch gleich ihre erste Single. Es ist das Jahr 2006, ab nun ist Anna-Catherine ein Popstar in Vorbereitung. Sie wird hauptberuflich Uffie, erst mal jedenfalls.

Und diese Uffie bekommt gleich Fotostrecken in brüllend coolen Magazinen wie „Nylon“, „Dazed & Confused“ und „Zoo“, bloß weil sie gelegentlich eine neue Single veröffentlicht und in coolen Clubs auftritt. Zwischendurch heiratet Anna-Catherine den Graffitikünstler André Saraiva, lässt sich nach einem Jahr wieder scheiden, schenkt aber im Oktober 2009 noch dem gemeinsamen Kind das Leben, einer Tochter. Eine sexy single mom also, aufgewachsen überall auf der Welt, gemacht durch und für globalisierte Zeiten: Das könnte ein Popstar neuen Zuschnitts für die Massen sein. Einer, der nicht nach Plastik schmeckt, obwohl die Musik natürlich auf Plastik macht, total künstlicher Elektro-R’n’B-Dance-Dingsbumms; der auf Bildern ohne Photoshop-Retuschierung sogar noch besser aussieht als mit; der nicht so austauschbar erscheint wie all die Major-Mädchen mit ihren netten Folkgitarren, nicht so nerdig wie Elektro-Sirenen à la La Roux, nicht so abgehalftert wie Madonna und Minogue, vor allem aber nicht so gaga wie Gaga.

Das letztes Jahr noch mal neu produzierte Video zur ersten Single „Pop The Clock“ zeigt das funktionierende Prinzip Uffie: klassischer kalifornischer Pool-Traum, hübsche Menschen in Vintage-Klamotten, das Haus zum Pool kennt man aus „Boogie Nights“, das Rumgemache aus Robbie Williams‘ „Come Undone“, gibt halt keine zitatfreie Popkultur mehr, man muss nur die richtigen Erinnerungsknöpfe drücken – aber Uffie macht nicht mit beim Pool-Fummeln, sie sitzt so da und singt zwar über Sex, stellt ihn aber vor der Kamera nicht dar. Sie ist nicht verfügbar, verspricht sich niemandem. Uffie ist, so sieht es aus, die Frau mit der ansprechenden Verweigerungspose zur Zeit. Und bald also erscheint endgültig ihr Debütalbum. Es heißt, bei dem Titel allein bekommt man schon feuchte Augen: Sex Dreams and Denim Jeans. Oh, yeah.

Ein Frühlingstag in Berlin, Uffie ist aufgeregt. Nicht wegen der Interviews, sondern weil sie auf einen Video-Rohschnitt wartet: Uffie fährt in „Add SUV“ gegen Pharrell Williams ein Wettrennen über den Hollywood Boulevard. Die private Anna-Catherine hat natürlich keinen Führerschein. Wo sie unterwegs ist, fliegt man.

Sie sagt: „Popstar? Das Konzept klingt für mich verdächtig. Popstars, das sind doch die, die es cool finden, in Magazinen und auf Celebrity-Webseiten ohne Unterwäsche abgebildet zu sein, wie sie gerade volltrunken aus einem vermeintlichen Prominentenclub raustorkeln, nicht? Das Frauenbild, das damit unhinterfragt weitergereicht wird, ist doch bizarr.“

Okay. Und was ist, wenn entgegen aller Wahrscheinlichkeit aus Uffie kein Popstar wird? „Dann mach ich eben was anderes. Ich bin es eh nicht gewohnt, dass Dinge andauern. Womöglich hängt das damit zusammen, dass ich keine Vorstellung von einem Zuhause habe. Heimat? Was ist Heimat? Ich weiß es nicht.“

Anna-Catherine Hartley ist 22 Jahre alt. Sie klingt manchmal viel älter und manchmal viel jünger, jedenfalls stets anders als 22, und ob das gut ist oder schlecht, weiß sie auch nicht. Sie ist schon woanders, schon im nächsten Moment. Handschlag, vielen Dank auch. Unfassbar. Flüchtig wie ein Gas.

Albumkritik S. 89

www.myspace.com/uffie