Barclay – Janest – Harvest
Im zehnten Jubiläumsjahr feierten Barclay James Harvest ihren endgültigen Durchbruch beim deutschen Publikum. Während ihrer Tournee im November erlebten sie nur volle Häuser und begeisterte Zuschauer, die jeden Song mit Riesenbeifall begrüßten.Ihre jüngste LP „Gone To Earth“ stieß zur gleichen Zeit ins Mittelfeld der deutschen Charts vor.
Erste Stresserscheinungen als Folgen einer spätgezündeten Karriere machten sich bei Barclay James Harvest im vergangenen Jahr breit. John Lees, Sänger und Gitarrist der Band, baute zwischendurch einfach ab. und auch Mel war zwischen zwei England – Gigs zusammengebrochen. „Das ist der Grund, warum wir im vergangenen Jahr unsere Deutschlandtournee abgesagt haben“, erklärte Mel. „Es stimmt nicht, daß wir unsere Forderungen zu hoch geschraubt hatten.“
Am Anfang verloren die Harvest-Leute sehr viel Geld
Aus dem Munde eines Barclay James Harvest-Musikers klingt eine solche Versicherung komischerweise immer glaubhaft. Wahrscheinlich liegt es daran, daß man der Gruppe keine linken Geschäftspraktiken zutraut. Die Barclay-Leute haben ihre Karriere eigentlich nie gesteuert, sondern ständig nur ihre eigenen musikalischen Interessen verfolgt. Zwei Jahre lang sind sie zu Beginn ihrer Laufbahn mit einem Orchester durch die Lande gezogen und haben dabei Unmengen von Geld verloren. „So etwas ist für eine Gruppe fast selbstmörderisch,“ sagt Mel rückblickend. „Aber mit den Erfahrungen, die wir heute haben, könnten wir es wieder tun.“ Zu den neugewonnenen Erfahrungen gehört wahrscheinlich, daß man so ein Unternehmen finanziell sehr genau durchkalkulieren und vor allem bekannt genug sein muß. um zumindest kostendeckende Gagen zu erhalten.
Man hat sie oft belächelt, die standhaften vier aus Manchester. Seicht, schwülstig, überladen oder kitschig nannte man ihre Musik, doch sie machten unbeirrt weiter. Obwohl der Erfolg sich erst langsam einstellte, nachdem sie die Schallplattenfirma gewechselt hatten, blieben sie zusammen. „Wenn wir in London gelebt hätten, wären wir mit Sicherheit schon auseinander.“ meint Mel. Aber sie leben in der landschaftlich schönen Umgebung von Manchester, weit ab von der Trendmaschine und von den Verlockungen des hektischen Musikzentrums. Da keiner von ihnen Angst hat, etwas zu versäumen, ist London für sie völlig uninteressant.
Als Showtypen sind die BJH-Musiker sowieso untalentiert. Bis auf Mel, der sich hinter seinem Schlagzeug zwangsläufig bewegen muß, wirken sie auf der Bühne manchmal wie Ölgötzen. Stewart „Wooly“ Wolstenholme kriecht in seine Tasten, wenn er nicht zufällig den Kopf zum Mikrofon heben muß, Bassist/ Sänger Les Holroyd ist bestenfalls mit seinem zugewachsenen Kopf ein optischer Blickfang. John Lees macht eine klägliche Gestalt, wenn er sich mit gesenktem Kopf an der Gitarre festklammert. Er wirkt wie ein schüchterner Pennäler und nicht wie jemand, dessen Musik Häuser füllt und sich vor allem recht gut verkauft. Ein wenig mehr Selbstbewußtsein dürfte die Band ruhig ausstrahlen, wenngleich sie in ihrer etwas steifen Art ungeheuer sympatisch wirkt.
Der Sound stimmte bei den jüngsten Konzerten, nur der Gesang fiel leider manchmal enttäuschend aus. Die Harmoniesätze funktionierten zwar, doch Johns Stimme kippte manchmal aus den komplizierten Solo-Gleisen. Der Verdacht liegt nahe, daß seine saubere süßliche Stimme, wie man sie von den Schallplatten her gewöhnt ist, im Studio leicht frisiert wird. Das musikalische Volumen kam jedoch einwandfrei rüber. Die verträumten, manchmal westcoast-orientierten Klänge standen süß und schwer im Raum, und das Publikum badete förmlich darin.
Der immense Erfolg, den Barclay James Harvest hierzulande genießen, deutete sich schon 1975 an, als die Gruppe im Vorprogramm von ELO spielte. Die Band erntete soviel Beifall, daß die Musiker vom Electric Light Orchestra kurzerhand die Tournee abbrachen. „Wir hätten die restlichen Konzerte gern allein weitergemacht,“ sagte Les damals. „Aber die Veranstalter hatten beide Gruppen gebucht, und es hieß entweder beide oder keine.“ Und Mel meint heute rückblickend: „So was Dummes, dabei hat ELO in Deutschland abgeräumt. Drei Wochen nachdem sie abgereist waren, hatten sie hier einen Nummer-1-Hit!“
Musik, die niemandem wehtut: schön, ergreifend und weltfremd
Ein Jahr später warteten die BJH-angetörnten Fans dann umsonst. Eine Deutschlandtour konnte die Gruppe – wie schon erwähnt – nicht mehr verkraften. Sie hatte eine anstrengende Amerika-Tournee hinter sich und mußte anschließend gleich für die Produktion von „Octoberon“, dem zehnten Album, ins Studio. Nachdem „Time Honoured Ghosts“, in San Franzisko aufgenommen, nicht zufriedenstellend ausgefallen war, arbeitete die Band wieder im Strawberry Studio inManchester, wo später auch „Gone To Earth“ entstand. „Bei ‚Octoberon‘ haben wir uns ein wenig gehen lassen,“ gibt Les zu. Mit dem letzten Produkt sind die Musiker indes vollauf zufrieden. Es ist ja auch konsequent Barclay James Harvest: ergreifend, schön, schwülstig, harmonisch, verträumt, ein wenig weltfremd. Musik, die niemandem wehtut, es sei denn, er hat Depressionen. An einem grauen Novembertag zum Beispiel kann einen die elegische Stimmung dieser LP zur Verzweiflung bringen. Aber diese Elegie verkauft sich blendend.